Lawrence Weiner: "Das Einzige, was passiert, wenn der Kunstmarkt zusammenbricht: Das Leben wird unkomfortabler."

Foto: Zenita Komad

Und zum Leben überhaupt.

Wien – "You have to take the ,Pegel‘ from Hegel", rät Lawrence Weiner in Zeiten der Krise – nicht der ersten, die der Künstler (geb.1942), der in New York und Amsterdam lebt, wahrnimmt: "Es gab den Kollaps Ende der 1970er-Jahre, die Bezinkrise, dann platzte die Blase in den 1980ern. Auch der aktuelle Kollaps hat nichts mit Ästhetik zu tun, die Kunst trifft keine Schuld. Und ob jetzt Auktionshäuser wie Christie's oder Sotheby's ins Trudeln kommen, ist ohnehin egal, das kann der Kunst nichts anhaben."

Das Problem ist: "Wir haben an eine Idee von Hegel geglaubt. Kapitalismus – das ist Hegel, Marxismus verhandelt Ökonomie, das ist auch Hegel. Die Sehnsüchte der hegelianischen Kapitalisten ebenso wie die der hegelianischen marxistischen Ökonomen unterscheiden sich kaum: Leben, Freiheit und ein wenig Glück für alle, das ist alles recht nett. Aber offensichtlich sind die Absichten der Menschen stets besser als deren Mechanik. Unsere Logik, unsere Strukturen laufen nicht mehr, sind fucked up."

In der Kunst kann man das unmittelbar erleben: Kaum verlieren Künstler die (soziale) Mechanik aus den Augen, hat man den Salat. In der Wirtschaft sieht man das Versagen der Mechanik nicht unmittelbar, die Folgen machen sich erst spät, zu spät, bemerkbar. "Wer den Schlüssel zu einer anderen Kunstwelt sucht, muss ein anderes System suchen." Wo und wie? "Ich habe keine Antwort, ich habe Probleme genug, Kunst zu machen. Ich mag es, Künstler zu sein, ich muss aber ehrlich sagen: Ein leichter Job ist das nicht! Ab einem bestimmten Punkt ist man verantwortlich. Die Arbeiten werden öffentlich, und man muss sie so anlegen, dass keine Notwendigkeit mehr besteht zu sagen: ,Ein bisschen mehr rechts bzw. ein bisschen mehr links platzieren‘."

Arbeitsrecht und Küche

Jedenfalls gilt es, weniger historisch zu denken, als vielmehr aktuell zu handeln, Systeme umzustürzen, wie es etwa zwei "Helden" aus Lawrence Weiners Jugend gemacht haben: der Koch Escoffier und der französische Politiker Pierre Mendès-France: "Escoffier selbst hat fast nur Rührei gegessen, ich bewundere ihn auch nicht wegen seiner Küche – die ist ganz anständig -, aber er hat die Küchenregeln geändert, hat ermöglicht, dass Leute, die in der Küche arbeiten, nicht länger mehr Sklaven sind. Koch war in Escoffiers System erstmals ein erstrebenswerter Beruf. Und Mendès-France hat als Politiker in Frankreich das Schulsystem demokratisiert."

Auf Escoffier ist Lawrence Weiner gestoßen, weil er sich für die Rechte der Arbeiter engagiert hat. "So kam es zu Escoffier. Und erst durch ihn zur Küche. Ich bin also durch die Hintertür gekommen." Und Künstler geworden. Ein Künstler, der 1969 seine Declaration of Intent vorgelegt hat: "1. Der Künstler kann das Werk herstellen. 2. Das Werk kann angefertigt werden. 3. Das Werk braucht nicht ausgeführt zu werden." Das Werk, die Skulptur ist bei Lawrence Weiner stets immateriell, besteht aus Wörtern, aus Sätzen. Der Körper entsteht beim Lesen, die Bilder materialisieren sich im Kopf des Betrachters. In Wien hat Lawrence Weiner 1991 eine Arbeit am Flakturm im Esterházypark angebracht: Zerschmettert in Stücke (im Frieden der Nacht) / Smashed into pieces (in the still of the night).

Und: Held together with water ist an die Sammlung Verbund gegangen. Eine Arbeit, die nie dafür gedacht war. "Ich arbeite nie ,site specific‘. Aber die Arbeiten finden ihren Platz. Ich arbeite ohne Metapher. Aber wo immer die Werke später realisiert werden, wirken sie ,site specific‘." Und erfordern vom Käufer Kommunikation. Es liegt an ihm zu vermitteln, zu erklären, was er erworben hat – eine Frage.

"Es ist bourgeois zu glauben, der Platz des Künstlers wäre außerhalb der Gesellschaft. Nein, er ist mittendrin. Und seine Aufgabe ist es, Fragen zu stellen. Künstler – die versuchen sich anzupassen, die dazugehören wollen, die glauben, Antworten geben zu können – werden ihrem Gegenüber gleich. Einem Gegenüber, an dem nichts schlecht ist, bloß dass es keine Kunst produziert. Und die Frage muss lauten: ,Warum ist etwa dieser Aschenbecher am Tisch?‘ und nicht: ,Was bedeutet es jetzt, diesen Aschenbecher am Tisch zu haben?‘ Kunst ist nicht dazu gedacht, in einen Kontext zu passen. Sie ist immer das, was sie ist. Kunst verhandelt nicht den Kontext. Sie wäre dann ja imperialistisch, würde jedem abverlangen, das zu glauben, was ihr Schöpfer selbst glaubt. Das lehne ich ab."

Das beste Auto machen

Ob ein Kunstwerk dann um 100 oder 250.000 Euro verkauft wird, ist Nebensache. Der Preis ändert nichts am Gehalt: "Das Einzige, was passiert, wenn der Kunstmarkt zusammenbricht, ist, dass das Leben unkomfortabler wird. Wenn jemand ein anständiges Auto baut, ist die Frage, ob das Gefährt nun Luxus wäre oder ein simpler Gebrauchsgegenstand, ja auch nicht von Belang. Entscheidend ist, ob das Auto ein gutes Werkzeug ist, um von A nach B zu gelangen. Kunst ist genauso: Sie bringt einen von A nach B. Kunst zu machen heißt, das beste Auto zu machen."

Und die Käufer? Haben sich nicht viele Künstler deren Interessen ausgeliefert, sind bestimmte Preise nicht einfach zu hoch, an wen darf verkauft werden? "Vielleicht haben wir 15 bis 20 Jahre darauf verschwendet, uns Sorgen über die ,comodification‘ der Kunst zu machen, zu lange gefragt, ob Kunst zur Ware werden darf oder nicht. Wenn etwas jemandem offensichtlich wert erscheint, es zu haben oder zu stehlen, dann ist es auch wert, es zu kaufen! So what is the big deal?" (Markus Mittringer, DER STANDARD/Printausgabe, 02./03.05.2009)

Bis 13. Juni