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Manche Menschen lieben Krokodile, andere hassen sie. Ich bin bekennend krokophob. Erstens mag ich keine grünen Tiere. Zweitens mag ich keine Tiere mit mehr als vier Dutzend Zähnen. Drittens mag ich keine Tiere, die sich als schwimmende Baumstämme tarnen, in Wahrheit aber mit ihren Glupschern nach dem nächsten Opfer äugen, und dann: schnapp! Das ist ein Verhalten, das etwas sehr Hinterfotziges ha

Aus all diesen Gründen war ich nicht amüsiert, als beim letzten Zahnarztbesuch über den Flachbildschirm im Wartezimmer eine Krokodil-Doku der BBC eingespielt wurde. Sie zeigte ein Krokodil in einem Sumpfloch in Afrika, das einer Herde Gnus auflauerte. Kaum war das erste Gnu in Bissweite, da wurde es auch schon - schnapp! - zur Strecke gebracht. Solche Filme will ich als Einstimmung auf eine Zahnbehandlung eher nicht sehen. Zu aggressiv, zu viele Zähne. Wenn es denn überhaupt eine Tierdoku sein muss, dann möglichst eine über zahnlose Tiere, Muscheln oder Marienkäfer meinetwegen.

Für eine solche kleine Dentalkrise muss aber auch inmitten der großen Finanzkrise noch Platz sein. Davon abgesehen habe ich über die heutigen Zahnärzte nichts zu klagen. In meiner Jugend hingegen war der Besuch bei Dr. K. stets ein sinistres Erlebnis. Ich glaube, K. hätte Fleischhauer oder Fremdenlegionär werden wollen, doch sie nahmen ihn nicht, und das verbitterte ihn. Er haderte mit seinen Patienten. Kariöse Stellen empfand er als zwischenmenschlich unfair, ja als persönlichen Affront. Als er einmal ein winziges Kariesfleckchen bei mir entdeckte, geriet er regelrecht in Rage, zischte mir "So verrottet ein Gebiss!" zu und setzte zu etwas an, was ich als Strafbohrung interpretierte, bei der mir Hören und Sehen verging. Die alte zahnärztliche Schule also, ganz vom Typus Schock-Doc.

Heute steht ja zum Glück beim Zahnarzt mehr der Eventcharakter im Vordergrund. Schmerzfreiheit ist meist garantiert, Unterhaltung ebenso. Es gibt den Flachbildschirm, und der Patient wird mit Gandalf oder anderen New-Age-Klängen zugedudelt. Wahrscheinlich hat der Zahnarzt eine Zusatzausbildung in Hypnotherapie und kann Bachblüten mischen wie ein junger Gott. Finde ich alles prima, und an alle Zahnärzte unter den Lesern Dank für diese stete Humanisierung der Arzt-Patienten-Beziehung. Bei der Gelegenheit aber auch eine Bitte: Den Film mit dem Kroko auf keinen Fall mehr einspielen. (Christoph Winder, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 21./22.09.2008)