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Pröll und Faymann beim Nachtslalom in der "Heilen Welt der Alpen".

Foto: APA/Pfarrhofer

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Bundespräsident Heinz Fischer inmitten der Exkanzler Wolfgang Schüssel und Alfred Gusenbauer beim Schladminger Slalom 2006: Das Klischee des sauberen Skihelden zieht immer noch.

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Politiker lockt der Glanz der Skistars, die so ganz anders wirken als sie selbst.

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Wien - Ein Österreicher stand am Treppchen ganz oben. Trotzdem stimmten die Fans ein Pfeifkonzert an. Gemeint waren allerdings nicht die Skistars bei der Siegerehrung, sondern der etwas unsportlichere Herr im roten Anorak, der die Pokale überreichen wollte: Alfred Gusenbauer, vor einem Jahr noch Bundeskanzler Österreichs.

Es passt zu Gusenbauers verkorkster Amtszeit, dass selbst ein vermeintliches Heimspiel zum Debakel geriet. Denn eigentlich pilgern Politiker Jahr für Jahr auch deshalb zum Nachtslalom nach Schladming, um von Ruhm und Glanz der Sportheroen ein paar Strahlen abzubekommen. Regierungschef Werner Faymann (SPÖ) ließ sich das Rennen am Dienstag ebenso wenig entgehen wie Vize Josef Pröll (ÖVP). Nur Präsident Heinz Fischer, in vergangenen Jahren mit Pudelhaube und Flagge gerne in der ersten Reihe, zog dieses Jahr das kaum weniger publicityträchtige Event in Kitzbühel vor.

Ein Mehrwert derartiger Auftritte lässt sich an nackten Zahlen ablesen: Über eineinhalb Millionen Menschen verfolgen via ORF das populärste Skirennen der Welt - da lächelt jeder Politiker gerne von der Mattscheibe, vor allem, wenn sich im Hintergrund 40.000 die Seele aus dem Leib brüllen. Nationaler Taumel gilt seit jeher als probates Mittel, um von realen Sorgen abzulenken. Und vom Image der heimischen Schneeartisten können Volksvertreter, sofern es denn abfärbt, nur profitieren. Die kernigen Burschen und feschen Madln des ÖSV verkörperten genau das, was Politikern landläufig abgesprochen werde, meint der Politologe Georg Spitaler: "Authentizität, Ehrlichkeit, Unverbrauchtheit."

Heile Welt der Alpen

Die Alpen als unkorrumpierbarer Rückzugsraum, der allem Schlechten, das etwa aus den Städten kommt, trotzt: Diesen "Heile Welt"-Mythos sieht Spitaler als festen Bestandteil der österreichischen Identität. Ins Extreme steigerte sich dieses Selbstverständnis, als die Nationalsozialisten den Alpinismus für ihre Propaganda einspannten, danach setzte sich die Tradition in abgemilderter Form fort. Nicht zufällig avancierte Toni Sailer in den Fünfzigern zu einem der ersten echten Medienstars der Zweiten Republik.

Heute rasen medial gecoachte Spitzenverdiener über plattgewalzte Berghänge in die verbauten Täler; statt Rot-Weiß-Rot tragen sie die Embleme ihrer Sponsoren am Helm. Trotzdem hat das Klischee des "reinen" Skihelden überlebt - und wird politisch ausgeschlachtet. Eine Pionierrolle schreibt Spitaler dabei der FPÖ zu. Schon in uralten Strategiepapieren strebten die Blauen ein Image "wie Franz Klammer" an, später rekrutierten sie mit Patrick Ortlieb sogar einen Abfahrtsolympiasieger (der sich im Parlament freilich als Nachzügler entpuppte). Jörg Haider selbst inszenierte sich mehr wie ein Sportstar als wie einer jener "Alt- Politiker", über die er stets herzog.

700.000 Schilling an Spesen gab die schwarz-blaue Regierung anno 2001 aus, um der Ski-Weltmeisterschaft in St. Anton am Arlberg ihre mediengerechte Aufwartung zu machen. Kanzler und Minister setzten vor Kameras ein paar gekonnte Schwünge in die Piste, bewarfen sich neckisch mit Schneebällen und schlürften - ein demonstrativer Kontrast zur internationalen Ächtung der ÖVP-FPÖ-Koalition - mit eingeflogenen Ehrengästen Sekt. Am Höhepunkt des WM-Trubels mahnte Kanzler Wolfgang Schüssel schließlich die Journalisten via Fernsehen, doch nicht immer so garstig über "unsere Heimat" zu schreiben.

Können die Politiker nicht anders? Muss ein gestandener Volksvertreter in Schladming oder Kitz in die Kameras winken, wenn er nicht als Antipatriot gelten will? Der römische Schriftsteller Sueton berichtete davon, dass sich sogar Julius Cäsar Tadel eingehandelt habe, weil er während der Spiele nicht jede Minute im Stadion verbrachte, sondern sich auch "die Zeit nahm, Briefe und Bittschriften zu lesen und zu beantworten". Modernere Gelehrte urteilen entspannter: "Vielleicht würde es gar nicht auffallen, wenn ein Politiker nicht auftaucht", meint der Politologe Spitaler, der zum Thema ein Buch geschrieben hat ("Authentischer Sport - inszenierte Politik?", 2005), und verweist auf das Risiko der Peinlichkeit: Wer sich zu offensichtlich einschleimt, kann sich ganz schnell blamieren.

Fansektor statt VIP-Lounge

Kanzler Faymann, der sich jeden Mucks in der Öffentlichkeit dreimal überlegt, steuert auch die Skievents nicht unbedarft an. Kitzbühel ließ der um sein Image als Volkskanzler bemühte Regierungschef aus, weil das - wie seine Sprecherin sagt - "gar so ein Promiauflauf ist". In Schladming verbat sich Faymann einen Platz in der VIP-Lounge, um sich stattdessen "unter die Leute zu mischen".

Auch Gusenbauer gab sich in den Zielräumen und Stadions volkstümlich - mitunter zu sehr. In Kitzbühel tauchte er einmal mit einem offiziellen Anorak des Skiverbandes inklusive Iglo- und Kronen Zeitung-Werbung auf, was ihm in den Medien prompt als Anbiederung ausgelegt wurde. Ähnlich war die Reaktion, als Gusenbauer den Spielern des Fußballklubs Rapid partout die Meisterschale übergeben wollte. Die Freude des Rapidfans war vermutlich ehrlich, dennoch ging es ihm wie in Schladming: Er wurde ausgepfiffen. (Gerald John/DER STANDARD Printausgabe, 28. Jänner 2009)