Wenn der Todestrieb nach Freud im Krieg ohne Eros allein steht, führt dies zur völligen Vernichtung des anderen: "Die Schrecken des Krieges: Frauenraub", Deckenlunette von Antonio Bellucci, um 1700.

Foto: Samml. Liechtenstein

Wien - Er lebt dort, wo Tag und Nacht einander begegnen, hat laut Hesiod ein "eisernes Herz und einen erbarmungslosen Sinn" und gibt niemanden jemals wieder frei. Obendrein ist er schwer zu erkennen. Auch Homer wusste ihn zunächst nicht zu beschreiben. Später erscheint er mit schwarzen Flügeln, der den Lebenden eine Locke abschneidet, als ewig schlafender Schönling oder mit gerade noch lodernder Fackel in Händen. Thanatos, der griechische Gott des Todes und des Schlafes - Gott Hypnos - Bruder.

Und dieser von allen gefürchtete Unhold soll sich in jedem von uns verstecken? Das hat sich Freud ja fantastisch ausgedacht. Mit dem Thanatos, dem Todestrieb, hat Sigmund Freud 1920 in "Jenseits des Lustprinzips" einen seiner umstrittensten Begriffe, er selbst sprach von "weitausholenden Spekulationen", in die Theorie der Psychoanalyse eingeführt.

Zusammengespannt hat Freud den Thanatos mit dem Eros, einem ebenfalls geflügelten, hübsch anzusehenden Burschen, der erst später Babyspeck ansetzen sollte. Bei Freud steht er für den Lebenstrieb: "Aus dem Zusammen- und Gegeneinanderwirken der Beiden gehen die Erscheinungen des Lebens hervor." Während der eine Trieb darauf erpicht ist, sich sehnsuchtsvoll mit dem anderen zu verschmelzen, will der andere, die Objekte auflösen: Reines Glück also und pure Zerstörungswut, zwei Kräfte, die im Inneren der Menschen gegenseitig gebunden sind. "Wird der Todestrieb nicht gezähmt, ist es ihm wie in Kriegszeiten möglich, sich unbarmherzig durchzusetzen und die Menschheit ins Chaos zu stürzen."

So erklärt es das Sigmund Freud Museum, das sich gemeinsam mit dem Liechtenstein Museum daran gemacht hat, dem wilden Gespann eine Ausstellung auszurichten: "Eros & Thanatos - Triebe, Bilder, Deutungen" widmet sich diesen und anderen Triebtheorien mit Bildender Kunst aus Antike, Renaissance und Fin de Siècle. Ein gemeinsames Unterfangen mit unterschiedlichen Ergebnissen: Verknüpft das Liechtenstein Museum die mythologischen Beispiele Bild für Bild anschaulichst mit Zitaten und Erklärungen zu Freuds Theorien, bleiben diese Begrifflichkeiten gerade dort, wo die psychoanalytische Kernkompetenz zu erwarten wäre, schwammig und ohne Hinweis auf ihr strittiges Wesen. Ungeachtet des theoretisch dünnen Unterbaus wurden aber für die Kapitel Begierde & Zerstörung, Sexualtrieb, Eigenliebe, Selbstzerstörung sowie Gewalt und Krieg wunderbare grafische Beispiele, vielfach Leihgaben aus dem Kupferstichkabinett, gefunden. In Zeichnungen von Gustav Klimt und Egon Schiele taucht die Sexualität dort auf, wo die Gesellschaft jener Zeit sie nicht sehen wollte: in kindlicher Autoerotik oder in der selbstbewussten, in sich selbst versunkenen Sinnlichkeit junger Frauen. 

Insbesondere das Thema von Mars und Venus, welche ihren Ehemann Vulkan mit dem nunmehr gezähmten Kriegsgott betrügt, vermag das Thema vom im Eros gebundener Zerstörungswillen auf den Punkt zu bringen. Hitzig darunter insbesondere Bartholomäus Sprangers Blatt des frühen 17. Jahrhunderts , das sich auf den erotischen Moment der Erzählung konzentriert und damit heutige, lediglich auf gut gebaute Nacktheit setzende erotische Bildwerke eines Besseres belehrt.
Im Liechtenstein Museum stechen besonders die Beispiele von Peter Paul Rubens und Antonio Bellucci heraus, die die Schrecken des Krieges einfangen. Rubens zeigt die Amazonenschlacht als eine Welle ungehemmter Gewalt, wie sie Freud auch im Krieg manifestiert sah: "(Der Krieg) streift uns die späteren Kulturauflagerungen ab und lässt den Urmenschen in uns wieder zum Vorschein kommen." Genau da setzt aber auch die heftige Kritik an Freuds Thesen an: Insbesondere die kommunistisch, marxistisch orientierten Psychoanalytiker wie etwa Wilhelm Reich lehnten seine Todestrieb-Theorie ab: Krieg und Völkermord würden darin auf eine biologische Ebene zurückgeführt und damit als unveränderlich besiegelt.  (Anne Katrin Feßler/DER STANDARD, Printausgabe, 22. 6. 2009)