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Der Uhrturmschatten von Markus Wilfling gemahnte an die NS-Schattenseite von Graz. Heute steht er im Shoppingcenter.

 

Fotos: APA/Gindl, Ökopark Hartberg

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Der Grazer Marienlift des Künstlers Richard Kriesche mutierte  zum "Öko-Weitblick" im Ökopark Hartberg.

Fotos: APA/Gindl, Philipp

Es ist die ultimative Kür aller Schrebergartenbesitzer: Sie häufen Erde und Steine zu einem Berg auf, pflanzen Enzian, Edelweiß und anderes Alpingewächs an und drapieren allerhand Kleinod ringsherum. In der Steiermark obligatorisch wird obendrauf das weithin sichtbare Wahrzeichen der Landeshauptstadt, der Grazer Uhrturm, gesetzt: als krönender Höhepunkt im Zwergenstaat der Gartenanlage.

Mit ähnlichem ästhetischem Hintergrund, aber in Originalgrößendimensionen, hat sich vor Jahren auch Österreichs zweitgrößtes Einkaufszentrum im Grazer Speckgürtel, die Shopping Center Seiersberg, um die Schaffung einer Schrebergartenidylle inmitten der grellen Einkaufsscheinwelt bemüht. Die Gelegenheit war günstig, die Grazer Stadtväter waren gerade dabei, den Titel "Europas Kulturhauptstadt 2003" zu verräumen.

Man fing mit dem Räumungsverkauf - gleich nachdem das Kulturjahr um war - ganz oben am Schlossberg an. Hier hatte Markus Wilfling ein maßstabgetreues, schwarzes Pendant neben den bestehenden Uhrturm gesetzt. Einen Schatten eben, der die dunklen NS-Seite von Graz als "Stadt der Volkserhebung" wachrufen sollte. Bis die Stadtregierung - noch 2003 - beschloss, die Installation zu verramschen. Das Shoppingcenter griff, irgendwie als Gag, zu. Zum Flohmarktpreis.

Heute, Mai 2009, steht der Turm, völlig seiner ehemaligen tiefen Bedeutung entkleidet, im Shopping-Kreisverkehr, das schwarze Denkmal, das an die Gräuel des NS-Terrors gemahnt, schmückt jetzt ein buntes Frühlingsblumendekor. Im Winter, als es gegen Weihnachten ging, umschlang eine rote Schleife das Kunstgebäude. Shoppingcenter-Chefin, Anita Bräunling, deren Vorgänger den Ankauf verantwortet, weiß um die künstlerische Bedeutung des Uhrturms. Bräunling: "Er hat natürlich seinen Zweck komplett verloren." Aber nun steht er eben da. Bräunling: "Wir haben ihn in die neue Werbelinie aufgenommen."

"Ich hab mich eh gewundert, warum ihn die Grazer Politiker verkauft haben", schüttelt Reinhard Fink den Kopf und meint damit aber nicht den Uhrturm, sondern das zweite, international seinerzeit hochbeachtete Kunstwerk des Grazer Kulturhauptstadtjahres 2003, den Marienlift. Die Installation steht heute im Ökopark Hartberg, den Fink leitet. Die Stahl-Glas-Konstruktion wurde ebenfalls ihrer Vergangenheit entledigt. Der Marienlift "funktionierte" nur an der Seite der Grazer Mariensäule, wofür er vom Medienkünstler Richard Kriesche geschaffen wurde. Der Lift brachte die Besucher auf Augenhöhe der güldenen Maria; man konnte - wie die Jungfrau - über die Innenstadt sehen.

Für eine Verschrottungsprämie durfte Fink den Lift mitnehmen. Aber erst 2006, denn bis dahin brachte der Lift - man musste pro Fahrt einen Euro zahlen - eini- ges Bare für die Stadtkasse ein. "Mir hat das Kunstwerk sehr gefallen, ich bin oft damit gefahren, aber ich glaube", sagt Fink, "der Lift lebt bei uns besser weiter als der Uhrturmschatten im Shoppingcenter. Wir haben dem Lift eine neue Bedeutung gegeben." Er wurde aufgedoppelt und erhielt einen zweiten "Marienlift" als Stütze."

Richard Kriesche, dessen Marieninstallation demnächst recycelt mit neuem Namen ("Ökoweitblick") wiederauferstehen wird, sieht diese Praxis der "Kunstverschrottung" mittlerweile recht abgeklärt: "Alles in allem: ein bezeichnendes Wahrzeichen für die Grazer Kulturpolitik von tragikomischer Nachhaltigkeit." (Walter Müller / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14.5.2009)