Es ist nicht der Tag des Werner Faymann. Auch nicht seine Woche, und irgendwie auch nicht sein Jahr. Die sechste Wahl in Folge verloren die Sozialdemokraten. Und eines kann man mit Sicherheit feststellen, obwohl noch nicht einmal alle Stimmen ausgezählt sind: An diesem heutigen Verlust ist die SPÖ selber schuld - ein Paradebeispiel einer hausgemachten Niederlage. Auf das Vergrämen von pro-europäischen Wählern durch Werner Faymanns Kniefall vor dem Boulevard folgte ein ständiges Hick-Hack zwischen dem Kanzler und seinem Spitzenkandidaten Hannes Swoboda. Man zeigte innere Zerrissenheit und Wankelmut in der europäischen Linie - keine gute Wahlwerbung. Altmodische und nichtssagende Wahlplakate und eine Internetkampagne, die eher peinlich als mobilisierend war, taten einiges dazu. 

Auch die Grünen tappten in die Wankelmut-Falle. Auch wenn die Korrektur des EU-Kurses von enthusiastisch-positiv zu kritisch-skeptisch mehr als ein Testballon gestartet wurde und die Parteispitze schnell zurückruderte: Die Glaubwürdigkeit war beschädigt, die bürgerlich-proeuropäischen Wähler waren abgeschreckt. Dann war da noch die Causa Voggenhuber, die im Rückblick weder auf den grünen EU-Veteran selbst noch auf die gesamte Partei ein besonders positives Licht wirft. Und schließlich ein Wahlkampf, in dem sich die Grünen sichtlich schwer taten, Populismus im positiven Sinn zu leben - noch immer schafft es Glawischnigs Partei nicht, komplexe Sachverhalte in einfachen Erklärungen, einfachen Worte dem Wähler zu vermitteln.

Die Volkspartei feiert heute demonstrativ, innerlich ist es aber wohl eher ein erleichtertes Aufatmen. Zu gefährlich war es, einen ungeliebten, uncharismatischen und in EU-Agenden weitgehend unbeleckten Ernst Strasser als Zugpferd in die Wahl zu schicken. Für die VP dürfte sich das Vorzugsstimmenduell um Otmar Karas und Strasser schlussendlich doch gelohnt haben - zumindest sorgte es bei schwarzen Wählern für den Schritt zur Urne. Tatsächlich ist das Ergebnis der Volkspartei aber weit weg davon, ein echter Sieg zu sein - es ist eher ein einigermaßen gering gehaltener Verlust.

Heinz Christian Strache dürfte angesichts des heutigen Abends sein fast fabrikneues Firmgewand wutentbrannt in eine Ecke gedonnert haben. Der blaue Frontmann steuerte - mal wieder - auf einen Erdrutscherfolg zu, bis ihm irgendein Wahlhelfer ein schlichtes Holzkreuz in die Hand drückte und dem FP-Chef in der Folge sein Wahlkampf irgendwie entglitt. Herr und Frau Österreicher nahmen ihm seinen folgenden Ausritt gegen die katholischen Kirche dann doch übel. Weil: Selbst wenn die meisten Österreicher Taufscheinchristen sind - schimpfen darf man über „ihre" Kirche dann doch nicht. Insofern ist das gute Ergebnis der FPÖ eines, das ohne gravierende Wahlkampffehler noch deutlich besser hätte ausfallen können.

Hans Peter Martin, Liebkind der Kronen Zeitung, kann heute beruhigt schlafen gehen. Er hat als lebendes Soziologie- oder Publizistikexperiment den Beweis erbracht, dass die Krone als Manipulationsinstrument einen Kandidaten (von einer Partei kann man bei Martin ja nicht sprechen) auf Platz 3 hieven kann. Das ist der Stoff, aus dem politologische Studien sind - aber es ist nicht der Stoff, aus dem langfristige politische Erfolgsgeschichten sind. Martin wird im EU-Parlament das tun, was er am besten kann: Seine Stimme erheben, sich mit politischen Gegnern und schließlich auch mit politischen Gefährten zerstreiten und schließlich, irgendwann, in hohem Bogen aus der Volksvertretung fliegen. Wie Werner Faymann nur zu schmerzlich erfahren musste: Die Liebe eines Hans Dichand währt nie ewig. Und ohne die Krone ist Martin nichts.

Für Ewald Stadler und sein BZÖ ist das Wahlergebnis natürlich enttäuschend. Allerdings war für das orange Bündnis, das de facto nur in Kärnten ein Standbein hat, auch nicht mehr zu erwarten gewesen. In der österreichischen Parteilandschaft ist nur wenig Potenzial für einen extremkonservativen Christen mit extremen Einstellungen, eine weitgehend unbekannte und unbemerkte Truppe dahinter und widersprüchlichen Aussagen zur EU vorhanden - das Feld beackern andere besser und nachhaltiger.

Die Liberalen und die KPÖ schließlich haben, abgesehen von ein paar unverwüstlichen Stammwählern (bei den Kommunisten) und ein paar innovationsfreudigen Liberalen (bei den Julis) wieder nur wenige WählerInnen von sich überzeugen können. Was die KPÖ - wie schon in den vergangenen Jahrzehnten - nicht daran hindern dürfte, politisch weiter aktiv zu sein. Bei den Liberalen sieht es anders aus: Die EU-Wahl dürfte den Tod des Liberalen Projekts jetzt wohl endgültig besiegelt haben, auch wenn am Wahlabend schon über die Gründung einer liberalen Partei gesprochen wurde.

Wie immer an Wahlabenden ist noch das große Rätseln, Analysieren und gegenseitige Schuldzuweisen im Gange. Aber schon in ein paar Tagen wird sich die Aufregung langsam legen. Pressesprecher und Politiker werden ihre Sommerurlaube antreten. Die Wahlplakate werden abgeräumt. Die Twitteraccounts verwaisen. Die neuen Parlamentarier verlassen Österreich und somit auch das Blickfeld der meisten Medien. Und dann ist die EU für die österreichische Politik wieder das, was sie vor dem Wahlkampf war: Weit weg, sehr fremd und im besten Fall gut, um einen Schuldigen für negative Entwicklungen zu haben. (Anita Zielina, derStandard.at, 7.6.2009)