Armenistís, Ikaria.

 

Foto: wikipedia.com/Man77

Empfehlenswerte Unterkünfte sind das Hotel Cavos Bay in Armenistis oder die ein-facheren, aber charmanten Zimmer der Pension Dionysos in Kampos (Bild).

Foto: Pension Dionysos in Kampos

Die Familie Karimalis in Pigi, nahe Evdilos, fährt nicht nur das erste Elektroauto der Insel, sondern auch das Weingut (Bild) wird biodynamisch bewirtschaftet; dort werden Weinseminare veranstaltet und drei alte Steinhäuser in erstklassiger Lage vermietet.

Foto: www.ikarianwine.gr

Ganz offensichtlich ist Ikaria ein touristischer Spätzünder unter den griechischen Inseln. Beginnt man nach dem Warum zu fragen, geben Geografie und Geologie recht einfache Antworten: bereits verdächtig nahe an der Türkei gelegen, kein guter, natürlicher Hafen - weil Steilküste; außer vielleicht ums flache Land des Kap Fanari im Osten, aber dort: gefährlich turbulenter Seegang. Ikaria ist für Abenteuer gut, das wird schon bei der Anreise klar: Schiffspassage abgesagt - einmal wegen Schlechtwetters, andermal wegen Schulden.

Zwei Hafenorte steuern die Fährschiffe dennoch mehr oder weniger regelmäßig an: Agios Kirykos an der steilen Südküste und Evdilos auf der etwas gefälligeren Nordseite. Dazwischen liegen bloß 44 Kilometer, doch windet sich die Straße in langen, steilen Serpentinen hoch über das beeindruckende Atheras-Gebirge, allein für diese kurze Strecke muss man eine gute Stunde einplanen.

Doch so eine Inselquerung mit einem kurvengeeichten Taxifahrer eröffnet gleich nach der Ankunft grandiose Aussichten: auf dichtgrüne Hänge unter den Berggipfeln mit alten Terrassenkulturen, auf Pinien- und Zypressenwälder und - auf tosende Wildbäche in tiefen Schluchten. Dabei war es noch vor wenigen Jahren nahezu unmöglich, hier Inselrundfahrten zu unternehmen, geschweige denn auf Asphalt. Auch hierfür gibt es eine Erklärung, eine zeitgeschichtliche, durch die sich im Wortsinn ein roter Faden zieht.

Während der griechischen Bürgerkriegsjahre in den Jahren von 1947 bis 1949 begann die Regierung, 15.000 Menschen - Kommunisten, Rebellen und deren Sympathisanten - hierher zu 7000 ohnehin schon notleidenden Bewohnern zu verbannen. Die Vertriebenen, belegt mit dem Verbot, jeglichen Kontakt zur Bevölkerung zu pflegen, waren meist gut ausgebildet, Ingenieure zum Teil, oft Intellektuelle. Von der Regierung wurden sie als Teufel und Babyfresser dämonisiert.

Alsbald die Ikarioten wie zum Trotz begannen, die Menschen im Exil herzlich aufzunehmen und das Wenige mit ihnen teilten, wirkte der alltägliche Austausch als Augenöffner. Auf den Komponisten, Schriftsteller und späteren Politiker Mikis Theodorakis, die weltweit gehörte Stimme für den Widerstand in Griechenland, traf man hier zu Zeiten seiner Verbannung im Jahr 1947 - sein "Haus der Skorpione" auf Ikaria steht seit fünf Jahren unter Denkmalschutz.

Auch nach dem Ende des Bürgerkriegs blieb die Insel lange Zeit als "Rote Insel" abgestempelt, investiert wurde hier kaum. Kommunistische Bürgermeister waren in den ersten freien Wahlen gewählt worden, und die nachfolgenden griechischen Regierungen ließen Ikaria noch für Jahrzehnte links liegen. Die erste Straße wurde 1972 gebaut.

So unvoreingenommen wie damals werden Gäste heute noch im Fischerort Gialiskari aufgenommen. Allerdings ist es hier nun der Pfarrer, der gerne eine Einladung zur Feiertagsprozession um seine blau-weiße Kirche weit draußen auf einem Damm im Meer ausspricht. Nach dem Besuch der Messe gehört man quasi zur Dorfgemeinschaft einer funktionierenden Parallelwelt.

Von den zumeist unsanft hier gelandeten Promis spricht man auf Ikaria noch heute - auch gerne von den ganz alten. Ikarus selbst - oder vielmehr der Sage von Ikarus - verdankt die Insel in der östlichen Ägäis nämlich ihren Namen: Mit selbst gebastelten Flügeln aus Federn und Wachs floh er mit seinem Vater Dädalus aus dem Labyrinth von Knossos übermütig der Sonne entgegen. Und stürzte dann tragisch, aber eben vor der südlichen Küste Ikarias ab.

Noch bevor man nachfragen kann, wo genau denn das war, wird einem schon erzählt, wie der Wein in die Welt kam - natürlich ebenfalls per Legende und durch den Halbgott Dionysos: Er verbrachte eine Liebesnacht mit Aphrodite, und als er am Morgen allein erwachte - das kann man heute eher auf Mykonos haben -, flossen seine Tränen in die Erde, und daraus erwuchs sogleich der erste Weinstock. Der Saft daraus, der alle Sorgen vergessen macht, wurde stolz in Athen präsentiert, und das Geschäft mit dem ikariotischen Wein begann zu blühen. Nicht ohne Grund war Ikaria unter dem Namen Oinoi, die Weininsel, in der antiken Welt berühmt.

Ein Odyssee der Ortsnamen

Dem heutigen Ort Kampos sieht man seine historische Bedeutung vielleicht dennoch nicht gleich an. Der Wein Pramnios - von Homer tatsächlich in der Odyssee erwähnt - gedieh hier so prächtig, dass man die antike Stadt kurzzeitig in aller Dankbarkeit Dionysias taufte und der Einfachheit halber um 750 vor Christus dann nur noch Oinoi, also altgriechisch "Wein". Das kleine archäologische Museum sowie die Kirche der Heiligen Irene aus byzantinischer Zeit kann man sich hier ruhig anschauen. Vassilis, ist nicht nur Kustos in diesem Museum, sondern auch ein begnadeter Geschichtenerzähler, eventuelle bauliche Lücken schließt er mühelos mit Text. In Agios Kirikos betreut er zudem die archäologischen Funde der Festung Drakanon, vermietet nette Zimmer und pflegt als Winzer mit Leidenschaft das Erbe von Dionysos am Steilhang.

Von der schroffen Küste war bisher immer die Rede. Flach und breit widerlegen die beiden feinen Sandstrände Messachti und Livade zwischen Gialiskari und Armenistis die Vermutung, hier wäre es nur deshalb so ruhig, weil man gar nicht erst wieder ins Meer komme. Selbst in Armenistis, dem touristischen Mittelpunkt Ikarias an einer attraktiven Bucht, droht bei einem allgemein moderaten Insel-Tempo niemals Hektik. Und dennoch: Auf Ikaria geht es immer noch ein wenig ruhiger.

Wanderungen in spektakulärer Landschaft gehören zum Feinsten, was die noch weitgehend unverbaute Insel zu bieten hat. Ein dichtes Netz von Fußwegen und Sandstraßen verbindet Dörfer und Weiler im Landesinneren und spannt sich über die Hochebenen im "Wilden Westen" der Insel. Besonders wild war dieser wohl im 16. Jahrhundert, als sich die Bewohner hier vor den Raubzügen der Piraten verstecken mussten. Heute entsteht in dieser Gegend um Christos Raches gerade ein erstes Projekt mit gekennzeichneten Wanderrouten. Den Weg durch die würzig duftenden Nadelwälder zum Kloster Moni Mounté findet man allerdings schon jetzt. In Christos Raches Halt zu machen ist dann noch aus einem anderen sensationellen Grund geboten: Die Insel der späten und wenigen Straßen karikiert sich dort selbst - mit einer Fußgängerzone!

Orte wie Nas sind dagegen ikariotischer Normalzustand: Aus einer felsigen Schlucht fließt die wasserreiche Chalaris durch eine schmale Bucht ins samtfarbene Meer. So unwirklich samtig ist es nur abends, wenn hier in der Taverne "Najades" oder in "Annas Restaurant zum besten Hummer der Insel auch der schönste Sonnenuntergang serviert wird. Und schließlich doch noch der schwere ikariotische Wein, der es aus dem Reich der Legenden tatsächlich wieder auf den griechischen Tavernentisch geschafft hat. Die Winzer Karimalis, Tsantiris und Afianes haben Ikarus zumindest auf dem Etikett der Flaschen wieder zu einem Höhenflug verholfen, für eventuelle Abstürze ist in diesem Fall ausschließlich der Gast selbst verantwortlich. (Brigitte Breth/DER STANDARD/Printausgabe/25./26.7.2009)