Jeder Satz ein Treffer: Christoph Waltz als mephistophelischer SS-Oberst Landa, der in Quentin Tarantinos "Inglourious Basterds"  seine Opfer zuerst mit Worten betäubt.

Zur Person:
Christoph Waltz, geb. 1956 in Wien, absolvierte das Reinhardt-Seminar und spielte meist abgründige, hintersinnige Figuren am Theater, im Kino und Fernsehen. Für seine Rolle in "Inglourious Basterds"  wurde er in Cannes 2009 als bester Darsteller ausgezeichnet.

Foto: UIP

Mit Christoph Waltz sprach Dominik Kamalzadeh.

Standard: "Tarantino hat mir meine Berufung zurückgegeben." Das haben Sie in Cannes bei der Preisvergabe gesagt. Sie blicken als Schauspieler auf eine lange Karriere zurück, und dann öffnet sich plötzlich mit "Inglourious Basterds" dieses Ventil. So etwas ist selten. Wie nehmen Sie das heute wahr?

Waltz: Das hat natürlich eine ganz private Seite. Einerseits ist man sehr gefangen in dieser industriellen Fertigung. Diese hat ja auch ihre Richtigkeit - ich kritisiere das nur auf einer bestimmten Ebene. Es ist durchaus ehrenhaft, seinen Lebensunterhalt mit so etwas zu bestreiten. Andererseits gibt es eine schauspielerische Entwicklung, die sich nicht verhindern lässt. Sie führt zu etwas: Die Anforderungen, die an einen gestellt werden, sind immer noch auf dem Niveau von früher. Die handwerklichen Möglichkeiten, die Ausdrucksmöglichkeiten aber verfeinern sich. Das ist wie bei einem Pianisten, der nicht nur an Geläufigkeit gewinnt. Der Überblick über die Sache wächst, man wird sicherer bei der Wahl der Topoi.

Standard: Man entwickelt eine gewisse Souveränität ...

Waltz: Ja, und der Blick öffnet sich zunehmend durch die Arbeit. So - und dann hat man diese Entwicklung genommen. Nur - was mache ich jetzt damit? Wieder den zwölften Mörder in einem Fernsehfilm spielen, der in irgendein Programm hineingeschlotzt wurde? Wozu dann auf der anderen Seite mein Bemühen, wenn ich das nicht zur Anwendung bringen kann? Soll das wirklich alles ein Privatvergnügen gewesen sein? Es macht ja Mühe, große Mühe. Aber ich will da keineswegs die Opferrolle einnehmen ...

Standard: ... es geht um Produktionsstrukturen, die unumgänglich sind - und innerhalb derer man arbeiten muss?

Waltz: Ja, und das Vergnügen besteht darin, sich neue Welten zu erobern. Ansonsten kann man sich ins Bett legen. Oder sich zum Heurigen setzen - das ist zumindest lustiger. Und jetzt kriege ich nach dreißig Jahren - und deswegen ist Ventil so ein guter Ausdruck - endlich eine Gelegenheit zu testen, ob das überhaupt genug ist, womit ich mir in all der Zeit Mühe gemacht habe. Ist es denn für diese Rolle des SS-Oberst Landa ausreichend? Darin lag auch ein Risiko - trotz all der Zuversicht, die ein dramatisches Scheitern zur Folge hätte haben können.

Standard: Haben Sie die Rolle auch als eine neue Grenze gesehen - hin zu anderen Herausforderungen?

Waltz: Das kommt dazu, betrifft aber mehr die Zukunft, die nächsten Rollen. Aber dass sich die Vergangenheit als sinnvoll und nützlich herausgestellt hat, das ist das wirklich Großartige daran. Als Gegenwart erlebt ist das, was ich heute als Vergangenheit bezeichne, größtenteils mühsam gewesen.

Standard: Tarantino arbeitet mit einem mehrheitlich deutschsprachigen Cast. Gemeinsam mit diesem erobert er für das NS-Genre neue Zusammenhänge. Das bedeutet auch, dass "Inglourious Basterds" solche Produktionsverhältnisse widerspiegelt und sie gleichzeitig transzendiert.

Waltz: Unbedingt. Auf allen Ebenen erzählt der Film das mit. Deswegen ist es auch so eine runde Sache. Es erzählt dasselbe von vielen, vielen Leuten. Für mich ist "Inglourious Basterds" deswegen auch keine Geschichtsklitterung. Genau unter diesem Aspekt ist der Film erst zwingend und prachtvoll gelungen.

Standard: Der Aspekt, Geschichte als Wunscherfüllung zu betreiben, ist politisch brisant, schließlich wird hier mit Pulp und B-Movie-Versatzstücken gegen eine bestimmte Tendenz im Kino mobilgemacht. Das hat vor Tarantino nur Paul Verhoeven in seinem Film "Schwarzbuch" vergleichbar unternommen.

Waltz: Verhoeven hat sich zumindest die Form einverleibt. Doch Tarantino macht das umfassender, auch auf einer inhaltlicher Ebene. Die Form hat für sich allein ja noch keine Eigenständigkeit. Die deutschen NS-Filme sind in der Regel ja keine Erzählungen mehr, das sind Statements - und als solche abzulehnen.

Standard: Wie definieren Sie Statements?

Waltz: Es handelt sich um ein Zur-Kenntnis-Bringen dessen, auf welcher Seite die Beteiligten stehen. Ein Zur-Verfügung-Stellen dieser Seite, mit der Absicht, dass man sich ihr anschließen kann. Wir wissen das doch alles - die historischen Details kennen wir. Zu behaupten, man müsse den jungen Menschen mitteilen, dass Hitler ein Mensch war - wozu? Warum?

Standard: Es geht also um keinen Erkenntnisgewinn?

Waltz: Ein junger Mensch gewinnt aus solchen Filmen nur die Einsicht, dass er sich mit dem Thema nicht auseinandersetzen muss. Weil das ja a gmahte Wiesn ist. Ganz bös war das, ganz schlecht - da sind wir dagegen! Das wird dann erfolgreich als Aufarbeitung verpackt. Eine ganz verlogene Angelegenheit! Das Heldentum der Widerstandskämpfer gerät zum Marketinggag für Abenteuergeschichten. Mich interessiert das Heldentum von Stauffenberg überhaupt nicht. Mich interessieren die Zusammenhänge, die dazu geführt haben. Wie war das mit dem Junkertum? In welcher Form haben die Beteiligten vom Nationalstaat gesprochen? Was hatten sie vom Adel für einen Begriff? Ich muss das Hitlerbärtchen auf keinem Schauspieler sehen. Wirklich nicht. Und wenn schon, dann als Kaspertheater. Wenn es das ist, soll es das auch sein.

Standard: Wie bei Tarantino, der auf keinen Realismus mehr setzt?

Waltz: Der Vorgang ist verstellt - bei Tarantino aber nicht. Ich finde, diese gängigen Aufarbeitungsfilme verhindern Aufarbeitung, weil sie sich nicht um Möglichkeiten kümmern. Sie zeigen nur Urteile, und die Urteile sind - zu Recht - gefällt. Und wenn man sagt: "Man kann so nicht mit Realität umgehen!" - dann sage ich: "Die Realität eines Kunstwerkes entsteht auf einem anderen Niveau." Peter Kubelka hat in einem großartigen Vortrag einmal Folgendes demonstriert: Er nahm ein Stück Kreide und fragte: "Was ist das?" Bis einer sagte: "Das ist ein Stück Kreide." Darauf Kubelka: "Schon, aber eigentlich ist es ein Flugzeug." Dann machte er: "Brrrrrrrrrr." "Sie glauben doch nicht im Ernst, dass Sie ein Flugzeug sehen, wenn Sie im Kino ein Flugzeug auf der Leinwand sehen. Sie nehmen es aber in Kauf, dass es wie ein Flugzeug behandelt wird. - Das ist nur Licht auf Leinwand." Und das ist auch das, womit Quentin spielt. Das ist Realität, aber es ist eine alternative Realität.

Standard: Der Film erzählt auch viel über Sprache, über ihre manipulative Qualität, ihre Gewalt und ihre Bedeutung als Mittel der Macht - kam Ihnen das gelegen?

Waltz: Ich behaupte, dass es einem Tarantino-Schauspieler zugute kommt, Theaterschauspieler gewesen zu sein. Weil der wiederholbare Umgang mit sprachlichen Details da mehr im Metier liegt. Der Film favorisiert doch meistens eine unbewusst selbstverständliche Art. Es ist gut zu wissen, wie man probiert: dass man präzise bei der Sache bleibt, dass man daraus Energie ziehen kann; dass man sich Richtlinien schafft, über längere Zeiträume hinweg - das lernt man am Theater. Tarantino sagt schon auch: "Ich will, dass du das sorgfältig machst." Manchmal kommt er ganz diskret auf einen zu und flüstert etwas, ohne dass es die anderen hören. Da ist dann immer eine ganz deutliche Veränderung im Spiel wahrnehmbar.

Standard: Das Mephistophelische an Landa, dieser süßlich galante Ton, ist eigentlich prädestiniert für die österreichische Sprache.

Waltz: Das freut mich, dass Sie das so sehen. Es gibt in der ersten Szene einen kleinen Hinweis auf Landas Herkunft, ich sage da: "Der Grund, warum mich Hitler von meinen österreichischen Alpen hierher in diese Kuhlandschaft gesetzt hat..." Das habe ich als Anlass genommen, Quentin zu sagen, dass das ganz viel Potenzial hat. Schon beim Casting habe ich gesagt: "Anscheinend ist das ein Österreicher - und rein zufällig bin ich ein Österreicher." Da haben alle gelacht: "Was für ein Zufall! Hahaha!" Aber wir haben tatsächlich daraus sehr viel herausgeholt. Es hat nicht zuletzt Auswirkungen auf die Syntax. Ich finde Hochdeutsch aufgrund der Syntax unkomödiantisch. Der Gag ist längst verkauft, wenn das Verb endlich am Ende des Satzes kommt. Die österreichische Syntax ist, wenn man etwa an Nestroy denkt, ungleich dramatischer, weil sie ein bisserl verstellt ist und dadurch Pointen besser verkaufen kann. Auch in der Übersetzung war das ein Quantensprung - viel näher an der Originalfassung. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14./15./16.8.2009)