Foto: DER STANDARD

Es ist schon schwierig genug zu bestimmen, was wir unter dem Osten verstehen. Immer-hin hat sich Regina Maria Anzenberger auf den geografisch-politischen "neuen" Osten beschränken können, als sie im letzten Jahr ein Buch mit diesbezüglichen Fotos herausgebracht hat. Aber das Gegenstück dazu? "West is West" , sagte Kipling. Das hilft auch nicht weiter. Anzenberger, Gründerin der nach ihr benannten Reportagefoto-Agentur, hat aus der Not, dass "der Westen" heute kaum mehr einzugrenzen ist, die Tugend gemacht, ihn als Idee, als Haltung, als Fantasie zu sehen. Eine Tugend mit der angenehmen Nebenwirkung, dass sie damit aus dem Vollen ihres Fotoarchivs schöpfen und einen zweiten Band füllen konnte. "And never the twain shall meet" , sagte der Dichter auch. Doch hier irrte er, denn das neue Buch, in Silber, ergänzt den goldenen Erstling bestens. Es ist ebenso umfangreich.

Es hat die gleiche pfiffige, rückenlose Broschierung mit aufgeklebtem Titel (und wäre damit ein Kandidat für die "Schönste Bücher"-Serie, die wir gerade unterbrechen). Vor allem aber lebt es von der Intelligenz der Fotografen, die jeweils mit Serien vertreten sind. Professionell sind sie nicht nur in der Handhabung der Technik - das schaffen viele -, sondern in der produktiven Auseinandersetzung mit einem selbst oder von Auftraggebern gestellten Thema. Das reicht von Wild-West-Simulationen in zahmen westlichen US-Staaten bis zu Hilfsaktionen im Sudan; sie dokumentieren Ferientraumwelten, das Milieu von Gangs, die globalen Reiseerlebnisse eines Kindes, das Burning-Man-Festival in Nevada (Bild oben). Die Arbeiten der 16 internationalen Reportageprofis machen bewusst, was Fotografie zu leisten imstande ist. In ihrer Einleitung holt die Historikerin und Publizistin Corinna Milborn ebenfalls weit zum Thema aus, erkundet es kritisch und kommt zum Resümee, dass der Westen ein Simulacrum ist. Wie schon der Dichter sagte: "... but there is neither East nor West ..." (Michael Freund, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 02./03.05.2009)