Heide Göttner-Abendroth: Die Göttin und ihr Heros (Buchcover)
Cover: Die Göttin und ihr Heros

"Matriarchale" oder geschlechtsegalitäre Gesellschaften werden von der Wissenschaft nur als solche anerkannt, wenn sie die folgenden Merkmale aufweisen.

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  • Matrilinearität

    Die Verwandtschaft in der mütterlichen Linie ist die natürlichste und logische Form. Denn Frauen allein sind die sichtbaren, beweisbaren Mütter, Vaterschaft ist immer vage, noch dazu dort, wo Monogamie ein Fremdwort ist. Die Verwandtschaft in väterlicher Linie (Patrilinearität) wurde erst mit dem Umsturz zum Vaterrecht wesentlich, damit die Männer ihren Besitz an ihre Söhne vererben konnten. Dagegen ist das matrilineare Erbrecht eine Weitergabe des Nutzungsrechts an Grund und Boden. Besitz in unserem Verständnis gibt es nicht.

    Selbstbestimmte Frauen

    Die typische matriarchale Familie ist ein Clan, der zwischen zwölf und 150 Personen umfasst; es sind Mutter-Kind-Familien, d.h. die Frau wohnt mit ihren Kindern im Matriclan, Männer kommen nur auf Besuch, sind Gäste, sie haben ihren eigenen Clan. Es sind wechselnde Liebhaber, weil das Konzept der Ehe und lebenslangen Treue nicht besteht. Die Beziehungen dauern so lange, solange die Liebe da ist. Es gibt jedoch eine Art sozialer Vaterschaft, die zumeist der Mutterbruder ausfüllt, er ist der nächste männliche Verwandte; also nicht der Vater oder der Mann wie im Patriarchat. Es gibt keine Abspaltung der Mutterschaft. Leibliche Mutterschaft ist nicht wesentlich und kein Zwang – nicht so wie im patriarchalen Verständnis eine "richtige Frau" Mutter zu sein hat. Die Kinder im Clan "gehören" allen, alle kümmern sich um sie. Dadurch können alle arbeiten und es kommt zu keiner Doppel- und Dreifachbelastung. Der Clan ist eine Gemeinschaft, die sich gegenseitig stützt. Genauso sind die Clans untereinander vernetzt, eine Art Hilfswerk. (Quelle: Heide Göttner-Abendroth)

    Subsistenzwirtschaft

    Die Wirtschaft ist als Ausgleichsökonomie, basierend auf Ackerbau, zu verstehen. Dabei geht es nicht um Akkumulation. Die Ressourcen werden von der Sippenältesten verteilt. Sie hütet sozusagen den "Clanschatz" und verteilt gerecht, d.h. nach Notwendigkeit. Wie Göttner-Abendroth bei ihren Forschungsreisen beobachtet hat, existiert auch eine sogenannte "Ökonomie der Feste". Jener Clan, der gerade Überschuss erwirtschaftet hat, lädt alle anderen zu einem großen Festein. Diese Feste-Ökonomie ist ein Kreislauf, im nächsten Jahr lädt ein anderer Clan ein usw. Jene, die gerade Mangel haben, bekommen so einen Ausgleich. Die egalitäre Politik der Clans beruht auf Konsens: Es wird solange diskutiert, bis eine annehmbare Lösung für alle gefunden ist.

    Spiritualität

    Matriarchate sind sakrale Gesellschaften, wobei keine Trennung zwischen sakral und profan gemacht wird. Die Welt, Natur wird als göttlich aufgefasst. Es besteht ein naturbehaftetes Göttinnen-System: Die Natur selbst ist die Göttin und weiblich. Aus ihr kommt alles hervor so wie die Frauen Kinder auf die Welt bringen. Eine Gleichsetzung von Schöpfung-Kosmos-Mutter-Erde: sie ernährt alle.

    In entwickelten matriarchalen Gesellschaften und Hochkulturen ist dieser Göttinnenglaube weiterentwickelt zu einem trinitären Modell: So wie die Natur im Jahreszyklus mit den Jahreszeiten Frühling, Sommer, Herbst und Winter wiederkehrt, werden drei (Mond-)Göttinnen vorgestellt: Jungfrau, Mutter und Greisin, die auch den Mondphasen (Sichelmond, Vollmond und Neumond) und den weiblichen Zyklusphasen entsprechen und die drei matriarchalen Farben verkörpern: weiß, rot und schwarz. (red)