Die 3600 Jahre alte Stadt Adana ist in den letzten Jahren schnell gewachsen. Der Flughafen liegt nun praktisch mitten in der Stadt.

Foto: Aumüller

Himmel und Hölle liegen im äußersten Osten der türkischen Mittelmeerküste nah beieinander, und der Portier verlangt sogar den gleichen Eintrittspreis. Nicht weiter überraschend: Der Himmel bietet mehr fürs Geld. Eine 250 Meter tiefe, begehbare Höhle nämlich und eine byzantinische Kirche aus dem 5. Jahrhundert in deren Eingang. In die Hölle dagegen, in ein 130 Meter tiefes Loch im Karst, kann und soll nur ein flüchtiger Blick von oben geworfen werden, von da unten käme man nie wieder herauf.

Himmel und Hölle, oder Cennet ve Cehennem, wie die beiden Kalksteindolinen im Hinterland von Silifke auf Türkisch heißen, sind nicht nur eine Allegorie, sondern auch geologisch charakteristisch für diese Landschaft zwischen Meer und Taurus-Gebirge. An vielen Stellen haben unterirdische Flüsse, die aus den oft bis in den Frühsommer mit Schnee bedeckten Bergen kommen, Grotten und Höhlen gegraben. Die fruchtbaren, grünen Ebenen sind pockennarbig wie das Gesicht eines Teenagers, allerdings werden die tiefen Furchen von Bauwerken gesäumt, die schon ein paar Jahre auf dem Buckel haben. Hethiter waren hier und Perser, byzantinische wie römische Ruinen prägen das heutige Agrarland und die Zeugnisse osmanischer wie arabischer Kultur lachen einen sowieso überall an. Von einem landschaftlichen Himmel-und-Hölle-Spiel wird man hier jedenfalls noch bis an die Grenze zu Syrien verfolgt.

Adana ist dabei gewissermaßen das Fegefeuer. Diese Stadt, die sich mit ihren Vororten innerhalb weniger Jahre von eineinhalb auf über zwei Millionen Einwohner vergrößert hat, ist dort noch blau wie der Himmel geblieben, wo sie die sauberen Flüsse Seyhan und Ceyhan durchfließen. Höllisch ist nur der Verkehr auf den Straßen und die Aussichten für Menschen mit Sinn für Proportionen. Ein riesiger Airbus spuckt die Passagiere direkt vor der Ankunftshalle des Flughafens in der Größe einer Busstation aus - ein paar Schritte sind es dann bis zum Ausgang und nur wenige mehr bis ins Zentrum der Stadt. Das ist klein, aber die größte Moschee der Türkei steht dort - erst seit 1998. Die Industriellenfamilie Sabanci hat sie zur Hälfte finanziert, die andere Hälfte der Mittel kam von der Bevölkerung.

An den Sabancis führt hier übrigens auch kein Weg vorbei. Kaum eine küstennahe Chemie- oder Textilfabrik zwischen Mersin und Iskenderun kommt ohne das omnipräsente Logo der Familie aus, sogar das Hilton in Adana ist ein "Sabanci-Hilton". Der Familie und damit der Industrie die kalte Schulter zu zeigen, gelingt aber zumindest Touristen recht leicht. Oft nur wenige hundert Meter hinter dieser Grauzone ist das Land wieder so grün wie das Seegras in der Bucht von Narlikuyu.

Als Spezialität führt dieser Seegras-Salat zurück in die Gegend um Silfike - an einen vollkommen unverbauten Naturhafen und ins Restaurant Kerim Balik. Dort gibt's noch ein anderes Schmankerl: Die Reste eines römischen Badehauses mit Mosaiken aus dem 4. Jahrhundert liegen fast neben dem Teller, der Wirt verwahrt den Schlüssel. Genau so funktioniert das hier. Die vielen kleinen Happen an Kulturschätzen werden nebenbei serviert, aber man muss die Küste schon ganz abfahren. Und wer sich das Beste immer für den Schluss aufhebt, bewegt sich am besten von Silifke in Richtung Hatay.

Zweifel am Höllentempo

Von der mittelalterlichen Burgruine in Kizkalesi, rund 30 Kilometer östlich von Silifke, blickt man zunächst auf das vorgelagerte Inselschloss Korykos, aber auch auf einen ansehnlichen Sandstrand. Hier kommen Zweifel auf: Ein paar Stunden in der Sonne schmoren oder der Kultur zuliebe weiterfahren, noch dazu in einem Höllentempo? Anders ist eine Strecke, an der alle paar Kilometer Ausgrabungen liegen, wohl nur schwer zu bewältigen. Es sei denn, man bringt es fertig, gleich zwei Amphitheater und die Stadtruinen von Anazarbus links liegen zu lassen. Vielleicht erscheint einem letztere ja bereits vertraut: Wie "im Himmel" bei Silifke thront auch hier ein byzantinisches Bauwerk vor einem karstigen Loch. Die Doline und die Festung darüber haben allerdings gigantische Ausmaße, die Stadt herum erstreckt sich über eine riesige Hochebene.

Die beste Synthese der Meriten von Adanas Hinterland bietet aber die Schlangenburg. Auch wenn von dieser ursprünglich armenischen Festung auf einem akuraten Hügel in der Hochenbene bei Yilankale nur mehr Ruinen übrig sind, der Überblick ist lohnend. Der historische, weil einem hier sofort klar wird, wie sich wichtige Nachrichten im Osmanischen Reich verbreiten konnten: Überaus schnell, denn die nächste Burg ist bereits in Sichtweite, und diese Festungskette geht immer weiter - von Aleppo in Syrien bis nach Istanbul. Eine per Licht- und Rauchzeichen gesendete Botschaft brauchte nie länger als einen Tag bis in den Topkapi-Palast. Der Ausblick in die Landschaft ist ohenhin ein Best-of der Region. Wenn sich die regenschwangeren Wolken über dem Taurus-Gebirge erst ein wenig zurückgezogen haben und die Sonne einen Spot auf das hier noch uralte Agrarland werfen darf, zeigt sich in der Ferne auch das Meer.

Bleibt also nur noch die Vollendung des regionaltypischen Himmel-und-Hölle-Spiels in Hatay. Am 29. Juni endet das im Juni 2008 in der Türkei ausgerufene Paulusjahr zum 2000. Geburtstag des Apostels. Und das ist wahrscheinlich auch gut so. Heerscharen von Pilgern aus West- und Zentraleuropa kamen zuletzt noch in die völlig überforderten Minikirchen von Tarsus und in jene von Hatay - die reine Hölle. Während die erst im 19. Jahrhundert wiedererrichtete Paulus-Kirche in Tarsus außer dem guten Namen nichts bietet, ist die Petrus-Kirche drei Kilometer außerhalb des Zentrums von Hatay tatsächlich ein Schmuckstück.

In einem steilen Hang über der 150.000-Einwohner-Stadt befindet sich eine dunkle Grotte mit bescheidenem Portal. Im Inneren: nur ein Steinblock als Altar jener Kirche, die der Vatikan zur ältesten des Christentums erklärt hat, auch wenn Archäologen berechtigte Zweifel angemeldet haben. Der Apostel Petrus soll sie eingeweiht haben, ja hier überhaupt zum ersten Mal das Wort "Christ" ausgesprochen haben.

Tatsache ist jedenfalls, dass in der Stadt Hatay, wo bis 1938 praktisch ausschließlich Arabisch gesprochen wurde, und die bis 1939 sogar kurzzeitig eine eigene Republik war, die kulturelle Vielfalt mehr als anderswo in der Region lebendig geblieben ist. Im alten Basar, der auch von der Nähe zu Syrien profitiert, bekommt man wieder Armenisch zu hören, und im kleinen historischen Stadtzentrum leben nach wie vor Christen und Juden. Hatay, der heimliche Himmel der Region? Ein bemerkenswerter Ort auf jeden Fall, in den Hallen der syrisch-orthodoxen Kirche bügeln auch Männer, und gestärkt wird der stolze Kragen der Stadt mit einer der weltweit besten Mosaiksammlungen im archäologischen Museum der Stadt. (Sascha Aumüller/DER STANDARD/Printausgabe/27./28.6.2009)