Programmierungen (oben), Installationen (Mitte), Elektronik (unten): Drei Arbeitsplätze für drei unterschiedliche Aufgaben in Jörg Piringers Wohnatelier.

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Platinen Ätzen unter dem Hochbett, Sägen neben der Dusche, Schleifen im Vorraum: "Naja, schau's dir an", antwortet Jörg Piringer auf die Frage, warum er einen größeren Arbeitsraum braucht: "Dort drüben entwickle ich meine Installationen, unter dem Hochbett ist die Werkstatt für elektronische Geräte, hier ist mein Computer und in der Küche... dort säge, schleife und bohre ich." Er lacht über den Gedanken, sich zusätzlich eine Fräse für dreidimensionale Objekte anzuschaffen: "Das geht sich hier beim besten Willen nicht mehr aus."

In der Tat hat das Wohnatelier des Wiener Sound- und Textkünstlers sowie Informatikers sein Limit erreicht, dabei sollte man annehmen, dass die Produktion von Literatur – wie er einen Großteil seiner Arbeit bezeichnet – mit einem einfachen Schreibtisch auskommt. Neben interaktiven Soundgedichten für das Internet, die dem herkömmlichen Verständnis von Schreibkunst noch am nächsten kommen, arbeitet Jörg Piringer aber auch mit dem Medium Video, perfomt häufig live in Clubs und bei Festivals, entwickelt in Zusammenarbeit mit dem Institut für transakustische Forschung Musikroboter und tritt mittlerweile seit mehr als zehn Jahren mit dem Wiener Gemüseorchester auf. So vielfältig die Arbeit des Künstlers sein mag, zwei Element ziehen sich wie ein roter Faden durch sein gesamtes Schaffen: zum einen Sound, zum anderen Text, vor allem aber die Verbinung aus beiden.

Interface-Poetik

In einer seiner Performances mit dem Titel frikativ (2007-2008) etwa generiert Jörg Piringer abstrakte visuelle Textkompositionen durch seine Stimme. Die Verengung des Sprechapparats erzeugt so genannte Reibelaute, deren Zischen, Pfeiffen und Vibrieren sich auf der Leinwand in Form von Buchstabengebilden äußern. Die Visuals werden mit Sound überlagert und lassen die Stimme zum Interface zwischen Computer und Bildschirm werden. Der Ausgangspunkt dieser Performance ist das Sprechen selbst, also jener Prozess der Artikulierung von Lauten, die immer wieder eine neue Form annehmen, um sich schließlich doch aufzulösen.

Mit ähnlichen Methoden der Granulierung arbeitet der Künstler auch bei seinem interaktiven Objekt fms (2006). Bei diesem handlichen Gerät hat er einen Lautsprecher, Batterien, einen Verstärker, einen Sprachsynthesechip und einen so gennannten Microcontroller zusammengebaut und mit Raoul Hausmans gleichnamigen typografischen Lautgedicht kurzgeschlossen. Bewegt man das Objekt, so brabbelt es je nach Bewegungsgeschwindigkeit und Distanz zu seiner Umgebung die Laute des dadaistischen Gedichtes.

Jörg Piringer belebt die künstlerischen Methoden der frühen literarischen und künstlerischen Avantgarde wieder und spannt einen gekonnten Bogen in das Computerzeitalter. Seinen Arbeiten zwischen visueller elektronischer Poesie, Soundspielen aus dem Heimwerkerkoffer und Robotik fehlt es dabei weder an Variation noch an zeitgemäßer Neuinterpretation.

derStandard.at: Wie kommt man als Informatiker zur Kunst?

Piringer: Schon vor meinem Studium, habe ich Kunst gemacht – vor allem habe ich geschrieben. Es gab damals aber in Österreich keine Ausbildung für ein künstlerisches Literaturstudium – ich denke nirgendwo in Europa. Deshalb habe ich mich dann für das andere Studium 'mit dem Schreiben' entschieden – das war die Informatik. (lacht)

Prinzipiell finde ich es seltsam, dass es nicht schon längst mehr Studienzweige für sprachbasierte Kunst gibt. In den USA, beispielsweise auf der Brown University in Providence, wird Literatur als Kunstform unterrichtet. Dort liegt der Schwerpunkt sogar auf elektronischer Poesie. Damals, als ich zu Studieren begonnen habe, hätte ich mich sicher für ein solches Studium beworben. Im Nachhinein bin ich ganz froh, dass ich kein Kunststudium absolviert und auch andere Dinge außerhalb des Kunstbetriebs gesehen habe.

derStandard.at: Wo liegt für dich die Schnittstelle zwischen Computerwissenschaft und Literatur?

Piringer: Mit Sicherheit treffen sich die beiden im Material, also in der Sprache. Und – das mag jetzt vielleicht etwas komisch klingen – im Schreiben. In beiden Fällen, also sowohl in der Literatur als auch in der Informatik gibt es einen Autor und einen Leser. Beim Buch dechiffriert der Mensch den Text, beim Programmcode gibt es noch eine zusätzliche Ebene. In beiden Fällen muss der jeweilige Text aber zuerst interpretiert werden, um ihn zu verstehen.

Der Computer ist an sich ein literarisches Medium. Grafik und Sound, so wie wir das heute kennen, gibt es ja noch nicht so lange. Auch wenn das Sprichwort genau das Gegenteil besagt, ich finde, man kann mit einem Text viel mehr sagen, als mit einem Bild – Text ist ein mächtiges Instrument.

derStandard.at: Was fasziniert dich so am Text?

Piringer: Mich interessieren die Materialität der Sprache und der Stimme, ihre Mikrostrukturen. Wahrscheinlich sind es die gleichen Beweggründe, aus denen sich auch Physiker mit Elementarteilchen auseinandersetzen: Ich will etwas über die Beschaffenheit meiner Welt herausfinden.

Ähnlich wie in wissenschaftlichen Experimenten schaffe ich mit meinen Arbeiten Versuchsanordnungen, in denen ich – buchstäblich – Partikel aufeinanderprallen lasse. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse fließen wiederum in neue Versuchsaufbauten ein. Ich versuche ständig neue Problemfelder und Aufgabengebiete im Kontinuum zwischen Schrift, Laut und Form zu erschließen.

derStandard.at: Visuelle Gedichte, konkrete Literatur, Lautpoesie: Was unterscheidet deine Arbeiten von Strömungen wie etwa der Wiener Gruppe?

Piringer: Die Wahl des Mediums und vor allem auch der Zugang. Ich habe irrsinnig viel gelernt von der Wiener Gruppe und ihrer Beschäftigung mit der Sprache als Material – beispielsweise von Gerhard Rühm. Im Gegensatz dazu arbeite ich aber viel mit Akustik, verwende Samples aus dem alltäglichen Leben und verändere bereits existierendes Material. Ein anderer Punkt ist natürlich auch die Interaktivität, die zu Zeiten der Wiener Gruppe ja nur begrenzt möglich war.

derStandard.at: Gibt es weitere Vorbilder?

Piringer: Da fällt mir Henri Chopin ein und neben dem frühen österreichischen Avantgardefilm und den Experimenten mit dem Medium Video in den 1990er Jahren sind sicher auch Computerspiele ein wichtiger Einfluss für mich.

Ich bin ein Gamer. Das ist die narrative Form, die dem Computer vermutlich am ehesten entspricht. Wenn man ein bisschen sucht, findet man unter dem Sammelbegriff "Alternative Gaming" auch wirklich gute Spiele. Wenn Computerspiele gut gemacht sind, ist das eine tolle Art, um Geschichten zu erzählen. Du kannst mit den Erwartungshaltungen der Leser spielen. Auch das Thema der Immersion ist dort am weitesten fortgeschritten.

derStandard.at: Eines deiner Anliegen ist also die Verbindung von analog und digital?

Piringer: Ja. Die Basteleien mit den Robotern habe ich allerdings erst in den vergangenen Jahren verstärkt begonnen, weil es mir irgendwann auf die Nerven gegangen ist, immer nur vor dem Bildschirm zu sitzen. Das ist jetzt aber auch der Grund, warum ich einen größeren Arbeitraum brauche.

derStandard.at: Steht das Gemüseorchester auch unter diesem Motto?

Piringer: Das Gemüseorchester ist eigentlich aus einem Scherz entstanden. Aber ja, fortgeführt haben wir es dann mit derselben Intention. Wir versuchen wie elektronische Musiker zu arbeiten – nur mit gänzlich unelektronischen Mitteln: Wenn ich am Computer sitze und Sound erzeuge, habe ich einen Ausgangsklang, den ich nach dem Trial-and-Error-Prinzip bearbeite. Ähnlich ist das auch beim Gemüseorchester. Wir haben eine Idee und bauen ein ganz bestimmtes Instrument dafür.

In der Regel wissen Musiker wie ihre Instrumente klingen, bei Gemüse kannst du dir aber nie wirklich sicher sein. Es ist zum Teil auch recht schwierig, Stücke für das Orchester zu komponieren, weil man aus der Improvisation nie wirklich rauskommt. Diesen Kampf muss man aber akzeptieren, denn das macht dann auch den Klang aus.

(fair, derStandard.at, 15.06.2009)