Jeweils montags und donnerstags eine Stadtgeschichte
von Thomas Rottenberg

Es war vor ein paar Tagen. Da riet mir G., meinen Gastro-Fokus zu verschieben. Gar nicht weit - bloß ein paar Meter. Denn, meinte G., der Überlebenskampf, den "Mirchi" das indische Restaurant, das da vor einiger Zeit in die (vermutlich) verfluchten Räumlichkeiten des einstigen "Orange Cafés" gezogen sei, sei zwar heroisch - werde aber noch andauern. Da könne ich noch ein wenig abwarten.

Denn schließlich, so G., habe hier doch gerade das neue, Thai-Takeaway-Restaurant eröffnet. Und da die anrainende Anwohnerschaft die langsame Genese des Lokales in den vergangenen Monaten mit großem Interesse und noch größerer Hoffnung beobachtet hätte, sei die Sache mit dem Schild wohl symptomatisch - und eine Erwähnung wert.

Hilfe

Nicht zuletzt, so G. weiter, weil ein rechtzeitiges, wohlmeinendes Eingreifen dem Thai-Laden vielleicht jenes Schicksal ersparen könnte, das der Kebab-Hütte davor widerfahren war: Ein ambitionierter Start - gefolgt von Stagnation, Ratlosigkeit und alsbaldigem Untergang. Obwohl es hier doch gar nicht so viele andere Kebabläden gäbe - und die angebotene Ware eigentlich recht gewesen sei.

G. hat Recht. Denn Lokale wie den Thai-Takeaway gibt es in Wien nicht all zu viele. Das ist schade. Schließlich ist es ja auch in anderen - echten - Großstädten längst möglich und üblich, Küchen aus 1001 Ländern nicht nur in mehr oder weniger angesagten Restaurants oder über dubiose Postwurf-Telefonorderkarten zu testen. In Sachen kleiner, schneller, unprätentiöser und guter multikultureller Zuhauseessgastronomie hat Wien Nachholbedarf. (Das könnte, wirft G ein, vielleicht auch am Mangel der Vielfalt der hier heimischen Ethnien liegen. Das ändere aber nichts am prinzipiellen Manko.)

Weltstadtflair

In jedem Fall beobachteten wir das Wachsen des Thai-Takeaways mit gespannter Erwartung: Ich, weil ich zu faul/dumm zu kochen bin. B., der Clubbing-Deko-Macher weil er mittlerweile fast das halbe Jahr bei seinem Sohn in Fernost lebt. H, der Antirassismus-Aktivist, weil er und sein Freund sich über gelebte Vielfalt freuen. P, der Modedesigner, weil so ein Lokal neben seinem Atelier ein bisserl Weltstadt-Flair versprüht. N., die Grafikerin, weil ihr das abendliche Arbeitspizza-Einerlei schon so auf die Nerven ging. Und so weiter.

Und als dann vor ein paar Wochen Eröffnungsabend war, war die Bewohnerschaft im Village erfreut: Das Buffet war viel versprechend. Das Publikum eine bunte Mischung aus lokalem Viertel-Urgestein und halbschickem Neo-Grätzelvolk. Und die Betreiber ein recht lustiger Haufen von Thais samt ein paar Figuren, die in Fernost meist als "Ex-Pats" laufen - "Hängengebliebene" also. Bloß dass die hier eben daheim hängen geblieben (oder zurückgekommen) waren. Außerdem gibt es noch einen dicken, alterstollpatschigen einäugigen Dackel Kurz: Alles freute sich - und man blickte fröhlich in die Zukunft.

Ernüchterung

Doch schon am nächsten Tag kam Skepsis auf: Keine Frage, das Essen schmeckte - aber die Wartezeiten an der Budel irritierte. "Anlaufschwierigkeiten", sagte P., der Designer. Doch in den Tagen darauf schliff sich das auch nicht ein: die kleinen Tische im Lokal blieben ewig unabgeräumt, der Koch und seine Team wichen den Augen der neu eintretenden Gäste oft so lange aus, bis die das Lokal wieder verließen - und die Portionen waren zwar lecker, aber "ein bisserl ein Witz", meinte als erstes K., "da würde wohl nicht einmal ein kleiner Asiate satt."

K. hier Bösartigkeit zu unterstellen, wäre gefehlt: Der Gefängniswärter aus dem Nachbarhaus ist trotz seines Berufes und seiner imposanten Figur ein herzensguter Mensch. Doch um diesen Körper in Betrieb zu halten, sagt er, brauche er eben eine gewisse Mindestmenge an Nahrung. Noch dazu, wo sein Sohn noch ein oder zwei Kleidergrößen mehr füllt.

Plastiktiegel

Als dann auch noch I., der aus England zugewanderte Musiker, klagte, dass er es ein wenig traurig fände, das Mitnehm-Essen in schnöden Klarsichtplastikeinwegschüsserln zu bekommen ("ich hätte mich über Papierbecher gefreut"), war eines klar: Hier gibt es dringenden Bedarf an Nach- oder Feinjustierung. Aber: Darf man das als schnöseliger Gast einem hoffnungsfrohen Neo-Restaurantbetreiber so einfach ins optimistisch lächelnde Gesicht drücken?

Nein, meinte G. in den ersten Tagen. Und bat uns inständig, die Dinge noch laufen zu lassen: "Vielleicht kommen sie ja von selbst drauf." Aber nun, vor ein paar Tagen, änderte er seine Meinung: "Die gneissen es nicht", eröffnete er traurig. Wieso? "Die haben zwar eine gute Idee - aber kein Gefühl für Kleinigkeiten." Dann zog G. sein Handy - und zeigte uns die Bilder vom Firmenschild: (Bitte weiterklicken)

"Bei Tag schaut es ganz normal aus. Aber am Abend nicht. In den ersten Tagen habe ich gedacht, die bringen das in Ordnung - aber das bleibt wohl so. Und was das bedeutet, wissen wir alle." (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 11. Mai 2009)