Wien - Für Nadine P. (Name von der Redaktion geändert) bricht im August 2008 eine Welt zusammen. Die Ärzte im Wiener AKH diagnostizieren Brustkrebs bei der zweifachen Mutter. Dem psychischen Tiefschlag folgt wenig später ein finanzieller. Die freie Dienstnehmerin soll plötzlich mit einem Krankengeld von nur 400 Euro pro Monat auskommen. Erwartet hat sie deutlich mehr - schließlich haben freie Dienstnehmer seit Anfang 2008 wie Angestellte Anspruch auf Krankengeld. Zumindest in der Theorie. In der Praxis muss Nadine P. anderes feststellen - und das nur, weil sie beim Diagnosemonat Pech hatte. Sie war nämlich im Juli auf Urlaub und verdiente deshalb statt der üblichen 1500 bis 2000 Euro nur rund 800 Euro. 

Direkt nach Chemo zur Arbeit

Nach der ersten Chemotherapie wird Nadine von der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) informiert, dass bei der Berechnung des Krankengeldes (50 Prozent des Einkommens) immer das letzte Monat herangezogen wird. Wie auch bei Angestellten - nur dass die eben keine Einkommensschwankungen haben. Mit 400 Euro im Monat sieht sich die junge Mutter aber trotz des Partnereinkommens in ihrer Existenz gefährdet. Nadine ist verzweifelt: "Man kann sich ja nicht aussuchen, wann man krank wird."

Sie beginnt also gleich nach der Chemo wieder zu arbeiten. Dass das für den Heilungsprozess nicht gerade förderlich ist, ist ihr klar. Ihre Hoffnung: Wenn sie einen Monat durchhält und viel verdient, könnte sie in den Folgemonaten ein höheres Krankengeld bekommen. Diese Hoffnung wird aber schnell wieder zerstört. Der Grund: Bei Krankenständen nach "Folgebehandlungen" wird das Krankengeld auch wieder vom ursprünglichen Monat berechnet.

Nadine P. fühlt sich gepflanzt: "Das ist hart für chronisch Kranke." Informell wird ihr bei der WGKK gesagt, sie solle doch versuchen, drei Monate durchzuarbeiten. Wenn man nämlich 91 Tage gearbeitet hat, erfolgt eine Neuberechnung des Krankengeldes. Kein leichtes Unterfangen für Nadine. Die erste Chemo hat sie zwar gut vertragen, die weiteren Therapien setzen ihr aber enorm zu. Dennoch hält Nadine durch. Sie arbeitet den September, Oktober und November durch. Schafft es, im November deutlich über 2000 Euro zu verdienen. Nach der sechsten Chemo Anfang Dezember kann Nadine aber nicht mehr. Seit 14. Dezember ist sie wieder im Krankenstand.
Ihr Spießrutenlauf ist damit aber noch nicht zu Ende. Da es im EDV-System der WGKK kein Feld für in Bearbeitung befindliche Fälle gibt, erhält Nadine, mittlerweile emotional am Boden, beim Arzt kurzfristig die Info, nicht mehr versichert zu sein. Auch bei den WGKK-Servicestellen kriegt sie widersprüchliche Infos. 

Und zu guter Letzt besteht dann die Gefahr, dass doch nicht das Novembergehalt für die Berechnung des neuen Krankengeldes herangezogen wird. Denn: Nadines letzte Honorarnote (120 Euro) ist mit Anfang Dezember datiert. Das hieße nur 60 Euro Krankengeld. Laut Gesetz zählt das letzte "volle Monatsgehalt" - aber was ist ein volles Gehalt bei Freien? Die WGKK zeigt sich diesmal kulant. Anfang März erfährt Nadine, dass sie ab jetzt 1200 Euro Krankengeld kriegt. Ein Happy End also. "Ich habe das aber nur geschafft, weil ich eine Kämpferin bin. Jeder schafft das nicht." Die Arbeiterkammer, vom Standard mit dem Fall konfrontiert, sieht das ähnlich und fordert jetzt eine Gesetzesänderung. Um die Einkommensschwankungen bei Freien auszugleichen, solle nicht nur das letzte Monat, sondern ein längerer Zeitraum herangezogen werden. "Das ist ein echtes Problem" , sagt AK-Sozialexperte Christoph Klein. Die Mehrkosten für die Krankenkassen würden sich in Grenzen halten. (Günther Oswald/DER STANDARD-Printausgab, 27. März 2009)