Hübsch aufgeschlichtet in geometrischen Mustern liegen hier rund sieben Millionen Pariser.

Foto: wikipedia.org/KoS

Die Katakomben von Paris sind fest in den knochigen Händen ihrer Bewohner, die seit 200 Jahren in den feuchten Schächten ruhen. Das stimmt nicht ganz. Sehr viel lebendigere Wesen haben die dunklen Gänge für sich entdeckt und in einen riesigen Partykeller verwandelt. Sehr zum Missfallen der Pariser Polizei geht in den ehrwürdigen Gewölben regelmäßig die Post ab.

Im 18. Jahrhundert litt ganz Paris an den überfüllten Friedhöfen, die sich mit Hunger- und Seuchenopfern bis zum Bersten gefüllt hatten. Ein unerträglicher Gestank waberte durch die Stadt, Menschen, die nahe des Cimetière des Innocents (Friedhof der Unschuldigen) im 14. Stadtbezirk lebten, wurden krank von den Verwesungsgasen, fielen reihenweise in Ohnmacht oder erstickten sogar daran.

Die Stadtverwaltung beschloss in Folge, den Friedhof zu schließen und sich das Höhlensystem unterhalb der Straßen zu Nutze zu machen. Hier wurde jener Kalkstein abgebaut, der zur Gestaltung der Fassaden der Pariser Stadthäuser benutzt wurde. Zurückgeblieben ist ein System aus Gängen, die sich kilometerweit hinziehen. Leere Schächte und ein Überangebot an Platz also für die Unterbringung der Toten. Kurzerhand wurde das Areal zur Leichenbestattung genutzt, mit anderen Friedhöfen verfuhr man ebenso.

Makabere Knochenkunst

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts lagen schließlich die sterblichen Überreste von sieben Millionen Parisern unter den Füßen der Stadtbewohner. Zu Beginn wurden die Toten einfach in die Tiefe geworfen, bald darauf erschloss sich jedoch für die Totengräber ein neues Betätigungsfeld in Form von Sortierungsarbeiten. Schädel und Knochen wurden zu geometrischen Mustern aufgeschichtet.

Heute können Touristen diese Abschnitte der Katakomben besuchen. Nach dem man eine enge Wendeltreppe nach unten geklettert ist, taucht man in eine andere, gruselige Welt ein. Die Schächte sind dunkel und feucht, als Beleuchtungsmittel dienen Taschenlampen. Von den Stollenwänden grinsen Totenschädel in den Lichtkegel, das einzige hörbare Geräusch ist das Echo der eigenen Schritte, die auf dem kalkigen Boden knirschen.

Foto: wikipedia.org/KoS

Verflucht aber auch

2005 wurden die Katakomben gründlich restauriert, die Beleuchtung verbessert, Wände verstärkt und die Knochen neu geordnet. Gerüchten zufolge eine gefährliche Arbeit, denn angeblich spukt es in den alten Gewölben deftig. Von Stimmenhören und blauen Nebeln ist auf diversen Geisterseiten im Internet die Rede. Die Knochen sollen außerdem verflucht sein, wer sie berührt schwört damit den Ärger der Verstorbenen herauf.

In jenen Stollen, die für die Öffentlichkeit nicht zugänglich sind, spielt sich das wahre Leben unter Tage ab. Urbane Abenteurer und Partymacher dringen in das Schachtsystem ein – illegal natürlich – und gehen tief unter Paris auf Entdeckungsreise. Sie erforschen, graben, suchen und feiern Partys, manche Trips dauern mehrere Tage. Zutritt verschaffen sich die Jugendlichen, die Cataphiles genannt werden, über die Metro-Schächte und andere geheime Eingänge. Dann beginnt das Katz-und-Maus spiel mit der Polizei, passend Cataflics genannt. Für Touristen ist es quasi unmöglich, sich diesen illegalen Gruppen anzuschließen, zu groß ist die Gefahr, von der Polizei erwischt zu werden.

Heimelige Grabstätten

Graffiti-Künstler gestalten die Wände der Schächte nach ihrem Geschmack, Obdachlose haben in den feucht-dunklen Gemäuern eine sichere Schlafstätte gefunden. Einige Cataphiles haben sich ebenfalls in abgelegenen Schächten häuslich eingerichtet und dem makaberen Ort einen persönlichen Anstrich verliehen. Mit Radio, Grubenlicht, Campingkocher Betten und Couchen lässt es sich auch ohne Tageslicht vortrefflich wohnen.

Die Pariser Club-Szene hat die Gruselgänge ebenfalls für sich entdeckt und feiert hier wilde Partys, meist nicht drogenfrei. Diese "Cave-Partys" sind heißbegehrt und die Pariser machen sich ein Spiel daraus, Zugänge zu den illegalen Events zu finden. (Mirjam Harmtodt/derStandard.at/31.3.2008)