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Klaus Maria Brandauer (l.) und Tina Engel (r.) während einer Probe

APA-FOTO: JIM RAKETE/WIENER FESTWOCHEN

Wien - Der Dorfrichter Adam, den Klaus Maria Brandauer auf die mitternachtsdunkle Bühne des Theaters an der Wien hinzaubert, wäre aller modernen Ehren wert. Der tragische Täterheld in Kleists Lustspiel Der zerbrochne Krug muss über sich selbst zu Gericht sitzen. Frau Marthe Rull (Tina Engel) beklagt in rohem Ton das Schicksal ihres Lieblingsgefäßes. Auf dem Spiel steht aber die sittliche Ehre ihrer Tochter Eve (Marina Senckel), der Adam unter Missbrauch seiner Amtsherrlichkeit beizuwohnen versucht hat.

Prächtiger Wüstling

Was für ein prächtiger Wüstling: Der an Kopf und Bein blessierte Adam leckt seine Wunden mit perversem Behagen. Brandauer reiht seine Figur anlässlich eines doch recht bleiernen Festwochen-Gastspiels des Berliner Ensembles in die Galerie der großen, augenzwinkernden Verzichter ein.

Sein Adam ist der unmanierliche Bruder von Hans Sachs, dem Handwerksmeister aus Die Meistersinger von Nürnberg. Er mault und mäkelt herum, er streut Kleists Verse mit lässiger Geste wie Vogelfutter aus: Kommt und fresst mir aus der Hand, bedeutet dieser haltlose Charakter den rohen Dorftölpeln von Huisum.

Seit seinem Wallenstein, den Regie-Partner Peter Stein mit derselben knöchernen Akribie inszeniert hat, kann man Brandauers Fachwechsel nur mit Freude bestaunen. Brandauer spielt das Elend des Alters. Er streckt dabei sich und allen anderen die Zunge heraus: Seht her, ich bin ein liederlicher Kerl - und kann und will es auch nicht anders!

Nun ist mit einem Fanatiker des Quellenstudiums wie Stein aber leider nicht zu spaßen. Seine Inszenierung orientiert sich ganz an der Genremalerei alter niederländischer Meister. Sie ist ganz närrisch verliebt in ihre Zöpfe und Putzhäubchen, in hübsche Mamsellen und zynische Gerichtsräte (Martin Seifert). Sie wirkt wie mit Staub imprägniert und beschwert sich obendrein mit dem langen "Variant"-Schluss - dann, wenn der entlarvte Dorfrichter bereits die Flucht in die Schrecken des Eises und der Finsternis angetreten hat.

Adam aber stapft im Schlussbild über den Schnee, das Volk der bornierten Dörfler als fröhliche Hetzmeute hinter sich auf den Fersen. Er fährt am Seilzug in den Himmel - "unser" Bruder Adam, der an unser aller Statt die Sünde der Geilheit büßt. Immerhin das Schlussbild auf Ferdinand Wögerbauers frostiger Bühne verströmt einen zarten, berührenden Zauber.

Stein hält uns Kleists gleichnishaftes Lustspiel möglichst vom Leib - man wäre froh, wenn sich Brandauer anderer, womöglich modernerer Vehikel für seine Kunst bedienen würde. Der Jubel war groß. (Ronald Pohl / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 4.6.2009)