Patrick Wolf: "The Bachelor" (Bloody Chamber Music/Warner 2009)

Coverfoto: Bloody Chamber Music

Um keine musikalischen Kompromisse schließen zu müssen, hat der Londoner Musiker-jenseits-aller Schubladen Patrick Wolf zur Finanzierung seines vierten Albums experimentelle Wege beschritten: Fans waren dazu aufgerufen, via die Website Bandstocks.com Produktion und Marketing des Albums (plus allen weiteren Erforderlichkeiten wie Videodrehs, Tourvorbereitungen und Bühnenbedarf inklusive a fabulous wardrobe) als Shareholder zu finanzieren. Dafür winkten abgesehen von einer möglichen Rendite diverse Goodies: Vom Album-Download über Vorab-Kaufmöglichkeiten für Konzerttickets und Tonträger bis hin zu eigenen Konzert-Terminen ausschließlich für wölfische InvestorInnen.

Auf der dem Album beigefügten Namensliste sind auch - wenngleich nicht unter ihren Job-Identitäten - diese beiden eingetragen: Jus und Josefson haben ihren anfänglichen Schlagabtausch, wer sich "The Bachelor" schnappen darf - "Finger weg von meinem künftigen Ehemann!" - "Du meinst wohl den Vater meiner Kinder!" - beigelegt und widmen sich fürs erste wieder den musikalischen Aspekten des Albums.

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Josefson: Hast du eigentlich in das Album investiert?

Jus: Ja, habe ich. In der Theorie ist es eine nette Idee: Wir Fans investieren in die Veröffentlichung und werden zu einer Art Plattenfirma. Ich denke, dass diese autonome Produktionsweise mit seinem eigenen Label Bloody Chamber Music auch besser zu einem Künstler wie Patrick Wolf passt. Viele junge Musiker wollen unbedingt bei einem Major-Label unterkommen, aber zwischen Wolf und Universal hat die Zusammenarbeit zum Schluss nicht mehr funktioniert.

Wie gesagt, in der Theorie klingt die Idee gut. Leider gab es dann aber doch organisatorische Schwierigkeiten. Die Investoren haben zum Beispiel die CD noch immer nicht zugeschickt bekommen, im Handel ist sie aber schon erhältlich. Wie sehen deine Erfahrungen aus? Hast du zum Beispiel schon Konzerttickets gekauft? Für einige Konzerte soll es ja nur Tickets für Investoren geben.

Josefson: Aber nicht in unseren Breitengraden, soweit ich weiß - naja im Oktober kommt er eh ins WUK, das ist doch was. Meine Investoren-Spezialedition hab ich natürlich auch noch nicht bekommen, es leben die alten Produktions- und Vertriebswege!

Viel interessanter ist aber sowieso, wie sich eine Produktionweise, die wirklich independent ist, auf die Musik auswirkt. Beim Vorgängeralbum "Magic Position" hatten viele wegen der Kooperation mit Universal Angst vor Ausverkauf, aber wenn da jemand größere kommerzielle Zugeständnisse drauf gefunden hat: gratuliere. "The Bachelor" ist insgesamt zwar um einiges komplexer als "Magic Position" und wirkt wie eine reifere Variante des Erstlings "Lycanthropy" - aber paradoxerweise sind auch die zwei am simpelsten gestrickten Stücke drauf, die Patrick bislang geschrieben hat: "Battle" und "Vulture". Die freudig erwartete Kooperation mit Alec Empire ist für mich zumindest doch nicht das erhoffte Highlight geworden. Klingt nämlich eher danach, als hätte Empire einen Nachschlag zu seinem letzten Album gereicht und dafür jemanden engagiert, der wirklich singen kann. Wenig Wolf-Anteil ... mit Ausnahme der Texte allerdings.

Jus: Ich sehe "The Bachelor" auch eher in der Nähe von "Lycanthropy". Anders als beim Debütalbum produziert er allerdings nicht mehr mit einem Laptop in seinem Schlafzimmer, sondern versucht sich im Studio an einem Doppel-Konzeptalbum (Teil zwei "The Conqueror" soll Anfang 2010 erscheinen). Er arbeitet nun mit Orchestern, Gastmusikern - und Schauspielern. Die britische Oscar-Preisträgerin Tilda Swinton tritt als "Voice of Hope" in Erscheinung, einer Art freudsches Über-Ich oder Gewissen. Der Sound klingt dennoch auf einigen Liedern fast rau. "Was your work of art so heavy, that it would not let you live?", fragt Wolf in "The Sun is often out". Nein, Wolf lässt seinen Songs genug Raum zum atmen und baut wieder großzügig Ecken und Kanten ein, die noch süchtiger nach seiner Musik machen.

Der dritte Track "Oblivion" startet zum Beispiel mit Drum'n'Bass-Rhythmen, zu denen sich Kammermusik und akustische Gitarren mischen. Dazu singt Wolf mit großer popmusikalischer Geste "Father, where's my gun?/ Now that the war has begun / Oh, let me go it alone/ I need no one." Swinton kommentiert den musikalischen Auflauf: "I hear you, but I am not afraid of you."

Josefson: "Freudsches Über-Ich" ... Tilda Swinton ist einfach cool wie Sau! Die PartnerInnen, die Patrick sich so aussucht, illustrieren sowieso am besten, wie seine Ansprüche steigen. Erst waren's noch Kumpels und Familie (auf die er aber eh nach wie vor nicht vergisst), dann Patrick Pulsinger und Marianne Faithfull, jetzt Tilda Swinton, Matthew Herbert und Alec Empire. Bin gespannt, was die Zukunft noch bringt, vielleicht eine Kooperation mit Björk. Hoffentlich nicht mit Antony - obwohl er sich mit Queer Pop-Kollegen offenbar eh nicht allzu gut identifizieren kann. Das ganze Gestänkere gegen Mika und Rufus Wainwright ... wohl eine Art von Hengstbissigkeit.

Das Duett mit Swinton ("Theseus") ist übrigens mein Lieblingsstück auf "Bachelor", und überhaupt zeigen die orchestralen Passagen immer wieder, dass Patrick Wolf einfach ein begnadeter Arrangeur ist, dem vermeintliche Unvereinbarkeiten komplett egal sind. Jemand anderer würde entweder eine Kirchenorgel oder ein Harmonium verwenden, aber beides zusammen gibt den speziellen Extra-Kick. Oder die Idee, eine Dulcimer mit Handyklingeln zu kombinieren, dazu dann noch Streicher und eine klimprige Balalaika: Irgendwie verwendet er musikalisch das gleiche Patchwork-System wie bei seinen ... naja, exzentrischen ... Outfits. Bloß harmonischer im Ergebnis.

Das einzige, was mich nicht so ganz überzeugt, ist der Gospel-Chor, der außer in "Theseus" in allen meinen Favoritenstücken auftaucht: "Hard Times", "Damaris" (großartiger Song, ungefähr nach der Machart von "Teignmouth" oder "Bluebells" - ich finde, diese spezielle Songschablone beherrscht er am besten) oder "Who Will". Ist kein großer Abstrich, aber trotzdem: Jedes Mal, wenn die Stelle mit dem Chor kommt, denke ich mir: Das war jetzt nur die zweitbeste Idee.

Jus: Liebe, Krieg und Revolution: Wolf zieht in die Schlacht mit seinem Pop-Großprojekt. Die Chöre scheinen logische Konsequenz seines futuristischen musikalischen Barock zu sein. Wolfs Stimme ist aber so selbstbewusst und kraftvoll, dass die Kontrastierung durch die Chöre keinesfalls peinlich wirkt. Mein Favorit ist eines dieser Chorstücke: "The Sun is often down", ein Nachruf auf seinen Freund Stephen Vickery, der im Vorjahr verstorben ist. "Stephen, this is where I live now / That I have overcome my demons / And have grown out of that thinking / That would not let me live or give."

Das Album lebt vor allem von seiner Kunstfertigkeit (die bereits angesprochenen perfekten Arrangements) und den starken Texten. Eine unverwechselbare Identität wie "Lycanthropy" (2003), das die Verwandlung eines Jungen in einen Wolf beschreibt, das düstere "Wind in the Wires" (2005) oder "The Magic Position" (2007), die Auferstehung als Paradiesvogel, fehlt dem neuen Album aber.

Josefson: Stimmt, diesmal gibt es kein wirkliches Motto. "Bachelor" ist einfach nur ein Album - was aber gar nicht schlecht ist: Wenn jedes neue Werk zum Spiegelbild eines ganzen Lebensabschnitts hochstilisiert würde, würde das den Output auf Dauer sowieso viel zu sehr belasten.

Allerdings beeindruckt mich nach wie vor, wie das Biografische textlich umgesetzt wird: Seit "Lycanthropy" zieht sich diese mythologische Überhöhung des Lebens durch die Songs - irgendwie erinnert mich das immer wieder an Nick Cave (auch wenn Patrick Wolf statt auf die Bibel lieber auf andere Sagenkreise zurückgreift), und stärker noch an Björk und Kate Bush. Mehr Kate Bush denn je.

Aber findest du wirklich, dass es ein "Pop"-Großprojekt ist? Von Pop hat er sich seit "Magic Position" eher wieder ein ordentliches Stück wegbewegt. Aber Schlachtruf auf jeden Fall: "Battle" als Kampfansage gegen Homophobie ... was war das noch für ein Skandälchen auf dem Madonna-Konzert?

Jus: Bei Zuordnungen sollte man allgemein vorsichtig sein, was Patrick Wolf betrifft. Für den Herren müssen erst noch eigene, geräumige Schubladen gezimmert werden.

Ich denke auch, dass es seiner Kunst gut tun wird, dass nun die Musik und nicht die Person in den Vordergrund rückt. Wir wollen ja nicht, dass er sich in eine Madonna verwandelt. Womit wir schon beim Thema wären: Bei einem ihrer Konzerte im vergangenen Jahre wurden er und sein Freund hinausgeworfen. "We are a family-friendly venue", bekam er von den Securities zu hören. Hot Pants, zerrissenes Shirt und heiße Küsse unter Männern würden sich damit nicht vereinbaren lassen. Wolf wurde sogar in Handschellen hinauskomplimentiert. Unterdessen stand Madonna auf der Bühne und sang vielleicht gerade "And Im not sorry / Im not your bitch / don‘t hang your shit on me / it's human nature."

Auf dem neuen Album tritt er daher konsequent für Schwulen-, Lesben- und Transgenderrechte ein. Das jahrelange Touren habe Wolf depressiv, aber auch aggressiver gemacht, wie er in einem aktuellen Interview mit der "Zeit" zugab: "Diese Themen sind zwar politisch verankert, aber nicht gesellschaftlich. Und auch die Medien fürchten sich noch vor Dingen, die schon von Generationen vor uns etabliert wurden."

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To be continued ... spätestens beim Erscheinen von "The Conqueror" im nächsten Jahr.
(Jus/Josefson)