Foto: Hendrich

Arbeiten mit und am Raum: Schaukel und atmende Folienskulptur von Paul Horn in der Fabrik.


Nachlese:


>>> Fantastische Partylandschaft
Die vierte Ausgabe der unORTnung: Kunst im öffentlichen Freizeit- und Vergnügungsraum der Donauplatte

>>> "Darf's noch etwas mehr sein?"
Die dritte Ausgabe der unORTnung: Kunst im öffentlichen Raum, direkt neben dem Projektbaumarkt

 

 

Foto: Hendrich

Wien - Schöner Schaukeln war nie. Paul Horn hat eine riesige Schaukel an die Decke von Objekt 19 gehängt. Auf dem Holzbrett sitzend, die Beine zum Schwungholen in die Höhe gestreckt, vermisst sich 3000 Quadratmeter-Industrieareal aus einer ungewohnten Perspektive: Mit Kribbeln im Bauch blickt man von oben auf einen Ort, der eng verknüpft ist mit der Wiener Arbeiterbewegung, auf einen Schauplatz, an dem sich zahlreiche Arbeiterkämpfe organisierten und zur Nazizeit mehrere Widerstandsgruppen betätigten.

Irgendwo hier am Areal der Ankerbrotfabrik in Favoriten erinnert sogar eine Gedenktafel an die ermordeten Widerstandskämpfer Käthe Odwody, Franz Misek und Ludwig Führer. Und irgendwo - der süßliche Duft ist untrüglich - wird vorerst auch noch gebacken. Der Großteil der Räume, Denkmäler der Arbeit, ist heute jedoch stumm, liegt brach. Als würde es diesen toten Zustand kommentieren, atmet, knistert, ja flüstert Paul Horns Folienwesen. Es ist eines von 50 Projekten, die Veronika Barnas und Co-Kurator Georg Schöllhammer für Teil V der Ausstellungsreihe unORTnung aus 120 Einreichungen auswählten.

Urbanes zurückerobern

Für unORTnung ist Barnas immer wieder auf der Suche nach leer stehenden Räumlichkeiten um sie - wie 2008 an der Copa Cagrana oder am Genochmarkt - temporär zu besetzen und mit künstlerischen, ortsspezifischenProjekten zu bespielen. Ziel ist, das Potenzial dieser Orte wieder sichtbar zu machen, sie dem urbanen öffentlichen Raum zurückzueroben. Ortsspezifische Anknüpfungspunkte gibt es in Favoriten auch abseits der Fabriksthematik genug: Etwa, dass hier rund zehn Prozent aller Wiener leben, es neben einem Bezirksmuseum keine künstlerischen Einrichtungen gibt und eine hohe Baudynamik herrscht. Der entsprechende Ausblick in die Zukunft mit Wolkenkratzer-Skyline (Harald Hund) hängt vor einem der Fabriksfenster; ab und an flattert die durchscheinende Zeichung - ihrem vagen Charakter entsprechend - im Wind.

Aber auch historisch bieten sich einige Anschlüsse: In der Performance der Künstlerin Hilde Fuchs (Freitag, ca. 19:30) taucht Bettina Mendl auf, Tochter des Ankerbrot Gründers Fritz Mendl, der nach der Arisierung des Betriebs die Flucht nach Australien gelang. Damals mit im Gepäck zwei Zeichnungen Picassos, die Fuchs nun als Projektion und "symbolischen Akt" in das "Kulturvakuum des Arbeiterbezirks Favoriten" zurücktransferiert. [Anm.: Die Geschichte ihrer Mutter Bettina Mendl hat Tochter Phyllis McDuff im Roman "A Story Dreamt Long Ago" niedergeschrieben. Ein Top-Bestseller in Australien, der nun auch verfilmt wird.] Silke Maier-Gamauf hingegen greift unmittelbare Geschichte(n) der Großbäckerei auf: An ihre zwei im Raum schwebenden Sound-Segel (akustisch raumgreifende Werke bilden dieses Mal einen Schwerpunkt) heften sich Interviews mit ehemaligen Ankerbrot-MitarbeiterInnen.

In näherer Zukunft sollen in den Gebäuden rund um das denkmalgeschützte Backsteingebäude, Puchsbaum-/Ecke Absberggasse, in direkter Nachbarschaft zum mäßig schönen Gemeindebau-Idyll, jedoch 300-3000 Quadratmeter große Gewerbelofts für die Creative Industries entstehen. Walter Asmus, einer der Loft City-Gesellschafter und Projektinitiator hat das Prinzip mit der Stollwerck-Schokoladenfabrik in Meidling schon einmal erfolgreich vorgeführt. Die Nachfrage an den Lofts sei enorm, erzählt er. "Warum also nicht das Geld, das man sonst für Werbung ausgeben müsste, in Kultur stecken?" Umwegrentabilität nennt Asmus das. Die historische Expedithalle im Hof wird derzeit im Wechsel von den Gruppen theatercombinat (Wiederaufnahme Coriolan am 21.4.) und dem Sirene Operntheater bespielt. Freilich sei es langfristig geplant, die gut 2000 Quadratmeter große Halle an einen passenden Kulturbetreiber zu verkaufen. Wegen der aktuellen Finanzkrise könnte dies auch etwas länger dauern. Die aktuelle Bespielung des Ortes, diene auch dazu das Raumpotenzial auszuloten, ihn bekannt zu machen, um also letztendlich eine ideale kulturelle Bespielung zu finden, die zum Kunst-Cluster der direkten Nachbarschaft passe. "Wir haben nicht vor, die Halle an eine Spedition zu verkaufen".

Räume für Experimentelles

Co-Kurator Schöllhammer ist diese ambivalente Situation bewusst; er nimmt sie aber in Kauf, denn selten genug stünden solche Orte zur Verfügung: "Es geht darum, diesen Raum zum Experimentieren zu öffnen". Es sei interessant, "den Raum von solchen Ökonismen befreit zu denken und als schieres Volumen zu sehen". Die Qualität und Reflektiertheit der eingereichten Projekte hat Schöllhammer ebenso positiv überrascht, wie der Elan mit dem sich die Künstler trotz geringem Budget (pro Arbeit standen rund 150,- Euro für die Produktionskosten [Gesamtbudget 11.000 Euro] zur Verfügung) an die Realisierung machten.

Das endenwollende Budget erlaubt keine Unfälle und so bleiben manche Arbeiten dann als Fragment stehen: Katrin Horneks spätmodernistische Installation aus Glasbausteinen stürzte ein. Ribiselmarmelade ersetzt wohl nur bei Backwerk echten Mörtel.

Vor ihrem charmanten Monument des Scheiterns reagiert Gabriel Tempea mit eine Serie von Arbeiten in zweifacher Hinsicht auf den Ort: Mit vorgefundenem Bauschutt kommentiert er augenzwinkernd neoavantgardistische Arbeiten von Sol Lewitt, Dan Flavin oder Donald Judd. Und mit Blick auf den Favoritner Fabrikscharme, der sich wie eine "Paraphrase eines New Yorker Fabriksloft der 1960er" gebärdet (Schöllhammer), sind Tempeas Skulpturen quasi in den natürlichsten aller Minimal Art-Lebensräume eingebettet. Und der Zufall will es, dass sich gleich daneben sogar ein Ready-Made von Richard Serra (angerostete Stahlplatten) findet, lachen die beiden Kuratoren. Und ein Beuys (Kupferrohr-Krummstab).

Im desolaten Prekarium ohne Strom und Wasser mit den für solche Projekte typischen Dixi-Toiletten recht und links der Tür findet man die unterschiedlichsten künstlerischen Reaktionen auf vorgefundene Raumstrukturen. Manch minimaler Eingriff und Reaktion auf die Kunstgeschichte besteht etwa im mühseligen Entfernen der Patina, andere eignen sich gerade die Bruchstellen als Nistplätze für ihre Kunst an: So etwa Kirsten Borchert, Larissa Leverenz und Björn Westphal, die ihre feinen, schwarz-weißen Grafiken auf Chinapapier in den Löchern von Putz und Fliesen wie Blumen sprießen lassen. Kunstwerke, deren Leben durch die kommende Sanierung allerdings begrenzt ist.

Ein wesentlich größeres Problem als die Zeitlichkeit der Arbeiten ist für Barnas aber, dass solche temporären Projekte und Eingriffe generell nicht genug Anerkennung, etwa bei den Förderstrukturen, finden und "das temporäre Bespielen von Orten ganz allgemein nicht als eigenständiger Bereich gesehen wird, sondern nur als Vorläufer von etwas Größerem, Institutionellem." Bis Sonntag zeigt sich nun, wieviel das Temporäre kann. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD/Printausgabe, 18./19.04.2009)