Wien - Die eingebrochenen Kapitalflüsse nach Osteuropa werden sich auch in den kommenden Jahren nicht erholen. Diese These vertritt der für Osteuropa und Zentralasien zuständige Chefökonom der Weltbank, Indermit Gill, im Gespräch mit dem STANDARD. Damit fehle eine der Hauptgrundlagen für den Boom des letzten Jahrzehnts in der Region. Selbst wenn das Wachstum wieder anziehen sollte, werden sich seiner Meinung nach die Kapitalflüsse nicht erholen - und die Wirtschaft in Osteuropa auch nach der Krise "drei bis fünf Jahre lang nicht mehr an die Wachstumsraten vor dem Absturz anschließen" .

Deshalb müssten die einzelnen Länder ihre Defizite ausgleichen - vor allem die negative Handelsbilanz und den Saldo zwischen Ausleihungen und Ersparnissen. Für Konjunkturstimuli fehlten den Staaten die finanziellen Mittel und die Möglichkeit, diese - wie etwa in den USA, Japan und der Eurozone der Fall - über Ausgabe von Staatsanleihen zu bedecken. Das sei den Ländern mit Reservewährungen vorbehalten. Folglich empfiehlt der Experte der Region, über offene Handelskanäle an den internationalen Ankurbelungsmaßnahmen mitzunaschen.

"Stresstest" für Haushalte

Der Fokus der Weltbank liegt nun auf der Armutsbekämpfung. Derzeit führt die Organisation einen "Stresstest" für Haushalte durch, bei dem höhere Zinsraten oder steigende Arbeitslosigkeit simuliert werden - ähnlich wie in Modellen, die die Stabilität der Banken messen. Demnach würden rund 30 Millionen Haushalte in Armut fallen. Allerdings betont Gill, dass in den letzten Jahren 100 Millionen Haushalte der Armut entwichen seien.

Kritik daran, dass Weltbank und Internationaler Währungsfonds auf herkömmliche Methoden zur Stabilisierung der Region zurückgriffen, die bereits während der Russland- und Asienkrise heftig kritisiert wurden, lässt Gill nicht gelten. Die verordneten Sozialkürzungen - etwa in Lettland, Ungarn oder Rumänien - verteidigt der Ökonom. "Die Ausgabenstruktur der Staaten muss verbessert werden. Das verlangen auch die internationalen Märkte." Um keynesianische Politik zu betreiben, müssten in guten Zeiten die notwendigen Reserven gebildet werden. China und Chile profitierten derzeit von der Politik in der Hochkonjunktur. (as, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27./28.6.2009)