Andrew Demmer: "Es ist sehr erfreulich zu sehen, wie viele Gastronomen schon eine eigene Teekarte haben."

Foto: derStandard.at/Putschögl

Der Tee-Experte trinkt unter der Woche acht bis zehn Tassen Tee am Tag, zwischendurch aber auch mal einen Kaffee.

Foto: derStandard.at/Putschögl

Woran der Erfolg an einem Standort in erster Linie abhängt, weiß Demmer: "An dem glücklichen Zufall, den richtigen Franchise-Partner zu finden."

Foto: derStandard.at/Putschögl

Im Jahr 1980 sperrte Andrew Demmer gemeinsam mit einem Geschäftspartner sein erstes Teehaus an der Mölkerbastei im 1. Wiener Gemeindebezirk auf. Kurz zuvor hatte dort ein Frisörbetrieb dichtgemacht.

Demmer und sein Kompagnon kauften eine alte Betonmischmaschine, reinigten sie, entfernten den Lack und stellten damit die ersten Teemischungen her. Erster Mischmeister war ein Singhalese. Heute beschäftigt Demmer, dessen Großvater noch Kaffeeröster war, 140 Mitarbeiter und eröffnet in Kürze den 29. Standort im ungarischen Pecs. Wie es mit der Ost-Expansion weitergeht, ob Österreich noch zu einer "Tee-Nation" werden kann und wie viele Tassen Tee Demmer selbst pro Tag trinkt, erfuhr Martin Putschögl.

derStandard.at: Herr Demmer, trotz 30-jähriger Bemühungen ist es Ihnen noch nicht gelungen, aus Österreich eine Teetrinker-Nation zu machen. Hierzulande wird immer noch weit mehr Kaffee als Tee getrunken. Seit mehreren Jahren expandieren Sie nach Osteuropa, wie ist das dort mit dem Tee trinken?

Andrew Demmer: Wir sind mittlerweile in Polen, Ungarn und Rumänien vertreten, in Tschechien und in der Türkei wird es noch heuer Eröffnungen geben. Auch in Bratislava haben wir ein Geschäft, sind dort mit dem Standort aber noch nicht ganz glücklich und hoffen, in den nächsten zwei Jahren einen besseren zu finden.
Polen ist ein wirkliches Teeland, mit 900 Gramm Verbrauch pro Kopf und Jahr. Das war unsere erste Auslands-Expansion. Die Menschen sind dort in den letzten Jahren zu höheren Einkommen gekommen und leisten sich jetzt eben manchmal einen guten Tee. Das Interesse für Teefachgeschäfte ist dort also ganz gut.
In Ungarn ist es wiederum so, dass die Menschen dort noch klassische Kaffeetrinker sind, aber es hat sich mittlerweile auch dort eine Schicht jüngerer Teetrinker gebildet, die sind da ganz offen dafür. Das hat uns eigentlich überrascht.

derStandard.at: Wie sieht es in der Türkei aus?

Demmer: In der Türkei trinkt man auch sehr viel Tee. Der wird aber meist auf Märkten verkauft, aus Säcken heraus. Es gibt also bisher noch keine Teefachgeschäfte. Es gibt dort aber eine sehr wohlhabende Schicht – das ist ja ein großes Land -, und wir glauben, dass in Istanbul und Ankara durchaus die Zeit schon reif ist dafür.

derStandard.at: In der Türkei zielen Sie also eher auf das gehobene Kundensegment ab?

Demmer: Wir wollen uns dort nicht als Luxusmarke verkaufen, aber glauben, dass die Türkei eben ein interessanter Markt ist.
Rumänien ist ähnlich wie Ungarn traditionell kein Teetrinkerland. Dort gibt's aber eine unglaubliche Aufbruchsstimmung, und wir haben auch einen sehr aktiven Master-Franchise-Nehmer, der sich auch um den lokalen Markt kümmert. Unser erstes Geschäft ist in Constanta, also am Meer, und Bukarest sollte im Herbst unter Dach und Fach sein. Rumänien ist auch ein bevölkerungsreiches Land mit vielen Großstädten.Temeswar ist im Fadenkreuz, Hermannstadt ist auch im Gespräch.
Traditionell sind also Polen, Russland, die Ukraine und auch die Türkei starke Teetrinkerländer. In den übrigen Ländern ist es in etwa so wie bei uns. In Ungarn eröffnen wir in Pecs in rund zwei Wochen ein neues Geschäft. Mit den ganzen Ost-Aktivitäten gleichen wir wunderbar aus, dass wir in Österreich doch eine Stagnation und teilweise auch Umsatzrückgänge verspüren.

derStandard.at: Woran liegen die Rückgänge?

Demmer: Wir sind beispielsweise in vielen Museumsshops, oder auch am Flughafen vertreten. Dort merken wir es ganz signifikant: Weniger Gäste, weniger Flugverkehr, weniger Umsatz. Eine gewisse Kaufzurückhaltung gibt es natürlich generell. Es wird gespart. In Wien haben wir es da noch leichter, an Standorten mit einem hohen Industrie-Anteil ist das noch mehr spürbar.
Der Erfolg oder Misserfolg, in einem Land oder an einem Standort zu reüssieren, liegt im hohen Maß an dem glücklichen Zufall, den richtigen Franchise-Partner zu finden, mit dem man sich versteht.

derStandard.at: Kommen eigentlich die Franchise-Partner auf Sie zu, oder suchen Sie die?

Demmer: Ich würde sagen: fifty-fifty. In Tschechien und in der Türkei suchen wir gezielt, in Rumänien besorgt das unser Master-Franchisenehmer. Schwierig ist immer das erste Geschäft. Wenn man dann schon was herzeigen kann, spricht sich das herum, die Zeitungen schreiben über ein neues Geschäft, und dann kommen weitere Anfragen.
Wir versuchen natürlich auch, uns an die Märkte leicht anzupassen. Bei der Corporate Identity und beim Sortiment sind wir schon sehr stur, da gibt's gewisse Mindeststandards. Aber wenn eine Teesorte in einer gewissen Stadt überhaupt nicht geht, dann nehmen wir sie natürlich aus dem Programm. Andererseits: Dass wir jetzt draufkommen, eine rumänische oder eine ungarische Mischung zu machen, etwa mit Paprika drin (lacht) – das wird's nicht geben.

derStandard.at: Sie selbst sind sehr viel unterwegs, um neue Tee-Anbaugebiete zu finden. Wohin führen Sie diese Reisen?

Demmer: In erster Linie nach Asien, wenn es um neue Teegebiete oder neue Teesorten geht oder einfach darum, neue Ablader zu besichtigen. Ich habe allerdings noch nie auf einer Reise Tee eingekauft. Es geht da bloß darum, die Leute kennenzulernen, Proben mitzunehmen, etwas zu lernen. Verkostet wird dann immer hier in Wien, mit unserem Wasser. Das sind also in dem Sinn keine Einkaufstouren, sondern so etwas wie "Fact-Finding-Missions".
Ich war im April in China und fahre im Frühjahr wieder nach Indien, mein Sohn ist jetzt gerade in Japan und besucht unter anderem eine Matcha-Produktion (ein fein vermahlener Grüntee, Anm.). In Japan ist zwar jetzt gar keine typische Teepflückzeit – das sind Frühjahr und Herbst -, aber er schaut sich die Produktion und die Verarbeitung dort an. Wenn man danach mit den Produzenten telefoniert oder mailt, dann ist alles ein bisschen anders, wenn man das Vis-a-vis schon kennt.
Man muss auch sagen, dass es für uns in Sri Lanka oder Indien grundsätzlich nichts Neues mehr zu entdecken gibt. Die Reisen dorthin dienen einfach dazu, rechtzeitig die Muster zu bekommen, weil guter Tee knapp ist. In China gibt es hingegen noch jedes Mal auch etwas Neues zu finden, dort ist es immer wieder spannend.
In letzter Zeit beziehen wir auch aus Thailand Tee, im Norden an der Grenze zu Burma gibt's sehr feine Grüntees.
Es gibt natürlich auch Länder, die ich noch nicht kenne. Vietnam steht beispielsweise quasi auf meiner Menükarte – mal sehen, wann ich das schaffen werde. Ansonsten haben wir zu den meisten wesentlichen Tee-Anbaugebieten regelmäßigen Kontakt und versuchen, so im Zwei-Jahres-Rhythmus einmal dort zu sein.

derStandard.at: Aus welchen Ländern importieren Sie derzeit am meisten?

Demmer: Aus Indien. Nordindien, in erster Linie Darjeeling und Assam, der Tee von dort kommt auch in viele Mischungen hinein. In Südindien gibt's auch schöne Bio-Teegärten. Nepal ist ein – für uns – relativ junges Gebiet. Das ist interessant, weil bis vor drei Jahren der meiste Nepal-Tee über Darjeeling gehandelt wurde. Jetzt beginnen sie dort, eigene Fabriken zu bauen, die Kleinbauern organisieren sich. Eine befreundete deutsche Firma finanziert gerade ein Fabriksprojekt, um den Kleinbauern bessere Preise zahlen zu können. Gerade vor drei Stunden habe ich erst drei Tees aus Nepal gekostet, und wir schauen jetzt, dass wir sie bekommen. Eine Mitarbeiterin von mir war im vorigen Jahr dort, auf meinem Reiseplan steht das noch.
Im Oktober fahre ich zunächst mal wieder nach Amerika, das ist nämlich immer ein sehr guter Ideenbringer für neue Produkte, neue Verpackungen. Es ist unglaublich, wieviele Bücher in Amerika über Tee erscheinen, wieviele Teekongresse es gibt, Teemessen, oder auch Teezeitungen. Das ist ein richtiger Hype dort. Asien ist also für neue Tees wichtig, Amerika für die Innovationen.

derStandard.at: Wie wichtig ist es Ihnen, dass die Bauern und Kleinbauern gerecht bezahlt werden? Gibt's da so etwas wie "Fair Trade" beim Teehandel?

Demmer: Ja, es gibt Fair Trade. Man darf das aber nicht zu idealistisch sehen. Wenn man mit unseren Wertevorstellungen in diese Länder reist, ist es sehr schwierig. Solange eben gewisse soziale Mindeststandards eingehalten werden, Kinder etwa die Gelegenheit haben, in Schulausbildung zu kommen, ist es schon gut. Nicht in allen Ländern gibt es kleinbäuerliche Strukturen. Fair Trade ist in erster Linie dann interessant, wenn es kleinbäuerliche Strukturen gibt, damit die faire Preise für ihre Produkte bekommen. Ob einem alles gezeigt wird, wenn man als Gast kommt, um sich eine Plantage anzuschauen – das ist natürlich eine andere Frage. In vielen Fällen gibt es aber gute medizinische Versorgung, Krankenschwestern, Kinderversorgung, Babykrippen. Sicher könnte man aber noch an vielen Ecken etwas besser machen.
Wir suchen aber natürlich nicht unser gesamtes Teesortiment selbst am Ursprung aus. Wir sind im internationalen Teehandel eine sehr kleine Firma, bedienen uns deshalb durchaus auch des etablierten Importhandels in Hamburg oder Rotterdam, wenn es um ausgefallene Spezialitäten geht, die wir in kleinen Mengen brauchen. Es ist also eine Mischung aus Eigen-Entdeckungen und etabliertem Großhandel.
Es ist auch so, dass viele unserer Lieferanten schon unsere Vorlieben kennen und schon ein bisschen vorselektieren. Für den österreichischen Markt sind auch Früchte und Kräuter wichtig, mit Biokräutern beschäftigen wir uns gerade intensiv. Ich war erst vor ein paar Wochen in Ungarn und habe mir eine Bio-Kamillen-Produktion angeschaut. Über einen polnischen Franchise-Partner haben wir außerdem eine sehr gute polnische Schokolade entdeckt, die verkaufen wir jetzt in allen Geschäften. Wir profitieren also auch von unseren Franchise-Partnern, die bringen uns ebenfalls manche Ideen.

-> Weiter zu Teil 2: Andrew Demmer über das richtige Wasser und die "Standesregeln" im Teehandel

(Teil 2; zurück zu Teil 1)

derStandard.at: Weil Sie vorhin schon das Wasser erwähnt haben: Welche Rolle spielt das beim Tee?

Demmer: Wir haben in Österreich das unglaubliche Glück, so gutes Wasser zu haben. Daher ist es wichtig, mit unserem Wasser die Tees zu probieren. Ich sag aber unseren Kunden auch immer: Man findet leichter den passenden Tee zum Wasser, als umgekehrt.

derStandard.at: Kann Österreich noch zu einer "Teenation" werden?

Demmer: Dieses Ziel war natürlich immer auch ein bisschen ironisch gemeint von mir. Wir sind mit den ganzen Teefirmen im besten Einvernehmen, haben vor Jahren gemeinsam das Österreichische Teeinstitut gegründet, wo sozusagen markenunabhängig für das Produkt Tee geworben wird. Außerdem haben wir den "Tag des Tees" ins Leben gerufen und versuchen auch, in Hotel- und Gastronomiefachschulen jungen Gastronomen das Thema Tee näher zu bringen – kleine Schritte in die richtige Richtung.
Es ist sehr erfreulich zu sehen, wie viele Gastronomen schon eine eigene Teekarte haben. Aber den Ur-Österreicher, der sagt: "Ich bin nicht krank, mir ist nicht kalt ..." – den wird es immer geben. Da haben die Engländer 250 Jahre Vorsprung. Aber wir sind mit Begeisterung dabei, und auch viele Mitbewerber im Teefachhandel haben sich auf ihre Fahnen geheftet, für den Tee etwas zu machen. Es kommt uns sicher auch das Gesundheitsbewusstsein, das Thema bewusste Ernährung entgegen.

derStandard.at: Sie sind gebürtiger Engländer. Ist England wirklich noch eine Teenation?

Demmer: Es ist in letzter Zeit etwas zurückgegangen, aber der Pro-Kopf-Verbrauch ist immer noch sehr hoch, er liegt bei etwa 2,5 Kilogramm pro Kopf und Jahr – gegenüber 250 Gramm bei uns, also einem Zehntel. Die Iren sind auch starke Teetrinker. Ähnlich wie in der Türkei zieht sich in England der Tee durch den ganzen Tag. Man setzt sich zusammen, und dann heißt es "Let's have a cup of tea!" Tee ist ein Teil des englischen Lebens, wobei die viel weniger Gschisti-Gschasti darum machen. Es gibt erst seit zehn Jahren Teefachgeschäfte. Früher hat man beim Kaufmann oder im Supermarkt seinen Tee gekauft, die Großeltern und die Enkelkinder haben immer dieselben Sorten getrunken. Da ging's einfach um eine kräftige Tasse Tee. Die Vielzahl an Sorten, aromatisiert oder grün – das ist alles erst in den letzten Jahren aufgekommen. So wie es früher auch in Wien keine Weinfachgeschäfte gegeben hat, das ist ja auch eine Entwicklung der letzten zehn Jahre. Früher hat man sich den Doppler vom Weinbauern geholt. In England hat's interessanterweise aber immer schon Weinfachgeschäfte gegeben.

derStandard.at: Wenn England so ein starker Markt ist, müssten Sie dann nicht versuchen, dort Fuß zu fassen?

Demmer: Ja. Wenn ich 20 Jahre jünger wäre, gäb's noch so manche Ideen. Aber wir haben uns jetzt einmal auf den Osten konzentriert. Der Standort Tokio ist dabei ein netter Zufall gewesen, darauf sind wir natürlich stolz. Aber geplant war das nicht.

derStandard.at: Wie ist das "passiert"?

Demmer: Wir hatten dort eine Großhandelskundin, die ein bisschen Internet-Verkauf gemacht und in diversen Kaufhäusern "österreichische Wochen" betreut hat. Irgendwann hat sie gesagt, sie will ein eigenes Geschäft haben, um die Produkte besser herzeigen zu können.
Auch nach Amerika und nach Frankreich exportieren wir kleinere Mengen, haben aber nicht die Absicht, dort Fuß zu fassen. Aber keine Ahnung, was mein Sohn noch so alles im Schilde führt ... ich unterstütze ihn aber natürlich gerne dabei.

derStandard.at: Ihr Sohn Georg ist jetzt 26 und wird gerade zum Teefachmann ausgebildet ...

Demmer: Ja, er war vor zwei Jahren einige Wochen in Indien, ist mittlerweile geprüfter Tee-Sommelier. Da gibt es in Deutschland die entsprechende Ausbildung, bei einer befreundeten Teefirma, "Tee Gschwendner", in Meckenheim. Die haben das in erster Linie für ihre Franchise-Partner entwickelt. Diese Ausbildung wurde jetzt offiziell anerkannt, und wir haben auch bereits die Rechte an diesem Programm. Eine Franchise-Partnerin von uns hat das schon absolviert, und irgendwann wollen wir das auch selbst anbieten, in verschiedener Intensität – also für Hobby-Teetrinker gleichermaßen wie für Gastronomen oder Menschen, die ein Teegeschäft haben.
Das schöne am Teehandel ist: Es ist eine sehr honorige Branche. Es gibt da unausgesprochene Standesregeln. Im Teehandel wird nicht beschissen, da gilt noch das Wort, auch bei den Abladern im Ursprung. Wo wir schon früher vom Vater gekauft haben, ist jetzt vielerorts schon der Sohn am Ruder, alles also sehr traditionell, konservativ. Auch das Produkt Tee. Wir haben einmal in einem schrecklichen Einkaufszentrum ein Geschäft gehabt, aber es kamen trotzdem nur die angenehmen Kunden herein. Also die mit Schlapfen und im Trainingsanzug, die kamen nicht herein.

derStandard.at: Wieviel Tee trinken Sie eigentlich selbst am Tag?

Demmer (denkt angestrengt nach): Also ich würde sagen, an einem normalen Wochentag sind es acht bis zehn Tassen. Im Urlaub und am Wochenende zwei bis vier. Ich trinke nicht viel Kaffee, aber am Wochenende ist dann schon auch einmal einer dabei. Ein guter Kaffee hat einen herrlichen Geschmack, aber ich bin sicher kein Koffein-Junkie, der das braucht. Das ist eher der Genuss.
Der Unterschied zwischen Tee und Kaffee ist: Einen kleinen Mokka oder einen kleinen Braunen trinkt man auch schnell einmal so als Kick zwischendurch, der Tee braucht ein bisschen Zeit. (derStandard.at, 10.8.2009)