Cannes - Nach der Meinung der Experten auf der diesjährigen internationalen Musikmesse MIDEM im französischen Cannes wird die entscheidende Innovation in der Musik nicht aus der Musikindustrie selbst, sondern von außen kommen. "Die sind nicht hier auf der MIDEM. Die arbeiten fleißig in irgendeiner Garage", sagte Terry McBride vom kanadischen Label "Nettwerk" auf die Frage, welche Innovation das Musikbusiness der Zukunft formen werde. Aber eines sei klar: "Entwickler werden dieses Business von außen so stark umwälzen, wie es noch nie zuvor geschehen ist. In einem Jahr werden wir auf der MIDEM über ein radikal anderes Musikbusiness reden."

Mobilität, lokale Inhalte

Dieses werde auf den Eckpunkten Mobilität, lokalem Content und neuen Formen des Musikbesitzes fußen, so die Expertenrunde. "Kontext ist König", brachten die Teilnehmer auf den Punkt, dass die Einnahmen immer mehr aus dem Umfeld der Musik und nicht aus dem Verkauf selbst generiert werden. Mit dem Kauf einer CD werde man künftig auch offiziell das Recht erwerben, die darauf enthaltene Musik auf allen Plattformen und Geräten, an allen Orten und auf allen Wegen zu nutzen, so McBride.

Der Weg in die Zukunft führe über den Fan: "Wenn man die Fans zum Teil des Gesamtbildes macht, bekommt man dafür von diesen tiefgreifendes Engagement. Und daraus kann man Einnahmen generieren", so Cohen. So kündigte etwa McBride an, dass es künftig nicht mehr nur "Remix"-Bewerbe geben wird, bei denen Fans die Musik ihrer Stars nach deren Erscheinen neu mischen können. Sondern "Premix-Contests": Er wolle die neue CD eines Rappers gleichzeitig in einem "offiziellen" Studiomix und von den Fans gemischt auf den Markt bringen, die Fans können also die Musik frei gestalten, ohne jene Version zum Vorbild zu haben, die der Künstler selbst veröffentlicht.

Strategien, um Musik zu verkaufen

Es habe in den vergangenen sechs Monaten eine Veränderung gegeben, sagte Bruce Houghton von "Skyline Music": "Das Musikbusiness hört plötzlich zu." Doch speziell im Bereich der mobilen Musik über Handys gebe es Mängel, sagte "Live 8"-Mitorganisator Harvey Goldsmith. "Die Handy-Unternehmen sollten doch schon längst die Welt übernommen haben", ätzte Goldsmith. "Aber nicht eines davon hat eine Strategie dafür, Musik zu verkaufen. Sie wollen Handys verkaufen, aber nicht einmal drei bis fünf Jahre bei einer Musikplattform bleiben." Doch laut Ralph Simon vom "Mobile Entertainment Forum" gebe es derzeit "erstmals wirkliche Musik-Profis bei den Handyfirmen".

Noch im Winterschlaf

Goldsmith warnt auch vor ungelösten rechtlichen Probleme: "Wir sind noch im Winterschlaf", sagte er. Denn "bei all dem Gerede" über plattformübergreifende, neue und innovative Wege des Musikkonsums werde vergessen, dass es bei jedem Song unzählige Rechteinhaber gibt. "Niemand sorgt sich derzeit darüber, wem was gehört. Aber sofort, wenn ein neues Konzept erfolgreich wird, ergibt das ein wirkliches Problem"- denn dann werde der Streit über die Beteiligung an den Einnahmen losgehen.

Trost für die Musikindustrie hatte zuletzt Zukunftsforscher David Smith ("Global Futures and Foresight") über - sie sei mit ihrer Innovations-Trägheit nicht alleine. Auch die Ketchup-Industrie sei mit einer ganz schlechten Idee gestartet, einer Glasflasche, aus der die rote Sauce nur schwer herauszubekommen war. Die Lösung war einfach - aber bis jemand auf die Idee kam, stattdessen zusammendrückbare Plastikflaschen auf den Kopf zu stellen, "dauerte es 130 Jahre".