Karlsruhe - In einer Anhörung zum EU-Reformvertrag von Lissabon vor dem deutschen Verfassungsgericht haben die Kläger massive Kritik am Europäischen Gerichtshof (EuGH) geübt. Das Luxemburger Gericht räume der EU Zuständigkeiten ein, die dem Wortlaut der geltenden Verträge widersprächen, sagte Dietrich Murswiek, juristischer Vertreter des CSU-Bundestags-Abgeordneten Peter Gauweiler, am Mittwoch in Karlsruhe.

Der Freiburger Professor verwies in Karlsruhe auf die EuGH-Entscheidung vom Dienstag zur Speicherung von Telefon- und Handyverbindungsdaten. Der EuGH habe die EU-Zuständigkeit für diese - eigentlich zur Terrorbekämpfung gedachten - Richtlinie mit der Harmonisierung des Binnenmarkts begründet. "Das ist ein eklatanter Missbrauch." Der EuGH sei "keine neutrale Instanz" und damit kein geeigneter Hüter einer korrekten Verteilung der Zuständigkeiten zwischen EU und Mitgliedstaaten. Die Vertreter der Bundesregierung und des Bundestages betonten dagegen, dass der EuGH ausdrücklich nichts zum Grundrechtseingriff entschieden habe. Das Verfahren gegen das deutsche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung, das die EU-Richtlinie umsetzt, ist vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig.

Murswiek erklärte, dass bereits heute 80 Prozent der Gesetze von EU-Recht beeinflusst seien. Der Vertreter des Bundestages, Ingolf Pernice, bezeichnete diese Zahl dagegen als "Mythos" und zitierte Untersuchungen, wonach nur etwa zehn Prozent der nationalen Gesetzgebung EU-Recht umsetzten.

Anders als am ersten Verhandlungstag richteten sich die skeptischen Fragen der Richter auch gegen die Kläger. Berichterstatter Udo di Fabio fragte den Prozessvertreter Gauweilers, ob es nicht überzeichnet sei, wenn er die Rechte des Bundestags angesichts des Europarechts als entleert sehe. Gertrude Lübbe-Wolff fragte, weshalb die schon bisher geltende Kontrolle des Bundesverfassungsgerichts bei Kompetenzüberschreitungen der EU nicht mehr genügen solle.

Fragen zur Sterbehilfe

Richter Herbert Landau warf dagegen die Frage auf, ob das Europarecht bereits das deutsche Recht zur Sterbehilfe überlagere. Sterbehilfevereine aus EU-Mitgliedsstaaten müssten möglicherweise in Deutschland zugelassen werden, weil andernfalls die Dienstleistungsfreiheit eingeschränkt werde. Der Grünen-Abgeordnete Jerzy Montag verneinte das. Er warb in der Verhandlung nachdrücklich für das Vertragswerk. Anders als von den Klägern behauptet, würden die Rechte des Bundestags nicht etwa geschwächt, sondern gestärkt. So sei erstmals eine Klage des Parlaments wegen Kompetenzüberschreitung gegen die EU möglich.

Das 2007 in Lissabon unterzeichnete Vertragswerk soll von 2010 an die auf 27 Mitglieder angewachsene EU handlungsfähiger machen. Das höchste deutsche Gericht prüft seit Dienstag, ob es die Souveränität Deutschlands zu stark einschränkt.

Gegen die Umsetzung des Vertrags haben in Deutschland ganz unterschiedliche politische Kräfte geklagt. Da sind zum einen der konservative CSU-Abgeordnete Gauweiler und eine Gruppe um den Ex-CSU-Europaparlamentarier Franz Ludwig Graf von Stauffenberg. Zum anderen hat auch die Linksfraktion im Deutschen Bundestag geklagt. Ein Urteil wird erst in einigen Monaten erwartet. (APA/dpa/AP)