Die Sozialwissenschafterin und Projektmanagerin Ulrike Karl ist einen steinigeren Weg gegangen als viele andere Menschen. "Ich habe - aufgrund meiner fünf Kinder - einen typisch weiblichen, brüchigen Lebensweg gemacht", erzählt sie in einem auf die Sache konzentrierten Stakkato, "und ich würde ganz krass zwischen dem linearen, ,männlichen' Karrierestil, und dem weiblichen unterscheiden." Sie hat den Spagat zwischen Ehe, Kindern und Beruf gelebt und die harten Konsequenzen einer naiven Entscheidung getragen.

Die Internatsschülerin aus Murau heiratete "leichtsinnigerweise gleich nach der Matura". Mit 19 Jahren bekam sie ihr erstes Kind, und dann in schneller Reihenfolge vier weitere. - Familienglück? Eher nicht. Ulrike kochte, putzte und wusch. Die Kinder wurden immer größer, und die wirtschaftliche Perspektive der Familie im Südburgenland war gering.

Es war aber die "fundamentalistisch-christliche Geisteshaltung" ihres Ehegatten, die sie dazu veranlasste, eines Abends "mit einem Koffer in der Hand" das Haus zu verlassen - obwohl sie wusste, dass sie das ohne ihre Kinder tun musste: "Ich konnte es einfach nicht länger ertragen." In ihrer Stimme schwingt heute noch ein Ton Bitterkeit mit.

Studium in Budapest

Ulrike Karl startete im Alter von 30 Jahren eine neue Existenz, indem sie am Institut für Philosophie der Uni Graz "das einzige Studium, das ich mir damals zutraute" - Bildungs-und Sozialwissenschaften - inskribierte. Was anfangs wie eine Notlösung erschien, entpuppte sich als nachhaltig richtige Wahl: Denn Karl bekam die Möglichkeit, für ihre Diplomarbeit an der Universität Budapest zu recherchieren. Durch ihre Forschungsarbeiten zur Integration von im Kommunismus ausgebildeten Arbeitskräften in das westliche Wirtschaftssystem bekam sie ein fundiertes Verständnis von der Logik einer ehemals sozialistischen Gesellschaft.

Sie lernte perfekt Ungarisch und eröffnete sich "aufgrund meiner Neugierde" auch Kontakt zu internationalen Wirtschaftstreibenden. Ein wertvolles Asset, musste sie doch Unterhalt für ihre in Österreich gebliebenen Kinder leisten. Sie lächelt, nachdenklich: "Ich musste nicht nur ein bisschen, sondern viel Geld verdienen."

Sie begann, für Investoren Standort- und Grundlagen- ermittlung durchzuführen, und wurde schließlich Teilhaberin eines Architekturbüros, das Hotel-, Wohn-, Automobil-, Kultur- sowie Weiterbildungsprojekte für Ingenieure in Ungarn realisierte. "Mein gutes Gefühl für diese blumige, vieldeutige Sprache war das Kapital bei Verhandlungen", blickt Ulrike Karl auf die Jahre in Budapest zurück.

Organisationstalent

Es war wohl der Ruf ihrer Kinder, die wieder mit ihr zusammenleben wollten, der sie veranlasste, trotz ihres guten Auskommens nach Wien zurückzukehren. Job hat sie hier noch keinen, "aber meine Kinder habe ich alle wieder", freut sich Ulrike Karl, "und das ist das Größte."

Der Bezug zum Osten und zur Wissenschaft ist nach wie vor aufrecht. Derzeit recherchiert sie für ihre Doktorarbeit über Humankapital in EU-Kandidatenländern. Aus der Praxis weiß sie, wie wichtig es ist für Investoren, ihre Partner vor Ort zu kennen und zu verstehen, wenn ein Geschäft zu-stande kommen soll.

Ihre Berufsplanung sieht sie nicht branchenfixiert: "Wenn man gut organisieren und koordinieren kann, ist es zweitrangig, in welchem Bereich man das tut." Sie könnte sich auch vorstellen, einen Familienbetrieb, den die Nachkommen nicht übernehmen wollen, weiterzuführen.

Beharrlich nachfragende Neugierige erfahren aber auch Lebensträume, die nicht auf ökonomischer Notwendigkeit beruhen: "Ich würde liebend gerne mein eigenes Hotel führen oder aber eine Radioshow moderieren", gibt sie zu, "das liegt wahrscheinlich an meinem Interesse für menschliche Beziehungen." Nachweisbarer, sichtbarer Erfolg ist dabei für die heute 40-Jährige weniger wichtig "als die persönliche Gewissheit, die einzig richtige Entscheidung getroffen zu haben". (DER STANDARD, Printausgabe, 8./9.3.2003, Eva Stanzl)