Masao Obata: fasziniert von der Liebe.

Foto: Collection de l'art brut

Wien - "Es gibt genauso wenig eine Kunst von Geisteskranken wie eine Kunst von Magen- oder Kniekranken." Jean Dubuffet wehrte sich zeit seines Lebens gegen Versuche, den von ihm eingeführten Begriff der "Art Brut" an der physischen Verfassung der Künstler festzumachen, ihn lediglich als salonfähige Alternative zur Formulierung "Bildnerei der Geisteskranken" zu verstehen. Dubuffet versammelte unter dem Gütesiegel der Art Brut das ungezähmte, unbeschönigte und unbeeinflusste kreative Werk von gesellschaftlichen Außenseitern und unangepassten Sonderlingen - auch jenes der psychisch Kranken. Und er sammelte es.

15.000 Objekte zählte Dubuffets Sammlung, als er sie 1975 der Stadt Lausanne schenkte: Diese Collection de l'art brut wächst seither kontinuierlich und ermöglicht international Ausstellungen, so auch Art Brut aus Japan im Kunsthaus Wien. Die Präsentation spiegelt die Recherchen des Lausanner Museums wider.

In der auf Effizienz ausgerichteten japanischen Gesellschaft ist für Abweichler generell kein Platz, erklärt Kurator Lucienne Peiry. Vor dem Hintergrund normierter Kultur und der Dominanz des Kollektiven erscheinen Extravaganz und Individualität der Art-Brut-Künstler umso radikaler.

Vorgestellt wird etwa Eijira Miyama, der unweigerlich an den legendären Wiener Waluliso erinnert: Geschmückt wie ein Weihnachtsbaum unternimmt er performative Ausflüge, um Botschaften von Frieden und Brüderlichkeit unters Volk zu bringen.

Auch bei den japanischen Vertretern dieses faszinierend unverfälschten Kunstschaffens beeindruckt die Beharrlichkeit, mit der sie ihre Arbeit verfolgen: Masao Obata sammelt Pappkartons und versieht diese mit ornamentalen Variationen zur Liebe zwischen Mann und Frau. Einst häufte er sie so lange unter seiner Matratze an, dass ihm kaum Platz zum Schlafen blieb.

Dicht bedruckte Zeitungsseiten bilden Hintergrund und Rhythmus für Yoshimitsu Tomizukas komplexe Erzählungen. Und Yuji Tsuji weiß mit seinen kleinteiligen Stadtansichten ebenso zu beeindrucken wie Hidenori Motooko, der alle Züge, die er kennt, auf einem Blatt Papier vereinen möchte:Derartig komprimiert gleichen die bunten Loks eher einer Käfersammlung. Aufschlussreich auch die kurzen Videoporträts. Wer allerdings des Japanischen oder Französischen nicht mächtig ist, muss auf die Kraft der Bilder vertrauen. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD/Printausgabe, 01.09.2009)

Bis 18. 10.