Wie erklär ich Ihnen jetzt das Gefühl - damit Sie es auch nachvollziehen können - welches Sie ereilt, wenn Sie voll der Ehrfurcht, ganz vorsichtig mit der Yamaha Vmax losfahren wollen? Probieren wir es so. Stellen Sie sich vor, Sie seien ein Mann in den besten Jahren und erfahren durch Zufall, von einem gemeinsamen Bekannten, dass Ihre Jugendliebe in die Stadt gezogen ist und Sie sehen möchte.

Foto: gluschitsch.com

Diese junge Dame, die Ihnen damals schlaflose Nächte, schweißnasse Hände und peinliche Erektionen im Deutsch-Unterricht bescherte, weil sie schön war, klug und so aufmerksam. Die Dame, die heute besser aussieht als die Frauen, die Ihnen jetzt, am Weg zu ihr, gerade von den Plakatwänden zulächeln. Sie haben die letzte Nacht nicht geschlafen, Sie haben schweißnasse Hände, Sie haben einen Strauß Blumen dabei und einen neuen Anzug an.

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Sie läuten. Gleichzeitig mit der Tür geht Ihnen das Herz auf, weil Sie merken, dass diese schöne Frau langsam die roten Lippen für einen lasziven Seufzer formt. Ihnen stockt der Atem, als Sie sehen, wie Ihre Jugendliebe sich langsam vorbeugt. Dieser Bruchteil einer Sekunde, bis sich die Lippen berühren, scheint ewig zu dauern. Und plötzlich schlagen Sie mit dem Kopf an Ihrem eigenen Hintern an. Was Sie geküsst hat, war nicht die erotischste Frau der Welt, sondern die härteste Faust des eifersüchtigsten und am besten trainierten Mannes der Welt. Und bald kommen Sie drauf, dass der Grund, warum sie nach Ihnen gefragt hat, der ist, dass Sie ihr noch 5 Schilling für den Kakao am Ende der zweiten Klasse schulden.

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Es ist keine Kraft, es ist sinnlose Gewalt, die frei wird, wenn man langsam den Kupplungshebel der Vmax loslässt und ein bisserl das Gas aufmacht. Wenn man brutal losfährt hingegen, ist alles halb so wild. Da reißt es das Hinterradl ohnedies ansatzlos durch. Wurscht, wie griffig der Asphalt ist, wer mit der Vmax losfährt wie mit der neuen Diversion, wird Stillstand, Lärm und Rauch ernten. Der 1679 Kubikzentimeter große Brennraum im 65°-V4 Motor reicht für 200 PS bei 9000 Umdrehungen und 166,8 Newtonmeter bei 6500 Umdrehungen.

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Dabei ist der Name Vmax komplett falsch gewählt. Das ist, als ob ihre Jugendliebe Notburga heißen würde - mit Vornamen! Die Vmax regelt nämlich bei 220 km/h ab. Man munkelt, das liege daran, dass der Kraftprotz zwar fesch und superkräftig ist, aber das Fahrwerk mit dieser Gewalt und dem Servicegewicht von 320 Kilogramm nicht ganz so leicht fertig wird wie die Öhlins auf einer R1. Eh ein bisserl logisch. Der Macker von der Notburga kann zwar superklass hinpracken, aber beim Laufen hängt ihn meine Oma sogar ohne ihre Gsundheitspatschen ab.

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Weil Akira Araki die erste Vmax Anfang der 1980er-Jahre aber für Viertelmeilen-Rennen ersann, kann man diese auch jetzt noch, dank eines speziellen Systems, unter Vollgas zurücklegen. Was das an der Ampel heißt, ist klar: Endurofahren mit einem 300 Kilo-Eisen. Ein beherzter Rupfer am Gas und das Hinterradl dreht durch. Wie mit der Enduro auf der Schotterpiste, nur dass am Asphalt die Geschwindigkeiten ein bisserl höher sind. Von 0 auf 100 in „ich kann es nicht zählen, weil mir immer das Hirn stehen bleibt, wenn ich den Kupplungshebel auslasse".

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Damit Losfahren und Peitschenschlagsyndrom zeitgleich eintreten können, hat die Vmax ein ordentliches Supersport-Paket verbaut. Zum einen kommt YCC-I, die elektronische Ansaugluftsteuerung zum Einsatz, natürlich in Kombination mit YCC-T, der elektrischen Drosselklappensteuerung, die es erst möglich macht, dass sich der riesige V4 beim gachen Gasaufreißen nicht verschluckt, zum anderen hat die Vmax Alu-Schmiedekolben und am Pleuelfuß gebrochene, einsatzgehärtete Pleuelstangen, wie man sie sonst nur aus der R1 kennt. Auch aus dem Supersport kommt die Anti-Hopping-Kupplung.

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Damit die beiden Lufthutzen, die in ihrem früheren Leben vermutlich zwei VOEST-Schornsteine waren, auch recht ästhetisch schnaufen können, sind die Nüstern wie die Tankattrappe dazwischen, auf dem Testradl, aus Carbon. Der Tank selber hat über dem riesigen V4-Herz, eh wie auch schon beim Vorgänger, keinen Platz gefunden und liegt unterm Sitz.

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Damit die Yamaha aber auch flott stehen bleiben kann, hat sie eine ordentliche Bremse bekommen: ABS, 320 Millimeter Doppelscheibe mit Sechs-Kolbenzange vorne, 298 Millimeter Scheibe hinten. Damit bremst man die Fuhr runter wie ein ordentliches Mittelklasse-Radl.

 

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Überhaupt ist es schier unvorstellbar, wie alltagstauglich das 200 PS-Monster ist. Würde mich nicht wundern, wenn wir bald die ersten Vmax mit Topcase sehen, weil der Roller zum Arbeiten fahren jetzt für den Herrn Magister ausgedient hat. Ja, klar, bis Sie über die Kreuzung sind, fahren Sie im Führerschein-freien Bereich, aber das ist Ihnen in dem Moment sowieso wurscht, weil das Urteilsvermögen zu dem Zeitpunkt noch an der Ampel steht - gemeinsam mit dem Buschen Blumen, den Mann mit dem Eisen eh nicht braucht.
(Guido Gluschitsch, Foto: www.gluschitsch.com)

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