Wer meint, Grischkowez, der sich durch rüde Theatermonologe wie "Wie ich einen Hund gegessen habe" als Off-Bühnenautor Kultstatus erschrieb, würde das Grobe, Plakative und Krude seiner Stücke, in denen er Erfahrungen seiner Militärzeit auf die Bretter wuchtete - vom Über-Bord-Urinieren in Kompaniestärke, um, so die Vorgesetzten, "den Chinesen abzuschrecken" , nächtliche Filmvorführungen, die schier endlose, zigfach wiederholte Disziplinierungen zeigten, bis zum kulinarisch gewöhnungsbedürftigen Menu des treuesten tierischen Begleiters der Menschen -, repetiere dieses Skandalprinzip auch in seiner Prosa, der sieht sich getäuscht. Angenehm getäuscht. Und überrascht von der Sprache und von der Mildheit, mit der Grischkowez erzählt.

Er erzählt von einem Tag im Leben Moskaus, von einem Tag im Leben Saschas, eines nicht übermäßig erfolgreichen Architekten. Dieser wacht morgens auf und lamentiert. Denn aus der Provinz fliegt sein bester Freund Maxim ein - zu Saschas Leidwesen. Maxim erwartet von Sascha: um die Häuser ziehen, in die angesagten Nachtclubs gehen, VIPs kennenlernen, flirten, Frauen abschleppen mit ihrer Hemingway-Masche (einfühlsam, aber männlich und erotisch durchaus zielgerichtet). Doch Sascha passt das nicht, ist er doch verliebt. Die Frau aber, für die er so sehr und ihn so sehr überwältigend entflammt ist, hat er nur drei-, viermal gesehen. Er hat sich für den Abend mit ihr, die eigentlich anderweitig liiert ist, verabredet, wird allerdings in der Bar vergeblich auf sie warten. Davor passiert nichts Außergewöhnliches. Er holt Max am Flughafen ab, sie trennen sich, treffen sich wieder, Sascha sorgt auf einer von ihm betreuten Baustelle für Ordnung, beruhigt seinen Bauleiter, tröstet dessen Frau, geht mit Freund Max auf nächtliche Sauftour, wird auf einer breiten Straße in einen Massenunfall verwickelt, aber dabei kaum verletzt. Und liefert schließlich Max bei dessen Verwandten ab.

Ein Stadtroman also? Nein. Denn Moskau gewinnt kaum Konturen, es könnte ebenso gut London sein oder Paris, die nouveaux riches, auf die sich Sascha als Klientel einlassen muss, könnten in Santa Monica leben. Nur eines ragt heraus und sorgt bei Sascha für Beunruhigung. Den ganzen Tag über wird er von einem mysteriösen Mann in einem schwarzen Mercedes verfolgt, ein, wie sich herausstellt, bezahlter Beschatter, dessen Auftraggeber im Numinosen bleibt. Ganz und gar nicht numinos ist dagegen die schwärmerische sentimentale Freundschaft. Ist die Nabelschau, die Sascha betreibt, sind seine kriegerischen Tagträume, das Nachsinnen über Talent und dessen Mangel, über Beziehungen, die Provinz und die Großstadt. Im Gegensatz zu den Grotesken Vladimir Sorokins oder den Vampiretüden Viktor Pelewins ist Grischkowez' Kritik am Putin-Russland leicht, täuschend leicht, weil in einen unterhaltsamen Kokon eingesponnen. Allerdings ist sie nicht weniger beißend. Der Kreml, schau der Kreml!, ruft an einer Stelle Max. Was auf Wenedikt Jerofejews großartiges Säuferpoem in Prosa "Moskau - Petuški" verweist, in dem der Protagonist, weil stets betrunken, den Kreml nie zu sehen bekommt.

Anschließend urinieren Max und Sascha in direkter Blickachse zum Kreml in den Schnee, der eine kunstlos, Max dagegen versucht sich an einem Monogramm. "Meine Hoffnung gilt", schrieb Andrej Sinjawski in "Sozialistischer Realismus - was ist das?", "der Kunst der Phantasmagorie mit Hypothesen statt Ziel und der Groteske statt Sittenschilderung." Sinjawski weiter: "Trotz allem - das Wichtigste am Russen ist, dass man nichts zu verlieren hat ..." Was alles prächtig phantasmagorisch "Das Hemd" vorführt. Das Hemd übrigens spielt nur eine Nebenrolle. (Alexander Kluy, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 14./15.03.2009)