Wien - Von einer Kugel getroffen fällt die junge Frau zu Boden. Sie wird von Menschen umringt, ein Arzt versucht, sie zu retten. Ihr Blut erblickend, geben die Umstehenden Schreie von sich. Die junge Iranerin hat so gut wie keine Chance zu überleben, sie soll angeblich von einem Basij-Militanten von einem Dach aus mitten ins Herz getroffen worden sein. Von den vielen Schreien ist einer am lautesten zu hören: "Bleib bei mir, Neda, bleib!", bittet ihr Vater vergeblich. Die junge Neda ist binnen weniger als zwei Minuten tot.

Dies ist nur eine der vielen blutigen Szenen, die man durch Plattformen wie Facebook in Amateurvideos sehen kann. Vor dem 12. Juni, dem Tag der Präsidentschaftswahl im Iran, sahen die Beiträge im sozialen Netzwerk anders aus. Rund 60 persischsprachige Facebook-Gruppen, in denen sich Nutzer mit gleichen Interessen zusammenschließen, und über 50 englischsprachige Gruppen warben fleißig für den reformistischen Kandidaten Mir-Hossein Mussavi. Die Farbe Grün prägte das Gesamtbild, vorwiegend durch Fotos Grün tragender freudiger junger Frauen und Männern. Insgesamt verzeichneten die Pro-Mussavi-Facebook-Gruppen über 29.000 Mitgliedschaften, eine Zahl, deren Größe wahrscheinlich ausschlaggebend für die Blockierung des Portals durch iranische Ministerien drei Wochen vor den Wahlen gewesen war. Doch heute lauten die Gründe für immer wieder stattfindende Blockierungen von Facebook, Twitter und anderen von jungen Iranern genutzten Internetplattformen anders. Die nunmehr fast zwei Wochen anhaltende Protestwelle vieler Iraner gegen das offiziell verkündete Wahlergebnis wird größtenteils per Internet organisiert.

Die Plattformen dienen auch als einzige Informationsquellen für das Ausland, zumal die iranische Regierung die Möglichkeit der Berichterstattung für ausländische Journalisten stark eingeschränkt hat. Videos, darunter auch jenes, das die Ermordung der jungen und mittlerweile zu einer Symbolfigur des Protests gewordenen Neda zeigt, werden auf diesen Plattformen veröffentlicht und von ausländischen Nachrichtensendern ausgestrahlt.

Videotausch aus dem Exil

Der 22-jährige Behnam ist einer jener Jugendlicher, die maßgeblich zur Verbreitung von Informationen zu den Protesten im Iran beitragen. Als jemand, der in Wien lebe und nicht aktiv im Iran mitprotestieren könne, sei es ihm umso wichtiger, Informationen aus dem Iran in die Welt zu tragen und umgekehrt die Iraner die Stimme der Proteste im Ausland hören zu lassen. Durch diesen "Videotausch", wie er ihn nennt, "können wir ihnen zeigen: Ihr seid nicht allein. Das ist das mindeste, was ich tun kann."

Ebenso wie Behnam, nahm auch die 22-jährige Mitra* an der Mahnwache für die Opfer der Proteste im Iran, die am Sonntagabend vor dem österreichischen Parlament stattfand, teil. Zwischen den vielen trauernden und aufgebrachten Gemütern, den vielen Plakaten mit Bildern der ermordeten Neda - deren Aufschriften der Verstorbenen Folgendes versprechen: "Neda, wir holen deine Stimme zurück" - spricht Mitra von der "brutalen Vorgehensweise" der iranischen Regierung. Vor allem betont die gebürtige Iranerin den Entzug jeglicher Kommunikationsmöglichkeiten für die Protestierenden. Internetdienste wie Facebook und Twitter "tragen solche Bewegungen".

Im Speziellen hält Mitra es für die Pflicht aller iranischer Jugendlichen, die Proteste von "einer lokalen zu einer globalen Sache" zu machen. "Unsere Pflicht ist es, nicht wegzuschauen, sondern hinzuzeigen." Diese Pflicht erfüllen, die in Wien ansässigen Exiliraner; täglich werden die neuesten Nachrichten gepostet, Einladungen zu Demos verschickt, Vereine und Organisationen zur Unterstützung der Protestierenden gegründet. Ohne die enorme Verbreitung von Informationen oder Videos, besonders durch die gebürtigen Iraner oder die zweite Generation in Wien "wären die Reaktionen nie so heftig ausgefallen", erklärt Mitra.

Die grüne Welle reicht bis nach Österreich; für Behnam sollte diese jedoch nicht wieder abebben. Er hofft auf eine Zukunft, die eine "grüne Revolution" mit sich bringt, eine Zukunft mit einem freien Iran. (Sara Mansour Fallah/DER STANDARD-Printausgabe, 23. Juni 2009)