Bild nicht mehr verfügbar.

Filmplakat von "The Hours"
Foto: HO/REUTERS

Wien – Vorbereitungen auf kleinere oder größere Feste; Lebensläufe mit, für und auch gegen Literatur; Liebesbeziehungen, die mitunter in geradezu verzweifelte Last und Verantwortung münden, in denen man bei allem Für- und Miteinander doch immer auch ganz allein bleibt:

Michael Cunninghams Roman "The Hours" beschränkt sich nicht darauf, diese Spannungsverhältnisse lediglich in Vergleichen zwischen dem enigmatischen Leben und Schaffen der britischen Schriftstellerin Virginia Woolf und der Geschichte ihrer letztlich geretteten Romanheldin Mrs. Dalloway auszuloten.

Vielmehr kreiert er an anderen Orten, zu anderen Zeiten noch einmal verwandte Schicksale: das einer Hausfrau und Woolf-Leserin, die im Los Angeles der späten 40er-Jahre in ihrer Einbauküche eigentümlich mutlos wird. Und das einer Lektorin im New York der Gegenwart, die in allem Bemühen um Harmonie zunehmend die Contenance verliert, auch angesichts des Siechtums eines befreundeten Literaten, der seinerseits der Sohn der obgenannten kalifornischen Leserin ist.

Wie Tropfen, die in ein langsam, aber stetig bewegtes Rinnsal fallen, Wellenkreise bilden, die einander wiederum brechen, sind die zart anklingenden Motivvariationen dieses Buches. Und wenn Virginia Woolf (Nicole Kidman) am Beginn von Stephen Daldrys Verfilmung von "The Hours" zu einer Komposition von Philip Glass in eben so ein Flüsschen sinkt, dann fürchtet man fast, auf der Leinwand könnte sich eine lichtdurchflutete Kunstfertigkeit allzu bedeutungsschwer entfalten.

Das Gegenteil ist der Fall. Regisseur Daldry (bekannt geworden durch Billy Elliot) bringt in seiner Inszenierung ein Gefühl für Schauspiel und für Sprache fast nüchtern zum Klingen, das an BBC-Literaturadaptionen erinnert. Gleichzeitig hat der Dramatiker David Hare ein Drehbuch vorgelegt, das – teilweise in langen Dialogpassagen – das geschriebene und das gesprochene Wort quasi zu eigenen Charakteren werden lässt, so als spräche oft Mrs. Dalloway durch die Protagonistinnen hindurch, während diese oft an ihrem Gegenüber vorbeireden – oder: in sich hinein.

Was wiederum die Hauptdarstellerinnen Nicole Kidman, Julianne Moore und vor allem die einzigartige Meryl Streep im Umgang mit dieser Sprache leisten und wie sie die fast vollständig separierten Episoden zu einem einzigen Porträt einer Lady zusammenführen: Dies ist nur ein weiteres Geschenk in diesem Film, der nicht zuletzt Liebe, Arbeit und Literatur mit einer Komplexität zusammendenkt und -liest, wie man sie im gegenwärtigen Konversationskino lange suchen kann.

Idyll: Exil

Allein die Szene, in der der Verleger Leonard Woolf (Stephen Dillane) seine labile, nichtsdestoweniger aber willensstarke Frau davon abhält, aus dem ländlichen Idyll, das sie mitunter wie ein quälendes Exil empfindet, nach London zu fliehen: Da werden vor einem kleinen Bahnhof plötzlich gegenseitige Verantwortung, Unmut, Zuneigung ununterscheidbar, das Ja zueinander birgt auch immer die Gefahr einer individuellen Niederlage in sich.

Nicht weniger beiläufig entfaltet auch Meryl Streep die Krise einer Intellektuellen, deren Beziehung zu einer anderen Frau längst Routine geworden zu sein scheint und die immer noch der ersten Liebe ihres Lebens anhängt – auch wenn die Pflege ihres siechen Freundes (Ed Harris) einigermaßen mühsam geworden ist. So wie Mrs. Dalloway von den bleiernen Glockenklängen des Big Ben hinuntergezogen wird, verfällt auch Streep hier in eine zunehmend ermüdete Hektik. Es genügen ihr einige wenige sparsame Gesten, diesen Zustand nicht zu spielen, sondern einfach präsent zu halten.

Julianne Moore schließlich, die man gegenwärtig auch in "Far from Heaven" in ähnlicher Desperation erleben kann: Sie hat vielleicht die schwierigste, weil in aller Affektiertheit "dramatischste" Rolle. Man muss aber nur gesehen haben, wie sie das Hotelzimmer betritt, in dem sie Selbstmord begehen will, um endgültig festzuhalten: Es war ungerecht, dass lediglich Nicole Kidman für "The Hours" mit einem Oscar ausgezeichnet wurde.

Bleibt noch das vielleicht Schönste an diesem Film zu würdigen: Der Umgang mit den Texten von Virginia Woolf. Wenn man sich mit ihr in ihr Zimmer zurückzieht und sie anhebt zu schreiben, dann spürt man den Mut und die Freiheit, der etwa in diesem Anfangsatz steckt: "Mrs. Dalloway sagte, sie wolle die Blumen selber kaufen." (Claus Philipp, DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 27.3.2003)