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Berlin 2006: Rund um die Siegessäule zog ein letztes Mal die Loveparade als Höhepunkt der Technobewegung.

Foto: EPA

Wien - Das Motto der ersten Loveparade lautete tatsächlich: "Friede, Freude, Eierkuchen" . Als am 1. Juli 1989 an die 150 Leute zur von einem Lastwagen wummernden Technomusik von DJs wie Westbam, Dr. Motte oder Tanith über den Berliner Kurfürstendamm zogen, war offenbar selbst diese, heute längst zum Realklischee erstarrte, auf dünn machenden Drogen und 36-stündigen Partys in abgelebten Industriebunkern beruhende Welt noch heil und hippiesk. Hauptsache gut drauf. Im Zweifel half die Notaufnahme.

Ausgegangen war das Ganze vom harten Detroit-Sound der damals global in die Gänge kommenden, fortschrittlich-urbanen Partyszene. Man hatte es ab diesem Zeitpunkt auch aufgrund des Mauerfalls im November 1989 bald mit einer unüberschaubaren Anzahl von Menschen zu tun, die bürgerliche Laufbahnen, Nüchternheit und überhaupt das System verweigerten. Sie machten Party.

Die Musik dazu war erstmals seit 1968 dazu angetan, selbst damalige Spießerfeinde mit feixender Oberflächlichkeit und Fröhlichkeit zum Wahnsinn zu treiben. Während 1989 parallel dazu traditionell konditionierte Teenager ihr Elend beim Hören von Schmerzensrockern wie Kurt Cobain beklagten und dabei ganz schön alt aussahen, setzte es im Techno chemisch freudvoll und reuelos gestaltete Wohlfühlstimmung. Moralische Verantwortung? Nein, danke.

Über Discjockeys wie Westbam oder Sven Väth wurde eine Weiterentwicklung von Disco und House betrieben. Nahe am bloßen, hart pumpenden Rhythmus angesiedelte Tracks bestimmten die Szene. Sie wollte mit minimalen Dynamikschwankungen und endlosen Wiederholungen aus dem Computer oder vom Plattenteller ans Ende dreitägiger Nächte führen. Erstmals in der Geschichte des Pop wurde damals auch kurzfristig der Frontalunterricht aufgehoben. Wo herkömmliche, über Popstars betriebene Feierabendunterhaltung "Ich bin die Party!" behauptete, wurde das Publikum selbst zum Ereignis: "Die Party sind wir!"

Wie noch jede neue Entwicklung im Pop wurde diese im Eigenbau betriebene, unschuldige Entwicklung bald von der Unterhaltungsindustrie eingemeindet; zumal sich auch Protagonisten der ersten Stunde wie Westbam den Versuchungen des Marktes nicht grundsätzlich entgegenstellen wollten.

Zehn Jahre später, während der Love Parade 1999, zogen an die 1,5 Millionen Besucher um die Siegessäule in Berlin. Mit zig Sattelschleppern und einer von Konzernen gesponserten Heerschar teilnehmender Künstler und Nackttänzer verlor die Loveparade ihren bisherigen Status als angemeldete Demonstration. Berlin war zwar zur Partyhochburg der Welt aufgestiegen. Ein entscheidender Wirtschaftsfaktor, den die nicht zuletzt von der Wiedervereinigung und ihren Folgekosten gebeutelte Metropole dringend gebrauchen konnte.

Da fortan die immer mehr Richtung DJ-Ötzi-Stumpfsinn und Schlumpfentechno in die Breite gegangene Bewegung allerdings ab hier einer in Boulevardmedien gern abgebildeten Freakshow aus Fitnessstudio-Muckis, Nacktbildstrecken mit russischen Austauschstudentinnen und Komasaufen für Problem-Twens glich, setzte ab diesem Höhepunkt auch der Niedergang ein.

Die Veranstalter um Dr. Motte mussten aufgrund des Rangverlustes der Loveparade als öffentliche Demonstration für die Nebenkosten aufkommen (Müllentsorgung, Sicherheit). Und die Breitenwirkung von Techno bis hinauf in verschneite Skihütten sorgte ab diesem Zeitpunkt auch für einen Imageverlust. Techno war nicht mehr in, Techno war Ballermann. Ein Vergnügen für alle, nicht aber für die Trendsportjugend.

Heuer zum Jubiläum fällt die zuletzt nach Dortmund abgewanderte und ausgerechnet von der Fitnessstudiokette McFit finanziell unterstützte Loveparade ganz aus. Der Zeit ihre Kunst. Die jungen Leute von heute suchen sich neue Flucht- und Streitpunkte von den und für die Alten. (Christian Schachinger, DER STANDARD/Printaugsabe, 01.07.2009)