Regisseurin Katharina Weingartner (li.) im Gespräch mit Ajara Amidu.

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Kinoplakat von "Sneaker Stories".

Foto: Pooldoks/Markus Wailand

Mit ihrem dritten Dokumentarfilm "Sneaker Stories" widmet sich die österreichische Journalistin und Filmemacherin Katharina Weingartner einmal mehr den (weltweiten) politischen Implikationen der afroamerikanischen Musik- und Popkultur. In ihrem ersten Kinofilm beleuchtet sie die Mechanismen in der Basketball-Industrie und stellt sie den Lebensträumen und -chancen derjeniger Menschen gegenüber, die den Sport tatsächlich ausüben bzw. in den Werbe-Sujets von Nike und Co als coole Rolemodels repräsentiert werden (mehr dazu in der Rezension "Mythos Turnschuh").

In drei verschiedenen Teilen erzählen die ProtagonistInnen des Streeballs in New York, Wien und Accra (Ghana) über ihren Sport, die Faszination Turnschuh und nicht zuletzt über ihre eigene Lebenssituation als Marginalisierte innerhalb der eigenen Gesellschaft. Mit der Regisseurin sprach Ina Freudenschuß über die starke Ikonographie des "schwarzen Mannes" in der Werbung, ungewollte Matriarchate in Brooklyn und den Abschied Weingartners von der "didaktischen Doku".

dieStandard.at: Die Arbeit an Ihrem neuen Film "Sneaker Stories" hat angeblich vier Jahre gedauert. Wie kam es dazu?

Katharina Weingartner: Die Idee für den Film gibt es schon viel länger, seit 2001 nämlich. Sie kam mir während der Arbeit für "To soon for sorry" (Anm.: eine Doku über das Gefängnissystem in den USA), wo wir auch an einem Basketballplatz in New York drehten. Ursprünglich sollte ein Arte-Themenschwerpunkt zu Sneakers entstehen, doch die Idee scheiterte daran, dass es über Turnschuhe keine Dokumentationen gab. Das war bezeichnend und ein Ansporn, darüber selbst etwas zu machen. Zwischendurch wollte ich ein Drehbuch realisieren, das nur in Harlem spielen sollte, aber dafür gab es in den USA keinerlei Förderung. Witzigerweise läuft inzwischen genau über diesen Basketballplatz in Harlem eine Art Doku-Soap im amerikanischen MTV. Inzwischen gibt es auch andere Filmprojekte über Streetball und Sneakers, es entstand über die Jahre ein kleiner Hype, kann man sagen. Für mich war es jedenfalls nicht möglich, genügend Fördermittel für einen Kinofilm in den USA aufzustellen. Seit 2004 stand dann die endgültige Idee, also die Dreiteilung mit USA, Österreich und Ghana, und auch der Finanzplan mit europäischen Mitteln.

dieStandard.at: Auffällig an "Sneaker Stories" ist, dass niemand spricht außer die ProtagonistInnen selbst. Warum haben Sie sich für diesen Ansatz entschieden?

Weingartner: Das war das Ziel, und ich weiß nicht, ob es mir gelungen ist. Ich wollte wegkommen von meinem bisherigen Ansatz, den ich als didaktisch bezeichnen würde. Früher habe ich viel mit Informationen gearbeitet, mit dem Ziel, diese zu transportieren. Aber etwas hat mich daran immer gestört. Es war die Situation, dass ein/e ExpertIn das Leben der Porträtierten erklärt. Die meisten Off-Stimmen bei Dokumentationen sind ja eigentlich ein Armutszeugnis, weil sie damit ihre Unfähigkeit offenbaren, durch die Bilder und den O-Ton die Geschichte zu erzählen. Wenn man mit marginalisierten Menschen arbeitet und dann den weißen Mainstream-Gedankenfluss darüber legt, dann wirkt das meist unglaublich paternalisierend. Als ich dann bemerkte, was in New York für Gespräche stattfinden, ohne dass ich diese provoziere und egal, ob die Kamera läuft oder nicht, da dachte ich mir: So könnte das funktionieren. Es erfordert von der ZuseherIn ein bisschen mehr Geduld. Auch ich musste umschwenken: Ich habe sehr viel zum Thema recherchiert, habe dann aber 90 Prozent der Information schlussendlich weggelassen.

dieStandard.at: Ein Nachteil könnte auch sein, dass ZuseherInnen ohne Streetball- oder HipHop-Wissen die Zusammenhänge nicht verstehen ...

Weingartner: Das ist sozusagen der Preis für diesen Zugang. Bei diesem Film trägt die ZuseherIn eben nicht 'Information' weg, sondern vermutlich eher ein Gefühl, dabei gewesen zu sein. Das war mir bei diesem Projekt wichtiger, ja. Ich wollte, dass die Leute ihre Geschichten selber erzählen.

dieStandard.at: Sie reflektieren in dem Film, dass junge Schwarze in den USA zwar sehr viel Aufmerksamkeit in der Werbung (z.B. von Nike) und via Images in der Musikindustrie bekommen (Gangsta-Rap), aber dass sich dieses 'kulturelle Kapital' eben nicht in einen sozio-ökonomischen Aufstieg überträgt ...

Weingartner: Ja, und das gilt auch für kulturelle Phänomene. Der maßgebliche Anteil von Schwarzen an der US-amerikanischen Musikgeschichte hat sich niemals in sozio-ökonomischen Austieg übertragen lassen. Das Entstehen von Streetball und die Vermarktung dessen wiederholt diesen Mechanismus einmal mehr. Seit der Kommerzialisierung von HipHop hat sich da meines Erachtens noch eine größere Schere aufgemacht: Einerseits diese starke Ikonographie des aggressiven, schwarzen Mannes via Gangsta-Rap, andererseits der riesengroße Anteil von AfroamerikanerInnen an jener Bevölkerungsschicht, die überhaupt nicht mehr an sozialem Aufstieg beteiligt ist. Im Zuge dessen ist eine Art ungewolltes Matriarchat entstanden, weil in vielen Communities nur mehr afro-amerikanische Frauen einer Lohnarbeit nachgehen. In New York sind zum Beispiel 52 Prozent aller schwarzen Männer arbeitslos, bei den Frauen sind es sehr viel weniger. Das mag wiederum mit der Werbung zusammenhängen, wo Afro-Amerikanerinnen nicht als 'die Gefährlichen' stilisiert werden. Frauen schlüpfen also immer häufiger in die Rolle der Familien-Ernährerin. Die Männer haben in der Familie ihre Position verloren. Indirekt sind an dieser Entwicklung wiederum die großen Sportartikelerzeuger beteiligt, denn diese haben sich in den 1980ern ja als erste von den amerikanischen Produktionsstädten verabschiedet, in der überwiegend Schwarze arbeiteten und eine untere Mittelschicht repräsentierten. Früher nannte man diese Entwicklung bezeichnenderweise sogar 'Nike economy'.

Aus soziologischer Sicht kann man sagen, dass durch diese hohen Arbeitslosenzahlen in den sogenannten Ghettos sehr viel Freizeit entstanden ist, die zur Ausformung neuer Sportarten wie etwa Streetball geführt haben. Das Gleiche lässt sich für HipHop oder Graffiti oder verschiedene Tanzstile aus der afroamerikanischen Community sagen. Das Skandalöse ist, dass diese Subkulturen kommerzialisiert werden, der Gewinn daraus aber nicht in diese Bevölkerungsschichten zurückkommt. Andererseits fallen durch die intensive Beschäftigung mit einer Sache auch ganz viele Chancen für die Jugendlichen im gesellschaftlichen Mainstream weg, klassische Berufsbilder wie LehrerIn etwa.

Diesen ganzen Zusammenhang habe ich für den Film erforscht und dann wieder fallen gelassen, weil ich zu dem Entschluss gekommen bin, dass die Gespräche, die dort stattfinden, stärker sind, als alles, was ich aus einer Cultural Studies-Perspektive davon erzählen kann. Für mich ist es politisch unglaublich wichtig, dass das auf der Leinwand stattfinden kann.

dieStandard.at: Welche Beweggründe gab es für die anderen Drehorte, Wien und Accra (Ghana)?

Weingartner: Ursprünglich ging es in dem Film auch um die Unterschiedlichkeit der Orte, wo Basketball gespielt wird. Wien zeigte sich als machistischer Ort, der wirklich alles abblockt, was nicht männlich ist bzw. in diesen strengen Codes verläuft. New York sehe ich als Mittelding, wo Frauen bereits als Teil der Community zugelassen werden und teilweise auch als Spielerin. Jedenfalls um einiges offener als in Wien. Und Accra als eine Stadt, wo Frauen ziemlich gleichberechtigt neben Männern spielen können. In Ghana wollten wir mit einer tollen, selbstbewussten Spielerin drehen. Unvorhersehbar war, dass unsere 'perfekte Besetzung' drei Wochen vor Drehbeginn in die Profiliga abberufen wurde, welche in Ghana vom Militär organisiert wird. Sie hat ihren Traumjob bekommen, aber für uns war es eine Katastrophe (lacht).

Was aber in Ghana sehr gut herausgekommen ist, dass dort noch sehr viel von den ursprünglichen Matriarchaten der verschiedenen Ethnien spürbar ist. Auf dem Basketballplatz waren die Jungen und Mädchen zum Beispiel auf eine Art gleichberechtigt, wie ich das noch nie irgendwo im Sport erlebt habe. In Ghana war es vor der Kolonialisierung so, dass die jungen Frauen in ihrer Familie blieben und die Kinder gemeinsam mit den Brüdern aufgezogen wurden. Die Onkel spielten also eine größere Rolle als die biologischen Väter dieser Kinder. Frauen können sich bis heute sehr schnell trennen von ihren Männern, haben ihr eigenes Konto, ihren eigenen Job.

dieStandard.at: Wie sieht es mit dem Basketball-Starsystem in den USA aus, welches ja offensichtlich Basketball-Fans aus der ganzen Welt motiviert. Steht das auch Frauen zur Verfügung?

Weingartner: Es gibt eine recht erfolgreiche W-NBA, mit guten Verträgen für die Spielerinnen und inzwischen auch ein gut funktionierendes College-Basketball-System für Frauen. Über Sport-Stipendien an gute Schulen zu kommen ist inzwischen auch für Frauen möglich. Aber natürlich gibt es nach wie vor sehr viel mehr Möglichkeiten für Männer.

dieStandard.at: Bei einer Szene im Film tanzt eine Mädchengruppe zwischen einem Streetball-Turnier in New York. Daraus könnte man recht klassische Geschlechterstereotypen vom aktiven, spielenden Mann und der körperlich Gefallen suchenden Frau herauslesen. Was hat es mit dieser Szene auf sich?

Weingartner: Natürlich ist es problematisch, dass die Mädchen tanzen und die Burschen Basketball spielen. Und es ist auch ein Fleischbeschau, aber der funktioniert gegenseitig zwischen den Geschlechtern. Wir hatten überhaupt die größten Probleme mit der Szene, weil wir die Rechte für den Song, zu dem die Mädchen ursprünglich tanzen (Missy Elliott), nicht bekommen haben. Für mich war es ein emanzipatorischer Tanz, aber natürlich auch im Zusammenhang mit der Musik und dem feministischen Text von Missy. Schließlich haben wir uns dazu entschlossen, den Tanz zu einer anderen Nummer zu schneiden. Ich habe in diesem Film wirklich um jede Einstellung mit einer Frau gekämpft. (Ina Freudenschuß, dieStandard.at, 11.1.2009)