Als Gott (1) wieder einmal besonders mies drauf war, erfand er die Fußnote. Das Böse (2) in der Welt wird nicht nur von Studenten verwaltet, die nicht fähig sind ihre gegoogelten Seminararbeiten stringent zu erzählen. Spätestens mit David Foster Wallace setzte die Fußnote Ende der 1980er-Jahre auch zu einem neuen, nur selten hinterfragten Siegeszug in der für nichtstringente (3) Erzählstränge nicht gerade weltberühmten US-Literatur an.

Als im Sinne einer medialen Reizüberflutung gebrauchtes holzhammerhartes Stilmittel mag sie ihre Berechtigung haben. Eines kann man ihr trotzdem nicht absprechen, sie nervt (4).

Mit Pulitzer-Preisträger Junot Díaz und seinem über elf lange Jahre und unzählige Überarbeitungen entstandenen Debütroman Das kurze wundersame Leben des Oscar Wao befindet sich nun ein würdiger Nachfolger am Start. Nach seinem glänzenden, 1997 auf Deutsch erschienenen Erzählband Abgetaucht verhandelt der in New York und Boston lebende Autor auch jetzt wieder die Geschichte der eigenen zerrissenen Identität. Anhand des Schicksals, besser gesagt, der Missgeschicke seines jugendlichen Protagonisten Oscar erzählt er von nach New Jersey ausgewanderten Dominikanern. Leben unter der Fuchtel der Dominikanischen Diktatur wie auch im Elend der Vorstädte der Neuen Welt.

Ein monumentales und ziemlich prall mit Leben und Machismo vollgestopftes Familienepos war Díaz allerdings nicht genug. Mit einer von Eva Kemper großteils kongenial (5) ins Deutsche übersetzten Mischung aus Englisch und Spanisch (6) wird der 140 Kilogramm schwere und auch sonst unansehnliche Teenager Oscar ins Höllental von Liebe und Verzweiflung - und absolut null Chancen auf Sex, Sex, Sex mit "hammergeilen Latinas" (7) geworfen.

Ethno-Radau-Pop

Oscar beschäftigt sich statt mit klischeeträchtig realen Freizeitbeschäftigungen der gleichaltrigen Burschen aus der Nachbarschaft, also Sport, Drogenhandel, Testosteronausschüttung, Sport, männlichem Imponiergehabe und diversen genetisch bedingten Übersprungshandlungen auf der Jagd nach Sex, Sex, Sex, ohnehin lieber mit Computerspielen, Science-Fiction-Filmen, Superhelden-Comics und dem Studium der elbischen Sprache (8).

Aufgelockert um Trash- und Popkultur und befeuert von ein wenig karibischem Voodoo-Zauber geht es im Stile einer Auffrisierung und Geschwindigkeitsverdopplung des guten alten "magischen Realismus" eines Gabriel García Márquez aber auch um die politische Geschichte der Dominikanischen Republik und vor allem auch um den im Roman meist "Fickfresse" genannten sexsüchtigen, sadistischen Diktator Trujillo und dessen Nachfolger. Das ergibt nicht nur einen Pulitzerpreis 2008, sondern auch einen schnellen, lustigen, traurigen und ziemlich nervigen Ethno-Radau-Pop. (Christian Schachinger/DER STANDARD, Printausgabe, 28./29. 3. 2009)

(1) Setzen wir einmal voraus, dass es ihn gibt. (2) Siehe dazu auch: Gustav Roskoff - Die Geschichte des Teufels, Paderborn, 2005. (3) Stringent: bündig, zwingend, streng. (4) Aber wie! (5) Ausdrücke wie "hammergeil" werden sich im Deutschen nicht ewig halten. (6) Allein das Spanisch-Glossar verschlingt zehn Buchseiten. (7) Siehe Fußnote 5. (8) Diese sprechen die Elben, diese komischen Öko- und Sag-nein-zu-Pershing-II-Mittelstreckenraketen-Hippies in J.R.R. Tolkiens "Herr der Ringe".