Wolfgang Puschnig (li.) und Christian Muthspiel präsentieren in Saalfelden neue Projekte. Am Festival schätzen sie dieMöglichkeit, Dinge - ohne die geringste Vorgabe - ausprobieren zu können.

Foto: Newald

Andreas Felber sprach mit ihnen über Österreichs Parade-Jazzevent und Stargast Ornette Coleman.

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Standard: Ihr seid Aushängeschilder des österreichischen Jazz, direkte Berührungspunkte zwischen euch gibt es aber kaum.

Muthspiel: Einer war das Ewald-Oberleitner-Festival in Graz. Das war 1982 oder so - und für meinen Bruder Wolfgang und mich war es fast ein Wunder, dass die zwei Vienna-Art-Orchestra-Stars aus Wien, Wolfgang Reisinger und Wolfgang Puschnig, mit uns Jazzstudenten spielen!

Puschnig: Ihr wart jünger, das war alles. Als du später selbst beim VAO warst, war ich nicht mehr dort. Ich bin 1990 ausgestiegen ...

Muthspiel: ... und ich bin 1995 dazugekommen und war bis 2004 dabei.

Standard: Wodurch, glaubt ihr, unterscheiden sich die Erfahrungen, die ihr im VAO gemacht habt?

Muthspiel: Bei dir, Wolfgang, war es ja so, dass die Band aus einem Kollektiv entstanden ist, du warst Gründungsmitglied. Ich bin von einem Bandleader, von Mathias Rüegg, engagiert worden. Das ist sicher ein anderer Beginn.

Standard: Mit dem VAO warst du, Wolfgang, 1978 auch beim allerersten Jazzfestival Saalfelden dabei.

Puschnig: Das hat damals noch in einem Stadl stattgefunden und war ziemlich chaotisch.

Standard: Welchen Rolle spielt das Festival für eure musikalische Entwicklung? Du, Wolfgang, hast fast alle wichtigen Projekte in Saalfelden präsentiert.

Puschnig: Saalfelden ist für mich ein spezielles Festival, da ich immer wieder die Möglichkeit bekam, Dinge auszuprobieren, ohne mich nach irgendeinem Konzept richten zu müssen. Man hat mir vertraut, ich habe freie Hand gehabt.

Muthspiel: Das Witzige ist, dass mein Vater in Saalfelden geboren ist. Bei uns zu Hause hat Saalfelden also eine andere Bedeutung gehabt, bis wir draufgekommen sind: Dort gibt es auch Jazz! Was das Festival betrifft, war es für mich ein schönes Erlebnis, dass der damalige Festivalleiter Gerhard Eder 1990 oder 1991 mein Octet Ost wahrgenommen und zum Festival eingeladen hat. Zweimal war ich mit meinem Bruder Wolfgang dort. Heuer war es so, dass ich gefragt wurde, ob ich die Eröffnung machen will. Ohne eine Vorgabe. Was ich immer extrem geschätzt habe, war die respektvolle Wahrnehmung der Musiker.

Puschnig: Ich finde es schön, dass sie sich heuer Ornette Coleman leisten. Ich weiß allerdings aus erster Hand: Der sucht sich schon genau aus, wo er spielt. Mittlerweile hat er auch den Status, wählen zu können. Ornette hat ja immer die Linie vertreten: Als Musiker wird man sowieso immer ausgenützt. Eine bestimmte Form von Respekt ist ihm also wichtig.

Standard: Kürzlich hat Coleman bei einem Konzert "Beat It" von Michael Jackson gespielt.

Muthspiel: Das hat wohl auch mit Jackson als Identifikationsfigur für Schwarze zu tun. Jackson ist ja eigenartigerweise erst über seine "Verweißlichung" zum Helden bei den Schwarzen geworden. Weil er womöglich damit eine Vision des Übertritts in diese Gesellschaft geschaffen hat. Es kann sogar ein Schwarzer weiß werden, das war die Botschaft.

Standard: Könnte man nicht annehmen, dass Ornette Coleman, der selbstbewusste Afroamerikaner, einen Musiker, der seinen Background eher verleugnet, ablehnt?

Puschnig: Ich habe viel mit schwarzen Musikern zu tun, da spielen diese Sachen überhaupt keine Rolle. Die Europäer sehen das viel politischer, die Amerikaner sehen das einfach als Business. Wenn du als Schwarzer im Business weiterkommen willst, musst du dich an gewisse Gesetze halten. Und eines davon, ein ganz wichtiges ist: Du darfst niemals bedrohlich wirken auf das weiße Publikum! Michael Jackson ist ein Prototyp dafür.

Standard: Abschließende Frage: Vor 30 Jahren waren Musiker wie du, Wolfgang, in Saalfelden noch der Touristenschreck, angefeindet von der Bevölkerung. Heute wird das Festival vom Tourismusverband organisiert. Sagt das etwas über die Gesellschaft oder über den Status der Musik aus?

Puschnig: Das sagt über das Umfeld etwas aus und über das Verständnis. Wahrscheinlich hat man gesehen, dass damit ein Reibach zu machen ist. Damals war ja diese Festivalsache noch nicht so bekannt, es war alles ganz neu. Ich weiß nicht, ob die Gesellschaft wirklich offener geworden ist, ich glaube, dass man sich an manche Sachen gewöhnt hat. Vielleicht sehe ich das zu profan.

Muthspiel: Man könnte es auch gegen die Musik verwenden. Man könnte sagen, der Jazz hat diese gesellschaftliche Relevanz, seine künstlerische, politische und auch gesellschaftliche Sprengkraft verloren.

Puschnig: Das hat natürlich auch teilweise damit zu tun, dass er in gewisser Weise Kunststatus erreicht hat.

Muthspiel: Andrerseits ist das ein allgemeines Thema - nicht nur in allen Kunstsparten. Wo sind überhaupt noch jene, gegen die du Revolution machen könntest, in einer Gesellschaft, die alles akzeptiert? Zudem glaube ich aber auch: Vor 30 Jahren war Jazz auf dem Land in Österreich etwas Neues. Heute kannst in den hintersten Wald gehen, es wird sich keiner mehr über Jazz wundern.

(DER STANDARD/Printausgabe, 18.08.2009)

Zu den Personen:
Saxofonist und Komponist Wolfgang Puschnig (1956 in Klagenfurt geboren) ist Gründungsmitglied des Vienna Art Orchestra und einer der wesentlichen europäischen Jazzmusiker. Posaunist, Pianist und Komponist Christian Muthspiel (1962 in Judenburg geboren) ist einer der vielseitigsten heimische Musiker. Seine Werkliste umfasst u. a. ein Klavier-, ein Violin- und ein Posaunenkonzert; im Jazzbereich erarbeitete er zahlreiche interessante Projekte auch mit Bruder Wolfgang Muthspiel.