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Martin Polz untersucht in den USA das Ökosystem der Meere und weiß, dass die Klimaerwärmung hier fatale Folgen auf den Nährstoffhaushalt hat.

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Was die Medizin davon lernen kann, erklärt er im Interview mit Alexandra Riegler.

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STANDARD: Sie beschäftigen sich mit dem Verhalten von Mikrobenpopulationen im Meer. Welche Bedeutung hat das Thema?

Polz: Das Meer ist ein fast rein mikrobielles Ökosystem. Wenn man sich die Biomasse anschaut, spielen Fische und andere Meerestiere eine untergeordnete Rolle. Sowohl die Algen als Primärproduzenten, sozusagen die Bäume des Meeres, sind Mikroben wie auch die Bakterien, die die Biomasse wieder zersetzen. In einem Milliliter Meerwasser finden sich zwischen einer halben Million und einer Million Bakterien. Das ganze Ökosystem wird also praktisch von Mikroben erhalten. Um dieses zu begreifen, muss man wissen, wie die mikrobiellen Gemeinschaften zusammengesetzt sind, welche Bakterientypen welche Funktionen erfüllen, das heißt, wie die Arbeitsteilung funktioniert. Und dazu gilt es, die genetische Diversität und die evolutionären Mechanismen zu verstehen.

STANDARD: Was ist über die Arbeitsteilung bekannt?

Polz: Man kann sich eigentlich jedes Gewässer als Suppe vorstellen, in der ziemlich viel herumschwimmt. Es gibt Nährstoffe, die in löslicher Form vorkommen, und Partikel, die hauptsächlich tote Biomasse sind. Die Bakterien setzen sich auf den Partikeln fest, beginnen diese zu zersetzen und gewinnen dadurch Energie fürs Wachstum. Wir versuchen zu ergründen, wie es funktioniert, dass sich verschiedene Bakterien auf die Zersetzung bestimmter Biomasse spezialisieren.

STANDARD: Gibt es bereits Ergebnisse?

Polz: Wir fanden zum Beispiel heraus, dass Seegräser von bestimmten Bakterien zersetzt werden. Diese Mechanismen sind entscheidend für das Verständnis des globalen Kohlenstoffkreislaufs, der wiederum für unser Klima verantwortlich ist. Die Vorgänge, die zwar im Kleinen passieren, im Ozean jedoch viele Milliarden Mal vor sich gehen, spielen in Summe eine große Rolle.

STANDARD: Wie spielt die Klimaerwärmung da hinein?

Polz: Einige Einflüsse kennen wir bereits. Weil sich wärmere Meeresgebiete ausdehnen und die Durchschnittstemperatur steigt, verbreiten sich potenziell krankheitserregende Bakterien, die es einfach warm mögen, wie etwa Cholera. Das sind natürlich vorkommende Bakterien, die durch evolutionären Zufall Krankheiten auslösen. Zum anderen verschiebt sich der Kohlendioxid- und Säurehaushalt. Dann bekommen etwa skelett- oder schalenbildende Meerestiere Schwierigkeiten, wie Korallen oder einzellige Algen, die Kalkpanzer bilden. Die Klimaerwärmung hat für das gesamte Ökosystem Konsequenzen, die wir im Moment aber nur wenig abschätzen können. So löst sich in wärmerem Wasser weniger Sauerstoff, was schwerwiegende Folgen für Fische und den gesamten Nährstoffhaushalt des Meeres mit sich bringt. Es können sich zum Beispiel Bakterien ausbreiten, die Stickstoff molekularisieren. Dieser entweicht als Gas, wodurch dem Meer Stickstoff entzogen wird, ein grundlegend wichtiger Nährstoff. Die Folge: Es kann weniger Biomasse, das heißt letztendlich auch Fische, produziert werden.

STANDARD: Was sind nun Ihre brennendsten Fragen?

Polz: Erstens wollen wir an einen Punkt kommen, wo wir vorhersagen können, wie die Dynamik von Bakterien im Ökosystem funktioniert. Es passieren im Moment unglaubliche Eingriffe in die Umwelt. Gleichzeitig verstehen wir nicht, was eigentlich der ungestörte Zustand ist. Nicht zuletzt deshalb können wir auch schwer abschätzen, was die wirklichen Konsequenzen sein werden. Zweitens wollen wir eine Populationsgenetik für Bakterien entwickeln. Die Evolution funktioniert dort ganz anders als bei Tieren oder Pflanzen. Bakterien können Gensequenzen miteinander austauschen, auch wenn sie nicht nahe verwandt sind. Das stellt den für Tiere angewendeten Artbegriff völlig auf den Kopf.

STANDARD: Das alles klingt nach einem interdisziplinären Herangehen.

Polz: Das ist es auch. Wir arbeiten eng mit einem Physiker zusammen, haben Chemiker und eben Biologen in unserer Gruppe. Ich selbst bin in der Umweltingenieursparte, wo wir am MIT sehr viele Disziplinen vereinen. Klassische Umweltingenieure haben wir aber nicht mehr, dieser Bereich ist mittlerweile einfach zu altmodisch, um hier erfolgreich zu sein. Das ist eines der guten Dinge am MIT: dass sie nicht sehr sentimental sind, sich verändern und neue Leute hereinbringen, die Forschung betreiben, die als innovativ empfunden wird.

STANDARD: Wie groß ist die Konkurrenz auf Ihrem Gebiet?

Polz: Vielleicht nicht so stark wie in der Medizin oder Biotechnologie. Allerdings hat die mikrobielle Biologie in den letzten zehn Jahren riesige Fortschritte gemacht. So versteht die medizinische Mikrobiologie etwa endlich, dass der Mensch ein mikrobielles Ökosystem ist. Die Menge an Bakterien, die zum Menschen gehören, übersteigt die Anzahl der Körperzellen um das Zehnfache. Diese Bakterien spielen beim gesunden wie kranken Menschen eine unglaublich wichtige Rolle.

STANDARD: Worauf konzentriert sich Ihre Gruppe bei der Arbeit?

Polz: Meine Gruppe beginnt, die Prinzipien und Analysemethoden, die wir in der Umwelt gelernt haben, auf den Menschen umzulegen. Die Fragestellungen sind dieselben: Was ist ein Habitat für Bakterien? Wo am Körper passiert Spezialisierung? Wir wissen, dass Bakterien einen großen Teil unserer Nahrung verdauen. Wir wissen auch, dass dickere Leute andere Mikroben im Darm haben als dünne. Weil diese Mikroben die Nahrung nährreicher machen, nehmen diese Menschen leichter zu.

STANDARD: Wann kam man zu dieser Erkenntnis?

Polz: Das sind alles Dinge, die man in den letzten zwei, drei Jahren herausgefunden hat. Mediziner haben verstanden, dass Mikroben nicht nur Übeltäter im Krankheitsfall sind, sondern Organismen, die in einem stabilen Zustand mit uns leben und wichtige Funktionen erfüllen. (STANDARD,Printausgabe, 08.04.2009)