Ungewöhnliches Hobby: Arnau (Marc Soto), Held aus Marc Rechas "Petit Indi" , mit seinem Lieblingspiepmatz, einem Stieglitz.

F.: Festival

Katastrophenstimmung auf der Piazza Grande. Das Riesenfreiluftkino mitten in Locarno sieht die Weltpremiere von Les derniers jours du monde (Die letzten Tage der Welt). Die Brüder Arnaud und Jean-Marie Larrieu (Peindre ou faire l'amour) lassen einen zerzausten Helden namens Robinson, verkörpert von Mathieu Amalric, quer durch Spanien bis nach Paris die große Liebe jagen, während um ihn herum eigentümliche Naturphänomene, Viren, Anarchie und Terror regieren und das Weltende naht.

Ein französischer All-Star-Cast - Catherine Frot, Sergi Lopez, Karin Viard u.a. - spielt sich mit Amalric zwei Stunden lang durch diese insgesamt hahnebüchene, aberwitzige, stellenweise auch sehr komische Geschichte. Die Filmemacher berufen sich auf den Hollywood-Katastrophenfilm. Als US-Bezugspunkt fallen einem aber eher Southland Tales ein - eine andere Verirrung, die manche Reize hat.

Mathieu Amalric hat auch mit dem Regisseur und Autor Eugène Green schon gearbeitet. Green ist sozusagen der Antipode von Unternehmungen wie Les derniers jours. Im diesjährigen Wettbewerb, dem letzten, den der scheidende künstlerische Leiter Frédéric Maire verantwortet, markiert Greens jüngster Film bisher die wohl entschlossenste Position. A religiosa portuguesa (Die portugiesische Nonne) geht lose auf einen Briefroman aus dem 17. Jahrhundert zurück. Ein französischer Regisseur namens Denis Verda - Green spielt ihn selbst - arbeitet an einem Film dazu, seine Hauptdarstellerin Julie (Léonor Baldaque) kommt vor den anderen am Drehort Lissabon an. Im Verlauf mehrerer Tage wird sie durch die Arbeit an dem Projekt auch mit ihren eigenen Wünschen und Sehnsüchten konfrontiert.

Ihre Streifzüge, Begegnungen, Unterhaltungen sind in ganz kargen Einstellungen - und häufig in ebenso kargen Räumen - arrangiert. Neben schwärmerischer Exaltiertheit ist darin auch Platz für Humor: Wie das sein könne, dass in einem Film nur zwei Schauspieler zu sehen sind, fragt die Maskenbildnerin Julie: "Der Film ist sehr komplex." - "Das heißt wohl langweilig." Auch der Rezeptionist ist skeptisch: Französische Filme seien nur für Intellektuelle, aber davon gebe es in Lissabon eh reichlich.

Auf Festivals, das ist bekannt, wird die Wahrnehmung jedes neuen Films immer auch von den Eindrücken der Filme vorher formatiert. Vielleicht liegt es also an A religiosa portuguesa, dass einem auch in Marc Rechas Petit Indi die Blicke aufs Schuhwerk auffallen: Statt der hohen Sandalen, auf denen Julie souverän über Lissaboner Pflastersteine stöckelte, sind es nun löchrige Leinenschuhe.

Arnau (Marc Soto) trägt sie, ein junger Mann, der an der Peripherie von Barcelona lebt und ein ungewöhnliches Hobby pflegt: Er ist Mitglied eines Singvogelvereins und tritt mit einem Stieglitz bei Wettbewerben an. Das wirkt weit weniger schrullig, als es klingt. Weil Arnau Geld braucht, das mit Arbeit so schnell nicht zu verdienen ist, und weil er seinen Champion nicht verkaufen will, versucht er es auch mit Wetten auf der Hunderennbahn.

Und damit führt Recha in eine zweite (verschwindende) Volkskultur: Mit den beiläufigen Beobachtungen auf den ärmlichen Tribünen oder am Wettschalter, wo die Einsätze kaum ein, zwei Euro übersteigen, fände man als Zuseher in diesem lichten, sympathischen Film ebenso das Auslangen wie mit jenen, die Pflege und Einsatz der Vögel beschreiben. Aber der Katalane verwickelt seinen jugendlichen Helden zusätzlich in ein vergleichsweise kalkulierbares Drama. Für manche Katastrophen ist schon ein Gartenschuppen groß genug. (Isabella Reicher aus Locarno, DER STANDARD/Printausgabe 12.8.2008)