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Foto: AP/Lilli Strauss

Wirtschaftskammer-Präsident Leitl: "Die Leute spüren, es fallen keine Entscheidungen, und sie zweifeln zunehmend an der Lösungsfähigkeit der Demokratie. Das macht mir ungeheure Sorgen."

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Christoph Leitl, dem obersten Wirtschaftskämmerer des Landes, geht zu wenig weiter. Für die fehlenden Reformen eines überteuerten Bildungs- und Gesundheitssystems würden Politiker verantwortlich zeichnen, die weder Visionen nocht Gestaltungskraft aufweisen. Die Verwaltung des Status Quo und ein falsch verstandener Föderalismus würden schon bald auf Kosten der Steuerzahler gehen. Langfristig drohe der politischen Klasse sogar eine Wählerschaft, die von der Demokratie die Nase voll hat, warnt Leitl im Gespräch mit Lukas Kapeller.

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derStandard.at: Sie sagen in der "Presse am Sonntag", die politischen Entscheidungsträger entscheiden nicht mehr. Wer entscheidet dann? Und wo ist die Macht hingewandert?

Leitl: Die Macht hat sich in Lethargie gewandelt. Aus Regieren ist Administrieren geworden, vielleicht ist das der bessere Ausdruck als Lethargie.

derStandard.at: Sie konstatieren einen "Machtverlust der Politik". Wichtige Reformen würden nicht angegangen werden. Woran liegt es, dass die Politik Macht und Mut einbüßt?

Leitl: Die Politik ist zu sehr mit der Bewältigung des Alltags beschäftigt. Sie bringt zu wenige mittelfristige Projekte in professioneller Weise auf Schiene. Im Management ist es üblich, sich zusammenzusetzen, Ziele und Strategien zu vereinbaren. Es werden Maßnahmen definiert und umgesetzt, dann wird eine Erfolgskontrolle gemacht. Es werden alle Beteiligten eingebunden.

derStandard.at: Zum Beispiel?

Leitl: Ein klares Ziel hilft, eine entsprechende Motivation, um nicht zu sagen, Begeisterung, für eine Sache zu entwickeln. Wenn ich zum Beispiel sage "Wir wollen das beste Bildungssystem Europas", dann hätte das doch etwas Motivierendes, ja Faszinierendes. Das würde Kräfte freisetzen. Das muss Politik bewirken, und das tut sie aus meiner Sicht viel zu wenig. Die Politik sagt ganz allgemein: Es muss etwas geschehen. Sie sagt aber nicht, was, wie und wann.

derStandard.at: Sie fordern Reformen, zum Beispiel in Bildung und Gesundheit. Fehlt es wirklich am Mut der Politiker, also der einzelnen Personen? Oder ist es ein strukturelles Problem, ein Systemproblem?

Leitl: Es fehlt am Management-Können. Man weiß gar nicht, wie man an die Sache herangehen soll. Man weiß nur, sie ist wichtig. Dann nimmt man einen einzelnen Punkt heraus, und dann streitet man über den. Denken Sie nur: Wenn über die Staatsreform diskutiert wird, fängt sicher einer mit dem Bundesrat an. Da kennt sich jeder aus, da kann jeder mitstreiten. Und am Schluss: Was ist da?

derStandard.at: Sie meinen damit aber nicht, dass Regierungen ihr Primat zugunsten der Wirtschaft und diverser Lobbies abgegeben haben?

Leitl: Oja, das meine ich jetzt aber nicht auf der nationalen Ebene. Schauen Sie, US-Präsident Obama beschwert sich zurecht, dass die Wall-Street-Boys dort schon wieder ihr Spielchen beginnen. Wenn er aber gesetzliche Änderungen will, dann lobbyieren die im Kongress, sodass unsicher wird, ob er von der großen Mehrheit, die ihm die Wähler gegeben haben, überhaupt Gebrauch machen kann. Wir haben auf globaler Ebene dasselbe: Die Politik ist nicht mehr gestaltungsfähig.

derStandard.at: Aber gerade auf internationaler Ebene waren es doch Konservative wie Ronald Reagan, Margaret Thatcher oder die Bushs, die die politische Gestaltung den Lobbies geopfert haben?

Leitl: Wer immer es früher war. Über frühere Zeiten zu reden, liegt mir nicht. Ich blicke auf heute und morgen. Es muss klar sein, dass weder der Gier-Kapitalismus noch die sozialistische Planwirtschaft die Erfolgsmodelle sind. Sie sind beide gescheitert. Was wir brauchen, ist eine soziale Marktwirtschaft auf globaler Ebene. Wir brauchen freien Wettbewerb, aber darüber hinaus ein politisches Rahmensystem, das uns steuert und auch Werte vermittelt. Das fehlt uns heute.

derStandard.at: Und was passiert, wenn die Politik dieser Rolle nicht gerecht wird?

Leitl: Wir werden die eine Krise mit Müh' und Not überwinden, aber steuern sehenden Auges auf die nächste Krise zu, wenn wir nichts ändern. Das ist überall dasselbe: ob das jetzt die globale, nationale oder regionale Ebene ist. Versuchen Sie einmal in einem Bundesland ein Krankenhaus - nicht zuzusperren, davon rede ich gar nicht - einfach nur auf Schwerpunkte zu reduzieren oder auf Rehabilitation umzustellen! Die Politik wird ohnmächtig, sie wird zunehmend handlungsunfähig. Was ist die Folge? Die Leute stellt das nicht zufrieden. Die Leute spüren, es fallen keine Entscheidungen, und sie zweifeln zunehmend an der Lösungsfähigkeit des demokratischen Systems, der Demokratie. Das macht mir ungeheure Sorgen.

derStandard.at: Wenn wir in Österreich bleiben: Sie haben das Beispiel Spitäler genannt, es gäbe viele andere. Hat der Bund zu wenig Mut gegenüber den Bundesländern?

Leitl: In Österreich kann sich einer allein nicht bewegen. Wir haben die Kompetenzen so verschachtelt. Was einmal klug gedacht war - in einem kleinen Land, gemeinsame Sache zu machen -, entwickelt sich immer mehr zu einer Lähmung dieses kleinen Landes. Man kann immer weniger Dinge bewegen, von denen eigentlich jeder überzeugt ist, dass sie bewegt werden sollen.

derStandard.at: Also Kritik am Föderalismus?

Leitl: Wir haben einen falsch verstandenen Föderalismus. Ein richtiger, gesunder Föderalismus löst Probleme. Wer Probleme nicht lösen kann, bekommt selbst welche. Ein Beton-Föderalismus wird nicht lange Bestand haben. Alles, was nichts mehr bewegt, geht historisch gesehen zugrunde. Ich glaube aber, dass das gar nicht notwendig wäre. Unser freiheitlich-demokratischer Rechtsstaat hat ja unheimlich viel geschaffen. Die Politik darf nur jetzt nicht kraftlos zurücksinken, sondern muss die Ärmel aufkrempeln.

derStandard.at: Gerade jetzt würde sich Tatenlosigkeit Ihrer Meinung nach bitter rächen?

Leitl: In Zeiten wie diesen ist das besonders notwendig, denn wir stehen in einem globalen Wettbewerb. Unser Wohlstand von morgen hängt davon ab, wie wir die Probleme heute angehen. Wenn nicht, müssen wir die Zeche zahlen. Und zwar nicht einige wenige, wie uns manche weismachen wollen, nicht ein paar Reiche und Vermögende. Alle werden die Zeche bezahlen müssen: ob das über eine höhere Mehrwertsteuer, über die Sozialversicherungsbeiträge, ob das über direkte oder indirekte Steuern ist. Alle werden wir zu zahlen haben. Diejenigen, die heute nichts machen, sind verantwortlich für die Rechnung, die wir den Bürgern morgen ausstellen müssen. (Lukas Kapeller, derStandard.at, 10.8.2009)