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Kino als politischer Raum: "Das Erwachen der Ratten" von Zivojin Pavloviæ (1967, oberes Bild) steht für die "schwarze Welle" im serbischen Kino, die dem kommunistischen Regime seine dunkle Seite vorführte. Emir Kusturicas "Schwarze Katze, weißer Kater" (1998, unten) nähert sich auf skurrile Weise folkloristischen Traditionen.

Fotos: Yugoslav Film Archive, EPA

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Sie hat "nichtkonformistische" Kinobewegungen in West- und Osteuropa miteinander verglichen und auf ihren politischen Gehalt geprüft.

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"Das Kino ist ein sehr privater öffentlicher Raum", ist die Zeithistorikerin Anna Schober überzeugt. "Hier erleben Menschen gemeinsam oft sehr intensive Emotionen. Zudem stellt sich die Sinnfrage immer wieder neu anhand von faszinierenden Spiegelungsfiguren." In ihrer aktuellen, vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Arbeit hat sich Anna Schober mit dem Kino als Ort politischen Handelns auseinandersetzt.

"Da Kino auf eine ganz besondere Weise Öffentlichkeit herstellt und beeinflusst, ist es auch als ein politischer Raum zu bewerten", erklärt sie. Generell spielen bei der Entstehung von Öffentlichkeit kulturelle Räume seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine zentrale Rolle. "Junge Menschen werden immer weniger über Parteien und deren Institutionen politisiert, sondern über Populärkultur und Kunst", sagt Schober.

Ziel ihrer Arbeit ist, ausgehend vom Vergleich verschiedener alternativer europäischer Kinobewegungen nach dem Zweiten Weltkrieg, ein Kapitel in der bislang noch ungeschriebenen Genealogie von Öffentlichkeit als Sphäre des Politischen vorzulegen. "Dabei ging es mir darum, nicht politische Räume und Medien im engeren Sinn zu untersuchen, sondern Orte und Bildwelten der Massenkultur wie eben das Kino", schildert Anna Schober. "Fälschlicherweise werden diese Bereiche häufig als Areale des unreflektierten Konsums und der Flucht vor politischer Verantwortung beschrieben." Durch die vergleichende Betrachtung von Kinobewegungen in West- und Osteuropa nach 1945 trage das Projekt auch dazu bei, die Unterschiede und Ähnlichkeiten in der Entwicklung von politischer Kultur in West- und Osteuropa besser zu verstehen.

Propaganda und Zensur

In Titos Jugoslawien etwa wurde das Kino nach sowjetischem Vorbild massiv zu Propagandazwecken genutzt, gleichzeitig wurde der Jugend die Möglichkeit gegeben, unzählige Kino-Clubs zu organisieren: "Mit dem Ziel, eine gemeinsame jugoslawische Kultur zu etablieren, konnten die jungen Menschen in den Kinotheken nicht nur Filme aus der ganzen Welt sehen, sondern bekamen auch etwas Geld und Material, um selber Filme zu machen", berichtet Anna Schober.

Da die heimischen Filme - oft von arbeitslosen Militärs produzierte Partisanenstreifen - wenig boten, war der ausländische Einfluss auf die jungen Filmemacher wie Zivojin Pavloviæ groß. "Dadurch kamen sie unwillkürlich mit dem Regime in Konflikt, das die düsteren Filme der sogenannten ,Crni Talas' (schwarze Welle) oft als 'bürgerlich-dekadent' abtat", beschreibt Schober. Deshalb verschwanden auch immer wieder Filme "im Bunker", und wenn die Selbstzensur nicht ausreichte, konnte es auch zu (impliziten) Berufsverboten kommen.

Im Westen wurde das Kino nach 1945 nicht von der Staatsmacht, sondern von vielen unterschiedlichen Interessengruppen vereinnahmt: "Die noch von den Nazis aufgebauten Strukturen wurden von den Alliierten ebenso benutzt wie von der Kirche, der Gewerkschaft oder der Industrie", erklärt die Historikerin.

Aus diesem Boden wuchs in Österreich und Deutschland Mitte der 1960er-Jahre das von Aktivismus geprägte "Expanded Cinema", dessen Vertreter (etwa Valie Export und Peter Weibel) ebenso wie die jungen jugoslawischen Filmer stark vom amerikanischen Untergrundkino sowie vom zeitgenössischen französischen und italienischen Kino beeinflusst waren. Zwar haben sich diese Gruppen vom explizit politischen Kino der linken "K-Gruppen" abgegrenzt, "politisch waren sie aber insofern, als sie die vorherrschenden Ideologien - ebenso wie die Filme der "Crni Talas" - herausforderten und andere Sinnsetzungen etwa in Bezug auf Sexualität oder politisches Engagement anboten", sagt die Historikerin.

Was ist aus diesen "oppositionellen" Kinogruppen nach ihrer Blütezeit in den 1960er- und 70er-Jahren geworden? Hat das Kino seine politisierende Kraft mittlerweile eingebüßt? "Das Kino ist heute immer noch ein Ort, wo sich marginalisiert fühlende Gruppen rasch und effektiv öffentliche Präsenz erzeugen können", ist Anna Schober überzeugt.

"Die beschriebenen frühen Kinobewegungen sind Vorläufer unter anderem des ethnischen Minderheitenkinos - also des türkischen, kurdischen, iranischen, jüdischen oder palästinensischen Kinos in Europa, das sich seit den 1980er- Jahren entwickelt hat. Auch die feministische oder die Schwulen- und Lesbenfilmszene hat sich in dieser Zeit etabliert."

Krieg und Folklore

Generell lasse sich auch im Kinobereich eine "Wiederentdeckung der Differenz" beobachten. Wie sich diese in den verschiedenen europäischen Ländern filmisch ausdrückt, war eine zentrale Frage in Schobers Arbeit: "In Jugoslawien ist die Thematisierung von Differenz im Zusammenhang mit den Kriegen und ethnischen Säuberungen besonders brisant", weiß Schober. Seit den 1980er-Jahren findet auch im Kino ein vehementer Bezug auf folkloristische Traditionen und eine Auseinandersetzung mit dem ambivalenten Erbe des Titoismus statt, wie in einigen Filmen des in Sarajewo geborenen Regisseurs Emir Kusturica deutlich wird.

"Zugleich entstand eine erneuerte Form des Kinoaktivismus wie etwa das 'Trash Film Festival', wo man mit billig produzierten, humorvollen Kurzfilmen versuchte, den Kriegsalltag zu meistern", erläutert die Historikerin. Auch heute noch spielt das Kino in dieser Region eine wichtige Rolle bei der kollektiven Verarbeitung des Krieges - und orientiert sich nach wie vor oft am europäischen Autorenkino und amerikanischen Independents. (Doris Griesser/DER STANDARD, Printausgabe, 19.8.2009)