Bildhauer, Freund von Perlenketten und Linzer Turmeremit: Bernhard Gwiggner.

 

 

Foto: Gwiggner

Linz - Die Tage der Einsamkeit begannen für Bernhard Gwiggner in der Adventzeit. Am 12. Dezember kehrte eine plötzliche Stille in das Leben des Salzburger Bildhauers ein. Kein Handy, kein Computer, kein Kontakt zu Familie und Freunden. Doch was hier mitleiderregend anmutet, war letztlich eine freie Entscheidung. Bernhard Gwiggner war einer der ersten Teilnehmer des Linz09-Projektes "Der Turmeremit". Für eine Woche zog der 46-Jährige in die sogenannte Türmerstube im Linzer Mariendom - 69 Meter über den Dächern der Großstadt und exakt 395 Stufen von der Zivilisation entfernt.

"Für mich ist ein Traum in Erfüllung gegangen. Mich hat das Projekt von Anfang an fasziniert. Dieses Ausbrechen aus dem hektischen Alltag, kein Hecheln mehr nach Aktualität", beschreibt Gwiggner im Standard-Gespräch die Beweggründe für seine Bewerbung als "Hobby-Einsiedler". Geklappt hat es schließlich aber erst im zweiten Anlauf. Gwiggner: "Ein Teilnehmer hat abgesagt, und so hat sich die Diözese Linz bei mir gemeldet."

Stille unter der Kirchenglocke

Bedenken gab es trotz Vorfreude aber dennoch. Nur betrafen diese eher weniger die Stille in luftiger Höhe, sondern vielmehr den Klang der mächtigen Immaculata-Glocke. "Da hatte ich wirklich Angst, dass mir das vielleicht zu laut wird und ich in der Nacht nicht schlafen kann. Aber das Hirn hat das Geläute ausgeblendet, und es war eigentlich kein Problem", erzählt Gwiggner.

Fixpunkt gibt es für die Eremiten eigentlich nur einen: das Mittagessen. "Pünktlich um 12.15 bin ich immer nach unten gewandert. Nach einem kurzen Gespräch mit meinem geistlichen Begleiter habe ich dann das Essen in Empfang genommen - täglich zwei Menüs zur Auswahl", so Gwiggner. Doch neben den versorgungstechnischen Mühen im Treppenhaus bescherte auch der Alltag in der acht Quadratmeter großen Stube kleine Probleme: "Vor allem das Waschen war eine Strapaze, so ohne Dusche und nur mit einem Waschbecken."

Neben der Körperhygiene und dem mitunter kraftraubenden Fußmarsch hinab zum Eremitenmenü blieb für den Bildhauer aber genug Zeit, an seinem eigentlichen Ziel des Turmausflugs zu arbeiten: der geistigen Bewegung. Treibstoff dafür waren fünf Bücher. "Unter anderem habe ich das jüngste Buch von Hans Belting 'Florenz und Bagdad' gelesen", erzählt der Max-Weiler-Preisträger.

Und neben seinen literarischen Genüssen frönte Gwiggner hoch oben im Turm noch einer ganz besonderen Leidenschaft: dem Basteln von Papierfliegern. Nein, nicht einfache Faltmodelle um den Domtauben Paroli bieten zu können. Gwiggner schrieb Teile aus dem Buch Kohelet aus dem Alten Testament mit Tinte auf Transparentpapier und faltete daraus seine Flieger. "Es waren verdammt viele, jeden einzelnen Start vom Balkon der Türmerstube habe ich gefilmt. Das allein sind schon sechs Stunden Material", lacht Gwiggner.

Musikalische Sehnsüchte

Momente, in denen die vollkommene Einsamkeit zur Last wurde, habe es nie gegeben. Gwiggner: "Vielmehr habe ich diese Ruhe genossen. Außerdem bin ich die Einsamkeit auch gewohnt - in meinem Atelier arbeite ich ja auch allein." Abgegangen ist dem Assistenten für Bildhauerei am Salzburger "Mozarteum" dennoch etwas: "die Musik. Ein bisschen Klassik wäre manchmal fein gewesen."

Doch auch die Glockenschläge dürften - sofern vom Hirn nicht "ausgeblendet" - auf den Künstler entsprechend gewirkt haben: "Es ist einfach faszinierend, wie sich diese Klänge in einem Kirchturm ausbreiten." Ob er in das Eremiten-tagebuch gute Tipps oder gar "Überlebensstrategien" für Nachfolger geschrieben habe? Gwiggner: "Nein, da muss jeder für sich seinen Weg finden. Aber natürlich schaut man gleich nach, was die Vorgänger so erlebt und niedergeschrieben haben." (Markus Rohrhofer / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22.1.2009)