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Peter Schuster: "Sicher ist, dass die Akademie als Forschungsträger mit nur 73 Millionen Euro nicht auskommen kann."

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STANDARD: Wenn man über Charles Darwin und die Evolutionstheorie spricht, hat man primär die Biologie im Kopf. Sie befassen sich als Chemiker jedoch ebenfalls seit vielen Jahren mit Darwin. Was hat Chemie mit Evolution zu tun?

Schuster: Wenn man die Voraussetzungen für Darwins Evolutionslehre diskutiert, so findet man im Wesentlichen drei Notwendigkeiten. Die erste ist die Fähigkeit zur Vermehrung. Dann braucht es als zweite Voraussetzung Variation. Das heißt: Es dürfen nicht alle Vermehrungen so ablaufen, dass die Nachkommen identisch sind mit den Vorfahren; es muss Unterschiede geben, die beispielsweise durch Kopierfehler entstehen. Und die dritte Notwendigkeit besteht darin, dass wir nur endliche Ressourcen haben. Sind diese drei Voraussetzungen erfüllt, dann wird die Auswahl jener Varianten automatisch eintreten, die sich am raschesten vermehren und in den nächsten Generationen die meisten Nachkommen haben. Vermehrung, Variation und Endlichkeit gibt es auch bei Molekülen. Und schon sind wir bei der Chemie.

STANDARD: Das Ganze ist aber sehr theoretisch. Können Sie ein wenig in die Praxis gehen?

Schuster: Biochemiker machen viele Experimente, die mit dem Darwin'schen Modell vorhergesehen und beschrieben werden können. Die ältesten Versuche dieser Art wurden schon um 1965 durchgeführt. Man ist auf die Idee gekommen, das Darwin'sche Modell im Reagenzglas nachzubauen und zwar mithilfe von Ribonukleinsäuremolekülen, das sind ganz ähnliche Moleküle, wie die DNA-Moleküle, welche die genetische Information von Bakterien bis zum Menschen in sich tragen. Man hat die einzelnen Bausteine für die Vermehrung und ein Proteinmolekül, das die Vermehrung ermöglicht, zusammen mit RNA in ein Reagenzglas getan. Sofort setzte Vermehrung ein, und die Materialien waren schnell aufgebraucht. Dann wurde eine kleine Probe entnommen und in ein neues Reagenzglas mit Nährlösung gegeben, dort spielte sich dasselbe ab, es wurde wieder überimpft und so weiter und so fort. Am Schluss sind RNA-Moleküle entstanden, die sich zehnmal so rasch vermehrt haben wie die ursprünglichen.

STANDARD: Wozu braucht man das?

Schuster: Man hat entdeckt, dass man dieses Prinzip in der Chemie dazu nutzen kann, um Moleküle mit vorherbestimmten Eigenschaften auf einfache Art und Weise zu züchten. Will ich zum Beispiel Moleküle haben, die ein anderes Molekül erkennen und besonders stark daran binden, dann kann man das mit dieser Methode realisieren. Eine nützliche Anwendung gibt es in der Medizin, wenn man im Körper die Anwesenheit bestimmter Metaboliten diagnostizieren möchte, zum Beispiel Moleküle, die bei bestimmten Stoffwechselanomalien entstehen. Mithilfe der beschriebenen Experimente können Medikamente zielgerichtet gegen bestimmte Stoffe entwickelt werden. Die Methode selbst heißt Selex.

STANDARD: Und was heißt Selex?

Schuster: "Selection by exponential enrichment", zu Deutsch also Auslese durch exponentielle Verstärkung. Das exponentielle Wachstum ist das Grundsätzliche bei jeder Vermehrung. Aus eins mach zwei, aus zwei vier, aus vier acht und so weiter. Diese Exponentialfunktion finden wir bei jedem Vermehrungsvorgang - Selex ist universell. Es gibt sogar Waschmittel mit besonderen Eigenschaften, deren molekulare Bestandteile nach dem Darwin'schen Prinzip gezüchtet wurden.

STANDARD: Sind Sie bei Ihrer Arbeiten schon an die Grenzen von Darwins Evolutionstheorie gestoßen?

Schuster: Darwin macht seine Vorhersagen immer in Bezug auf ganz bestimmte Voraussetzungen. Und sein Prinzip geht weit über die Biologie hinaus. Auch in der Physik findet man es. Es gibt aber natürlich Situationen, in denen Optimierung nicht eintritt, weil es zum Beispiel gegenseitige Abhängigkeiten gibt. Die schönsten Beispiele in der Natur sind die Symbiosen. Organismen, die in einer Symbiose miteinander verbunden sind, konkurrieren nicht miteinander. Gegenseitige Abhängigkeit unterdrückt hier sowohl Konkurrenz als auch Optimierung. Was öfters auch noch im Widerspruch zum Darwin'schen Prinzip gesehen wird, sind Vorgänge, bei denen nicht optimiert wird, weil Zufallsereignisse die Prozesse vollständig dominieren.

STANDARD: Wie sieht es eigentlich mit der Optimierung der österreichischen Forschung durch die Akademie der Wissenschaften aus? Im Frühjahr steht die Neuwahl des Präsidiums an. Werden Sie noch einmal als Präsident kandidieren?

Schuster: Nein. Ich bin 68 Jahre alt, werde im Herbst emeritieren und vertrete die Meinung, dass Präsidialmitglieder der Akademie aktive Wissenschafter sein müssen. Die Emeriti sollen, wenn gewünscht, als Ratgeber zur Verfügung stehen. Schon im Sommer des Vorjahres habe ich mich entschlossen, nicht mehr für eine weitere Funktion im Präsidium zur Verfügung zu stehen.

STANDARD: Vergangenes Jahr erhielt die Akademie vom Ministerium 83 Millionen Euro, für heuer waren 106 Millionen zugesagt, nun sind es aber nur 73 Millionen. Wird die Akademie damit dem Selektionsdruck in der Welt der Wissenschaft standhalten können?

Schuster: Sie sind richtig informiert über die Zahlen, aber nach Auskunft der für uns zuständigen Beamten und des Wissenschaftsministers ist hier das letzte Wort noch nicht gesprochen. Sicher ist aber, dass die Akademie als Forschungsträger mit nur 73 Millionen Euro nicht auskommen kann. Gegenwärtig haben wir überhaupt noch kein Budget 2009 und erhalten nur Jahreszwölftel von weniger als der Hälfte des Vorjahresbudgets. Daher können wir nur ein Notprogramm fahren, welches zwar die Personalkosten bezahlt, aber Materialkosten nur in Einzelfällen bedecken kann, in denen es absolut keine anderen Quellen gibt. Mit dieser Maßnahme, die für die Forschung alles andere als optimal ist, können wir noch ein paar Monate durchhalten. (Andreas Feiertag/DER STANDARD, Printausgabe, 04.02.2009)