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Straßenszene in Danzig

Foto: AP /Krzysztof Mystkowski

Ein rauschendes Fest hätte es werden sollen. Gäste aus ganz Europa hätten heute in der Hafenstadt Danzig mit den Polen feiern und auf die Freiheit anstoßen sollen - neben der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel ein knappes Dutzend Premierminister und Präsidenten aus ganz Europa. Denn vor genau 20 Jahren, am 4. Juni 1989, wählten die Polen in den ersten, noch halbfreien Parlamentswahlen im damaligen Ostblock den Kommunismus ab. Das war einmalig in der Geschichte Europas. Der Fall des ersten Dominosteines Polen löste eine Kettenreaktion aus. Am Ende der friedlichen Revolution fiel auch die Berliner Mauer.

Doch die Freiheitskämpfer der Solidarnosć sind heute so zerstritten, dass sie nicht einmal mehr in der Lage sind, sich an einen Tisch zu setzen, geschweige denn den gemeinsam errungenen Sieg zu feiern. Ausgerechnet der Chef der heutigen Gewerkschaft Solidarnosć kündigte an, die große Solidarnosć-Siegesfeier in Danzig stören zu wollen. Denn die Verlierer des so hart erkämpften Systemwandels seien die Werftarbeiter von Danzig. Die berühmte Werft stehe wieder einmal vor der Pleite. Schuld seien die Regierung und die Europäische Kommission in Brüssel. Das wolle man mit einer Protestkundgebung auch den Präsidenten und Premierministern unter den geladenen Gästen klarmachen.

Die heutigen Solidarnosć-Demonstrationen in Polen haben allerdings nichts mehr mit den früheren zu tun, als die ganze Welt sich angesichts der im Gebet versunkenen Arbeiter die Augen rieb. Wenn die Solidarnosć heute zu Demonstrationen aufruft, sind brennende Reifen an der Tagesordnung, Molotowcocktails, berstende Schaufensterscheiben und mit Holzprügeln um sich schlagende Arbeiter. Auf der anderen Seite stehen hunderte Polizisten, die mit Tränengas versuchen, der Situation Herr zu werden. Polens Premierminister Donald Tusk verlegte daraufhin den offiziellen Teil der Feiern nach Krakau, hinter die dicken Mauern der alten Königsburg Wawel. Hier findet nun die Siegesfeier der friedlichen Revolution statt. Sicher, aber einsam. Denn außer den geladenen Gästen und ein paar Journalisten hat niemand Zutritt zum Wawel.

"Platz bei den Arbeitern"

Polens Präsident Lech Kaczyñski kündigte bereits an, auf keinen Fall nach Krakau kommen zu wollen. Sein Platz sei in Danzig bei den Arbeitern. An der Regierungsfeier des einstigen Solidarnosć-Mitkämpfers Tusk werde er nicht teilnehmen.

Überhaupt sei für ihn der eigentliche Feiertag der 12. September 1989, als Tadeusz Mazowiecki zum ersten demokratischen Ministerpräsidenten Polens seit Ende des Zweiten Weltkriegs gewählt wurde. Er akzeptiere den 4. Juni 1989 nur deshalb als den "Tag, an dem der Kommunismus endete" , weil er sich inzwischen im Bewusstsein der Gesellschaft festgesetzt habe.

Auch sein Zwillingsbruder Jaroslaw Kaczynski, der vor zwei Jahren noch einer nationalkonservativen Koalition vorstand und heute Oppositionschef ist, will an den Feiern in Krakau nicht teilnehmen. Kein Wunder, hat er doch in den letzten Wochen Polen erneut mit einer Welle antideutscher Ressentiments überzogen, um bei den Wahlen zum Europäischen Parlament punkten zu können. Sich nun freundlich lächelnd auf dem "Familienfoto" mit Angela Merkel ablichten zu lassen, würde seine Worte von den angeblich so gefährlichen und niederträchtigen Deutschen Lügen strafen. (Gabriele Lesser aus Warschau/DER STANDARD, Printausgabe, 4.6.2009)