Das New Yorker Duo Telepathe aus dem Trendbezirk Brooklyn lässt kauzige Weirdo-Folk-Sounds auf den Dancefloor krachen.

Foto: Universal

Schon wieder ein Album des Jahres


Und täglich brummt Brooklyn: Kaum eine Woche vergeht, in der nicht die Kunde von einer neuen, die Genres dehnenden und mindestens den Planeten aus den Angeln hebenden Combo aus dem New Yorker Trendbezirk die Welt erreicht. In den vergangenen Jahren, Monaten und Minuten war da immer wieder die Rede von Bands als Formenwandlern, die in ihren Soundentwürfen aus den unterschiedlichsten Ecken zusammengetragene Klangmaterialien und Art-School-Gehabe kurzschließen. Egal, ob Black Dice zwischen Noise und Ambient oszillieren, das Duo High Places an schepperndem Lo-Fi-Pop schmiedet oder, allen voran, die beiden großen Grenzenverwischer unserer Zeit, TV on the Radio und Animal Collective, den ganz mächtigen Eintopf aus diesem, jenem und fast allem anderen kochen - die Aufregung ist meist wenigstens eine mittelgewaltige, wenn wieder einmal ein nicht sofort zuordenbares Fiepsen einer Band entfährt, die irgendwann mit dem Bus durch Brooklyn gegondelt ist.

Wenn nun das Duo Telepathe, das ebenjener Szene zwischen Ausdruckstanz, von Trommelwirbel begleiteter Performance, Elektronik und folkgeschwängertem Hippie-Chic entspringt und das bislang mit einigen Kurzveröffentlichungen von sich hat reden machen lassen, dieser Tage sein Debütalbum in die Regale stellt, ist selbstredend schon Wochen vorher der Hype durch die vernetzte Blogwelt gepoltert. Nicht zuletzt, da die Platte mit Unterstützung diverser Szeneprominenz entstanden ist. Große Erwartungen.

Die bisherigen Veröffentlichungen von Telepathe dürfen dabei als bloße Skizzen für nun Folgendes gelten. Während die EP "Farewell Forest" und die Single "Sinister Militia" noch von Reduktion, versponnenem Folk der Marke New Weird America und Rasseln und Rascheln im Gebüsch geprägt waren, kündigten die im vergangenen Jahr da und dort aufgetauchten Vorboten auf den ersten Longplayer der Band, dezent auf den Discoboden für besonders Begabte schielend, einen Richtungswechsel an. "Dance Mother" nennt sich nun die Platte und legt somit im Titel nahe, dass hier ein Interesse an Tanzmusik gewachsen ist.

Busy Gangnes und Melissa Livaudais, die beiden Damen hinter Telepathe, erfreuen sich neuerdings also am Beat. Da wird an Powerbook und elektronischem Drumkit ein Rumpeln und Poltern zusammengeklopft, das sich an den verstolperten Rhythmen von britischem Dubstep ebenso abarbeitet wie an synthiegetriebenem Südstaaten-HipHop. Das alles freilich in der New Yorker Lo-Fi-Variante, über drei Ecken aus einem selten besuchten Abendkurs abgeschrieben. Über die betont karge Produktion schieben sich sinistre Ambient-Flächen aus dem Geister-House, bisweilen eingestreute Gitarrensplitter und monotoner Singsang.

Die Arbeit an den Reglern hat David Sitek besorgt, seines Zeichens notorischer Soundtüftler bei TV on the Radio, und so die Platte mit allerlei Klangwundern aus dem analogen Gerätepark ausstaffiert; Siteks Bandkollege Kyp Malone spendet Gastgesang, ebenso wie Shannon Funchess von !!!. Fertig ist der Cliqueninzest. Was jedoch am Ende rauskommt, ist kein auf Zwangsoriginalität getrimmtes Überraschungsei, sondern eine Platte, die unter vordergründiger Monotonie einen Bogen von minimalistisch pulsierendem Maschinenrattern über Düster-Folk hin zu Synthiepop und dem total realen Schrottplatz-Groove zu spannen vermag. Neben dem jüngsten Meisterwerk von Animal Collectice ein frühes Highlight dieses Jahres. (Philipp L'Heritier / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27.2.2009)