"Wo es genau hingeht, wissen wir noch nicht." Für die deutsche Bioethikexpertin Regine Kollek können durch Gentests neue Freiheiten, aber auch neue Zwänge entstehen.

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Das Gespräch führte Klaus Taschwer.

Kollek: Ich finde, dass diese Entscheidung konsequent ist. Wenn man diese Forschung grundsätzlich für legitim hält, so wie das in den USA der Fall ist, dann wäre es paradox, dass das zwar mit privaten Mitteln geschehen kann, mit öffentlichen aber nicht – unabhängig davon, ob ich das nun für vertretbar halte oder nicht. Wobei wir auch ein weiteres Argument nicht vergessen sollten, das noch wenig debattiert wird: nämlich das der Kosten.

STANDARD: Welche Kosten meinen Sie? Die der Forschung?

Kollek: Nein, die der möglichen Therapien. Die sind, wenn sie je funktionieren sollten, hoch individualisiert. Man muss für jeden Patienten eigens Zellen herstellen, die entsprechend zugerichtet werden müssen, um transplantiert zu werden. Das ist teuer. Da stellt sich natürlich die Frage, ob wir uns das überhaupt leisten können oder nicht eher Präparate entwickeln sollten, um etwa die Regenerationsfähigkeit von Organen zu stimulieren.

STANDARD: In Kalifornien hat eine Klinik kürzlich Eltern in Aussicht gestellt, Designerbabys mit blonden Haaren und blauen Augen herzustellen – was dann aber wieder zurückgenommen wurde. Sehen Sie sich durch solche Angebote in Ihrer skeptischen Haltung bestätigt?

Kollek: In Deutschland und Österreich ist die Präimplantationsdiagnostik (PID), also das genetische Testen von befruchteten Eizellen vor der Einpflanzung in den Körper der Frau, verboten. Damit kann so etwas hierzulande gar nicht angeboten werden. Offensichtlich scheint mir, dass sich bei einer Freigabe der PID eine Dynamik entwickeln könnte wie in der Reproduktionsmedizin, wo die Anzahl der Behandlungen nicht unbedingt vom medizinischen Bedarf abhängt, sondern in hohem Maß angebotsgesteuert ist.

STANDARD: Wie könnte die Dynamik aussehen?

Kollek: Es könnte sein, dass man bei PID nicht mehr nur nach schweren Erbkrankheiten sucht wie bisher, sondern auch nach immer "leichteren" – bis hin eben zu positiv auswählbaren Eigenschaften wie Geschlecht oder Augenfarbe. Allerdings gibt es biologische Grenzen: Bei durchschnittlich zwölf Embryonen pro Behandlung könnte man aufgrund der statistischen Verteilung höchstens drei Eigenschaften auswählen.

STANDARD: In Ihrem jüngsten Buch "Der medizinischen Blick in die Zukunft" beschäftigen Sie sich vor allem mit Gentests. Warum halten Sie die für so wichtig?

Kollek: Wenn sich tatsächlich herausstellen sollte, dass Krankheiten genetisch besser prognostizierbar werden, wie das heute Forscher aus diesem Bereich vorhersagen, wird das erhebliche Folgen auf das Gesundheitssystem und Auswirkungen auf jeden Einzelnen von uns haben – im Positiven wie im Negativen.

STANDARD: An welche positiven Folgen denken Sie?

Kollek: Schon jetzt gibt es neue Verfahren wie die sogenannten Expressionsanalysen, wo man mittels Genchips hunderte von Genen erfassen kann, die sich insbesondere der Diagnostik als handhabbar erweisen – allerdings erst, wenn die Krankheit ausgebrochen ist. Dadurch kann man zum Beispiel bei manchen Brustkrebsarten die Reaktion auf bestimmte Medikamente besser abschätzen. Bei den Gentests, bei denen Krankheitsveranlagungen prognostiziert werden sollen, ist die Sache häufig komplexer.

STANDARD: Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe von privaten Anbietern solcher Tests. Was halten Sie davon?

Kollek: Wenn die Tests aber über das Internet bestellt werden, wie bei 23andme oder deCODEme, erhält man keine so fachkundige Beratung. Wer nun tatsächlich Informationen über seine Genvariationen auf diese Weise anfordert, weiß zumeist nicht genau, was die Informationen bedeuten. Die Ergebnisse solcher Tests sind Wahrscheinlichkeitsangaben, die spezieller Fachkenntnisse bedürfen, um sie richtig zu interpretieren.

STANDARD: Und wie steht es mit den "regulären" Gentests mit Beratung, die ja auch immer besser werden?

Kollek: Bisher ist die Anwendung begrenzt, da Krankheiten, die einen hohen genetischen Anteil haben, eher selten sind. Aber mit steigendem Wissenszuwachs könnten sich die Anwendungen ausweiten. Und die können in jeder Hinsicht sehr spannend werden.

STANDARD: Welche Chancen und welche Risiken sehen Sie da?

Kollek: Es können auf der einen Seite auch eine ganze Reihe von Zwängen für jene Leute entstehen, bei denen solche Krankheitsveranlagungen diagnostiziert worden sind. Die Menschen müssten bei einer bestimmten Diagnose ihren Lebensstil ändern, um nicht zu erkranken. Da stellt sich natürlich die Frage, ob ein Verstoß dagegen auch zu Sanktionen führt. Also im Sinn von: Man macht keine Zahnvorsorge und hat dadurch Einbußen bei der Refundierung der Kosten von Zahnbehandlungen hinzunehmen. Es können auf der anderen Seite aber auch neue Freiheiten im Umgang mit Krankheiten entstehen und neue Präventionsmöglichkeiten entstehen. Wo es genau hingeht, wissen wir noch nicht. (STANDARD,Printausgabe, 18.3.2009)