Bild nicht mehr verfügbar.

September 1939: Die deutsche Reichskriegsflagge wehte nach dem Angriff auf Polen auf der Westerplatte.

Foto: AP

Was wird Wladimir Putin am 1. September auf der Westerplatte im polnischen Danzig sagen? Was Angela Merkel? Polens Politiker und Publizisten fürchten, dass die Regierungschefs Russlands und Deutschlands die Geschichte fälschen und den 1939 gemeinsam geplanten Angriffskrieg gegen Polen abstreiten könnten.

Die Angst ist berechtigt, zumindest wenn es um Russland geht. In den vergangenen Wochen warfen russische Historiker und Publizisten Polen vor, den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs geradezu provoziert zu haben. Noch 1938 hätten sie mit Hitler paktiert. Gegen Stalin und die Sowjetunion.

Zwar protestierten in Deutschland rund 140 Intellektuelle gegen diese absurden Vorwürfe und riefen in Erinnerung, dass für die Staaten Mittelosteuropas der Krieg 1945 noch nicht zu Ende war, sie ihre Unabhängigkeit erst 1989 wiedergewannen. Doch in Polen konnte die Entschuldigung der Intellektuellen für den deutsch-russischen Angriffskrieg und ihr Dank für die polnische Freiheitsbewegung Solidarnoœć kaum beruhigen.

Polens Teilungen

Die Furcht vor "den Deutschen" und "den Russen" sitzt tief, nachdem schon im 18. und 19. Jahrhundert Deutsche, Russen und Österreicher Polen dreimal unter sich aufteilten, so lange, bis von Polen auf der Landkarte Europas nichts mehr übrig war. Zwar erstand das Land an der Weichsel nach dem Ersten Weltkrieg von neuem. Doch mit dem Hitler-Stalin-Pakt vom 23. August 1939 beschlossen Deutschland und Russland den nächsten Krieg gegen Polen und seine vierte Teilung. Die polnische Regierung wollte die Gedenkfeier zum 70. Jahrestag des Kriegsausbruchs besonders groß begehen. Eingeladen wurden Staatspräsidenten und Premierminister. Große Hoffnung setzten die Polen darauf, dass neben Merkel und Putin auch US-Präsident Barack Obama, Nicolas Sarkozy aus Frankreich und Gordon Brown aus Großbritannien anreisen würden. Doch der Rang der 22 Gäste, die am Ende ihr Kommen zusagten, blieb unter den Erwartungen Polens. "Die Feinde kommen, die Alliierten nicht unbedingt" , titelte denn auch ironisch die konservative Tageszeitung Dziennik. Mit den "Feinden" sind die Russen und die Deutschen gemeint.

Zwar gilt der Angriff des Kadetten-Schulschiffs "Schleswig-Holstein" am 1.9.1939 auf die Westerplatte in Danzig als Beginn des Zweiten Weltkriegs. Doch noch bevor "ab 5.45 Uhr zurückgeschossen" wurde, wie Adolf Hitler im Reichstag brüllte, machten Sturzkampfflugzeuge (Stukas) die Kleinstadt Wielun an der deutsch-polnischen Grenze dem Erdboden gleich. Die Nazis vertuschten später diesen Terrorangriff auf die Zivilbevölkerung Polens, da er eklatant gegen die Haager Landkriegsordnung von 1907 verstieß.

Am kommenden Dienstag, dem 1. September, sollen auf der Westerplatte um 4.45 Uhr erneut die Sirenen heulen. Nach Trommelwirbel und dem Aufmarsch polnischer Soldaten werden Polens Staatspräsident Lech Kaczyñski und Premier Donald Tusk im Fackellicht an die ersten Schüsse der "Schleswig-Holstein" erinnern und an die heldenhafte, eine Woche dauernde Verteidigung der Halbinsel vor Danzig gegen die deutsche Übermacht. Die Hauptveranstaltung mit den internationalen Gästen findet dann erst gegen Mittag in Danzig statt. (Gabriele Lesser aus Warschau/DER STANDARD, Printausgabe, 29.8.2009)