Christoph Grissemann und Alfred Schefberger (re.) in Fritz Ostermayers Born-To-Sit-Company in Krems.

Foto: Donaufestival

Fritz Ostermayer schwindelte sich mit Torten durch das Tanztheater.

Krems – Pro Oktave stehen dem Musiker fünf Ganz- und zwei Halbtöne zur Verfügung. Diese lassen sich allerdings nicht endlos kombinieren. Nur ein geringer Teil dieser Verbindungen klingt schön, oder zumindest erträglich. Die Chance, auf abgelebte Melodien zu stoßen, ist also relativ hoch.

Sonic Youth, seit 30 Jahren die immergrünen Vertreter einer coolen, zynischen New Yorker Allerweltsavantgarde, wissen davon zwei Lieder zu singen. Das eine rumpelt mit einem auf schrottigen Gitarren gestimmten Halb- und Dreiviertelton neben der Spur mit forschem Schritt an der Schmerzgrenze dahin. Es gilt, altem US-Punk der späten 1970er- und frühen 1980er-Jahre die Ideen und Melodien nachzutragen. Eiliger und heiliger Lärm.

Das andere Lied, das Sonic Youth haben, eiert und mahlt, während es klanglich manchmal an gezupfte Handharfen erinnert, die man im Haushalt zum Schneiden hartgekochter Eier verwendet, Richtung balladeske Inbrunst. Es steht im Zeichen postdramatischer Desillusionierung, Dekonstruktion und anderer Postmodernitäten von Foucault, Deleuze und Lyotard.

Man hat diese schicken Worte einst während luzider Wachphasen auf der Universität aufgeschnappt. Früher, in den 1980er-Jahren, als Sonic Youth ihre Studien schon längst abgebrochen hatten, weil sie vom Volk der bis Mittag schlafenden Tunichtgute zu den Königen des Noiserock auf Lebenszeit gewählt wurden. "This is a song about making love – with Jesus Christ." Damals stand man noch mitten im Leben. Man konnte Obertöne tatsächlich noch so gut wie ein junger Hund hören, um vor Schmerz glückselig zu jaulen: "Schizophrenia, take me home!"

Heute weiß man aus Erfahrung, dass Satan nicht fiepst, sondern donnergurgelt. Man verlässt den in Krems in Aussicht gestellten ersten Höhepunkt des Festivals mild enttäuscht wegen einer zwar bemüht energetischen, aber eben auch längst zur Routine gefrorenen Darbietung einstiger Panzerbrecher wie Kool Thing, 100%, Cross The Breeze, Schizophrenia oder Expressway To Your Skull.

Jesus Christus, Sigmund Freud und französische Postmoderne setzte es zuvor schon im Rahmen von Fritz Ostermayers Tanz-, Sing- und Rührstück Das Tortenstück, oder: Klebstoff ist der Sprengstoff des kleinen Mannes. Der Radiomacher, überzeugte Generaldilettant und Musikant erweiterte darin sein Potenzial für groben Unfug aus ganzem Herzen um die Bereiche Tanztheater, Slapstick und Jean-François Lyotards Thesen zum Spiegelbild.

Ohne Anstand und Würde

Ach du meine Güte, Tanztheater! Eine für normale Menschen kaum nachvollziehbare Kunstform, bei der die Angst immer mitfährt, weil gleich Marcel Marceau im Mujahedin-Kostüm auf die Bühne trappeln könnte, um imaginäre Mauern am Gazastreifen abzutasten. Gemeinsam mit Freunden wie dem bildenden Künstler Hans Schabus, dem Kabarettisten Christoph Grissemann, Kindergartenfreund Alfred Schefberger, dem Musiker Oliver Welter von Naked Lunch sowie Soap & Skin brachte Ostermayer, getarnt als "Born-to-sit-Company" diese Angelegenheit ohne Anstand und Würde, dafür aber mit sehr viel Herzblut und Innigkeit hinter sich.

Während neueste Erkenntnisse der Zwillingsforschung multimedial auch anhand des Schicksals von Kroatien und Serbien verhandelt wurden, flogen Torten, krachten Böller und erschossen Grissemann und Schefberger als im Rollstuhl sitzende Bürgermiliz widerlich kuschelige Osterhasen. Welter und Soap & Skin gaben Andy Warhol als Velvet-Underground-Bananen essende siamesische Zwillinge. Bevor alle erledigt waren, erklangen traurige Lieder wie Pale Blue Eyes oder The Carnival Is Over.

Kurz, wir haben uns prächtig unterhalten und nehmen nach Hause diesen schönen und wahren Satz mit: "Besser trunksüchtig als tanzwütig." (Christian Schachinger, DER STANDARD/Printausgabe, 24.04.2009)