Mike Kelleys mit Pornos behübschter "Sex, Drugs and Rock and Roll Party Palace" im Grazer Kunsthaus.

Foto: Mary Claire Stevens

Graz - In Robert Wilsons parallel laufender Ausstellung Voom Portraits in der Grazer Neuen Galerie gelangen gerade hübsch ausgeleuchtete Videoporträts von Hollywoodstars wie Johnny Depp minimalistisch im kräftigen Rot- und Blaustil von MTV-Clips der 80er- und 90er-Jahre zur Hängung. Auf der anderen Seite der Mur im Kunsthaus stehen dagegen Diskurs und Porno auf dem Programm. Kuratiert vom deutschen Journalisten und Pop-Theoretiker Diedrich Diederichsen wird man dort im zweiten Stock als Kernstück der Ausstellung Schere Stein Papier einer Hüpfburg gewahr. An Pop will man sich in beiden Fällen reiben.

Der Sex, Drugs and Rock and Roll Party Palace im Kunsthaus, auf den von US-Künstler Mike Kelley Pornofilme projiziert werden, mag zwar als Anschauungsmaterial nicht für Grazer Schulklassen taugen. Diese malen lieber in Wilsons Ausstellung geflissentlich einen kaugummikauenden Steve Buscemi in rotbespritzter Schlachterschürze für den Zeichenunterricht ab. Mit den auf den Boden gemalten Hinweisen "Bitte nicht betreten!" macht diese Installation von Kelley unabsichtlich dennoch deutlich, um was es in Diederichsens Ausstellung auch gehen könnte. Pop als vor allem auch lebensbejahende und inkorrekte Sause, die sich vordergründig wenig um gesellschaftliche Verantwortung schert.

Während der letzten 50 Jahre hat laut Ausstellungskatalog "Pop-Musik als Gegenstand bildender Kunst" nicht ganz überraschend erheblich an Bedeutung gewonnen. Diederichsen schwindelt sich gewohnt theorielastig und fremdwortreich um das eigentliche Hauptgebiet von Pop herum. Er lässt dessen (scheinbar) affirmative Bejahung des Hier und Jetzt wortreich unter mehr universitären denn universellen Textgebirgen verschwinden. Lieber werden in Schere Stein Papier Nischen wie US-Punk und Hardcore beleuchtet. Lieber nimmt er sich deutscher Zeitgenossenschaft der eigenen Generation heute 50-Jähriger an.

Alte Weggefährten wie Albert Oehlen mit Warhol- und Bowie-Paraphrasen in Öl oder Ex-Lebensgefährtin Jutta Koether gemeinsam mit Kim Gordon von Sonic Youth sorgen mit quatschigen Nachbildungen von Tonstudioboxen für spontanistischen Rabatz. Immerhin kann man bei den Letztgenannten zur E-Gitarre angestimmte Bekundungen wie "Fuck!" von der ehemaligen Sängerin der US-Noise-Band Pussy Galore auf Mini-Display ebenso bestaunen wie nackte junge Männer während einer Urschreitherapie im Proberaum.

Neben Klara Lidéns U-Bahn-Freak-out Paralyzed und Mathias Polednas filmischer Proberaumstudie Actualité oder Nico Vascellaris Videobeobachtung der gecasteten italienischen Hardcore-Band Lago Morto sind das noch die kräftigsten Exponate. Der Rest hinterlässt den Besucher etwas ratlos.


Vinyl zerläuft

Wie es sich für eine Pop-Ausstellung gehört, dröhnt es aus allen Ecken. Museumswärter tragen demonstrativ leidend Hörschutz und lernen gelangweilt Mike Kelleys Stellungskriege auf der Hüpfburg auswendig. Die versuchte Annäherung an ein seit Jahrzehnten selbstverständliches Phänomen bleibt aber außen vor. Bitte nicht betreten! Wo der deutsche Künstler Uwe Schinn eine Vinylplatte über das Laufwerk inklusive Abtastnadel zerlaufen lässt, lässt sich eines konstatieren: Man kann hier nichts hören! Vielleicht gibt ja eine Podiumsdiskussion mehr Aufschluss als die Exponate. (Christian Schachinger / DER STANDARD, Printausgabe, 26.6.2009)