Funny van Dannen: "Saharasand"
14 Jahre ist es mittlerweile her, dass Funny van Dannen mit seiner Klampfe das Rampenlicht enterte, um mit "Als Willy Brandt Bundeskanzler war" das Lebensgefühl der Generation Nostalgie zu verarschen und gleichzeitig auf den Punkt zu bringen. Seitdem hat sich der Deutsch-Niederländer durch jede erdenkliche Herzscheiße gewühlt, seine musikalische Ausdrucksform gefunden und perfektioniert. Auf seinem aktuellen Album singt er darüber, wie es ist, beim Orgasmus "Sozialismus!" zu rufen oder der High Society mit der Katzenpissepistole zu Leibe zu rücken. Mit Bezug auf boomende Schlagzeilen fragt er gallig, ob religiöse Gefühle verletzlicher seien als andere - aber auch, ob es nicht schön ist, seine Seele gekannt zu haben, bevor sie wieder weiterwandert ("Innehalten"). Und wieder sind es die melancholischen Stücke wie das vom Unzufriedensein im Glück ("Wenn die Straße ein Fluss wäre"), die über die "Funnies" hinaus länger nachwirken. - Den idealen Refrain fürs Wien-Konzert Ende November hat er übrigens auch gefunden: Scheißjugendstil! (JKP/Warner)

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Funny van Dannen

Coverfoto: JKP/Warner

Ja, Panik: "The Angst And The Money"
 Wer traut sich jetzt, wer reißt hier noch was rum? Die Wellen, die das vorjährige Album nicht zuletzt in Deutschland schlug (passiert einer österreichischen Band ja nicht alle Tage), haben mich zugegebenermaßen etwas überrumpelt. Spätestens mit dem in Kürze erscheinenden - sehr, sehr, sehr guten - dritten Album "The Angst And The Money" beweisen Ja, Panik allerdings, dass ihr Ruf gerechtfertigt ist. Zum einen meistern sie den unendlich schwierigen Balanceakt, ihre Texte gerade soweit zu codieren (eigentlich ja: kompilieren), dass sie zwischen und über den Abgründen Plattheit und Geschwurbel souverän drauflosstürmen. Und musikalisch setzen sie so gekonnt auf Tempowechsel und spontane Energieentladungen, dass die entstehende Dynamik jeden Gedanken an kompositorische Konstruktion vergessen lässt; so exakt sie unverkennbarerweise auch ist. Bei Songs wie "Die Luft ist dünn", "Pardon" oder "Alles hin, hin, hin" fragt man sich, warum die bisher niemand geschrieben hat - aber bitte, hier sind sie endlich. Es wird bald alles uns gehörn! Kann schon sein: "The Angst And The Money" ist gut und gerne die beste deutschsprachige Rock-Platte, die heuer erscheinen wird. (Schönwetter Platten/Hoanzl)

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Ja, Panik

Coverfoto: Staatsakt/Schönwetter Schallplatten

Hope Sandoval & The Warm Inventions: "Through the Devil Softly"
Niemand raun(z)t so begnadet wie Hope Sandoval - egal ob sie es mit ihrer alten Band Mazzy Star oder für die Chemical Brothers tat (was im schönsten Werbespot aller Zeiten mündete). Oder für ihr eigenes Projekt The Warm Inventions, das sie gemeinsam mit Colm Ó Cíosóig von My Bloody Valentine betreibt. Auf deren zweitem Album gibt sie in Songs wie "Blanchard" oder "Trouble" wieder mit Hingabe das Schokoladenstück, das unter einer großen orangen Westernsonne dahinschmilzt, schaut den Kondensstreifen eines Air France-Jets nach ("Sets the Blaze") oder vergießt ein paar hinreißende Krokodilstränen ("For The Rest Of Your Life"). Und ergeht sich insgesamt einfach in herrlicher Trägheit. - Hopes Statements über ein neues Mazzy Star-Album (nach jetzt schon 13 Jahren!) sind zwar kaum glaubhafter als die ewigen Gerüchte über ein neues Werk von My Bloody Valentine - aber spannend wäre es doch zu hören, wie sich die Soundentwürfe ihrer verschiedenen Inkarnationen voneinander unterscheiden. (Nettwerk/Soulfood)

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Hope Sandoval

Coverfoto: Nettwerk

Curbs: "The City of Dreaming Spires"
Spätestens mit Naked Lunch ist der Mut zum Panorama-Arrangement in Österreich eingekehrt. Das tut auch dem Rock mit 60er-Jahre-Bezug gut, der allzu oft auf der Kumpel- und Rumpelschiene bleibt und die betreffenden Bands nicht über Party-mit-Freunden-Dimensionen hinauskommen lässt. Die Wiener Curbs haben sich ein Herz für Größeres gefasst und als Produzenten Mark Gardener von den einstigen Britrockern Ride engagiert (Prä-Oasis-Ära; ja, da gab es auch schon Leben, und es sah besser aus). Dessen Einfluss scheint am stärksten in den langsameren Stücken durchgeschlagen zu haben, jedenfalls erinnern die an Gardeners tolles 2006er Album "These Beautiful Ghosts". - Zwar gibt es auch auf  "The City of Dreaming Spires" Come on!-rufende Gutelaunenummern, doch es sind Breitwandepen wie "High Times" oder "Spare Parts", die das dritte Album der Curbs richtig gut machen. (Pate Records)

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Curbs

Coverfoto: Pate Records

Mediengruppe Telekommander: "Einer muss in Führung gehen"
What's. That. Noise?! Es ist das Deutsch-Österreichische Frustgefühl von Florian Zwietnig und Gerald Mandl, die auf ihrem dritten Album einmal mehr die Grenze zwischen privat und politisch in Scherben schmettern. Musikalisch decken sie eine ziemliche Bandbreite zwischen Rock und Elektro ab und haben die einzelnen Tracks auch so aneinander gereiht, dass möglichst viel an Abwechslung entstehen kann. Rein melodisch kann das natürlich nicht vollzogen werden, da wie gehabt nicht gesungen, sondern in der Endlosrille skandiert wird. Das soll die Qualität der einzelnen Tracks nicht in Zweifel ziehen - eher stellt sich einmal mehr die Frage, ob ein Album die ideale Form für die Mediengruppe ist ... schwebt das Langformat doch stets in der Gefahr zum Parolen-Medley zu gerinnen. Nichtsdestotrotz lohnt das Durchhören, denn mit "Notausgang" kommt ganz am Schluss noch einmal ein perfekt gelungener Kracher. (Staatsakt/Hoanzl)

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Mediengruppe Telekommander

Coverfoto: Staatsakt

Zoot Woman: "Things Are What They Used To Be"
Nach dem Millennium waren sie das Flaggschiff des 80ies-Revivals: Keine, die auf der Welle surften, sondern die, die sie ausgelöst hatten. Dann verlagerte Stuart Price fatalerweise seine Prioritäten darauf, für Madonna (dann die Killers, jetzt auch noch die Scissor Sisters) den Produzenten zu geben, und Adam & Johnny Blake blieben allein zuhaus. Serielle Festival-Auftritte konnten das Ausbleiben eines neuen Tonträgers nicht kompensieren und jetzt, wo er nach sechs(!) Jahren wirklich erscheint, kräht kein Hahn mehr danach. Schade, denn immer noch glänzen Zoot Woman mit unwahrscheinlicher Eleganz in der Verbindung von Saiten und Synthesizern. Songs wie "Saturation" oder das 2007 erstmals veröffentlichte "We Won't Break" stehen einstigen Glanztaten à la "Living In A Magazine" oder "Grey Day" kaum nach. So hängt der Ruch einer großen verpassten Chance in der Luft - der knackigste Track heißt bezeichnenderweise: "Memory" ... (Universal)

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Zoot Woman

Coverfoto: Snowhite/Universal

Riechmann: "Wunderbar"
Er ist ein Model, und er sieht gut aus. - Ungefähr in diesem Look stellten sich auch Zoot Woman zu Beginn auf die Bühne. Das Coverfoto von "Wunderbar" stammt aber noch aus dem Jahrzehnt vor ihren Bezugsquellen: 1978 erschien die einzige Platte Wolfgang Riechmanns aus Düsseldorf, dem Umfeld von Kraftwerk und Conny Plank. Riechmann selbst sollte die Veröffentlichung seines Solo-Debüts allerdings nicht mehr erleben: Er wurde Opfer gewalttätiger Besoffener - und das nun auf Bureau B wiederveröffentlichte "Wunderbar" wird damit zu einem der vielen "Was wäre gewesen, wenn ..."-Fälle der Musikgeschichte. Einmal mehr zeigt sich freilich, wie nahe A (wie Anspruch und Avantgarde) und K (wie Kitsch und potenzielle Kommerzialisierbarkeit) beisammen liegen, wenn man einen Sound mit mehreren Dekaden Abstand hört. Allmählich erschließt sich die Qualität der Kompositionen, zunächst klingt es aber einfach nur ultratypisch 70er Jahre, wie sich hier Welle für Welle die Synthesizer-Fluten aus den Lautsprechern ergießen. Mit einem leicht öligen Schimmer obendrauf. (Bureau B/Hoanzl)

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Bureau B

Coverfoto: Bureau B

Múm: "Sing Along to Songs You Don't Know"
Das blauäugige Titelmotto scheint angemessen für eine Band, die sich in Album-Credits schon mal dafür entschuldigt hat, eine Nähmaschine stibitzt zu haben, und die hier unter anderem die liebevolle Einladung Blow your nose right on my sleeve ausspricht. Die Band aus Island hat ihren ursprünglichen Indietronica-Sound längst um Scharen von Instrumenten wie Geigen, Marimbas, eine Ukulele und einen Dulcimer (klingt wie ein Einbruchdiebstahl in Patrick Wolfs Keller ...) angereichert. Heute sind sie neben Kollegen wie Seabear typische Vertreter von Islands folkiger Generation der Niedlichen.  -  Ein entscheidender Unterschied zu früher ist auch, dass - siehe Titel - nicht mehr gemurmelt und gewispert wird, sondern mehrkehlig gesungen - und das deutlich in den Vordergrund gemischt. Ein paar der Mitsing-Melodien ("If I Were A Fish", "Sing Along", "Hullaballabalú") sind übrigens nicht nur supereingängig, sondern klingen irgendwie auch verdächtig nach raffiniertem Klau. Schon wieder ... Múm sind einfach auf kriminelle Weise gut. (Morr/Hoanzl)

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Múm

Coverfoto: Morr

Willie Nelson: "American Classic"
Als großer  Fan von Neuinterpretationen alter Standards - alles von sagen wir Gershwin bis Bacharach - musste ich mich natürlich darauf stürzen, wenn der Eldest Statesman des Country sich an mondäne Klassiker wie "Fly Me To The Moon" oder "Ain't Misbehaving" heranmacht; jazzig umspült von Orchesterklängen. Es fällt zwar etwas schwer, sich Willie Nelson im zum Sound passenden Smoking vorzustellen (dann schon eher im Cocktailkleid), und die Kavaliersworte Your hair looks swell klingen aus seinem Munde einfach goldig. Aber ganz so kauzig ist die Kombination gar nicht - immerhin veröffentlichte Nelson 1978 mit "Stardust" schon mal ein ganz ähnlich geartetes Album, und das verkaufte sich wie geschnitten Brot. Nelsons charakteristischer etwas jeiernder Gesang geht erstaunlich gut in den Songs auf (die ohnehin perfekt komponiert waren und durch eine technisch ebenso perfekte Stimme eher verlieren als gewinnen würden). Man könnte auch sagen: Er verleiht ihnen Seele. (Blue Note/EMI)

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Willie Nelson

Coverfoto: Blue Note/EMI

Wild Beasts: "Two Dancers"
Sie mögen offiziell ja immer noch als "Indierockband" laufen, aber mit dem zweiten Album hat das in Leeds ansässige Quartett die Grenze in Richtung (New) New Romantics weit überschritten. Und das weckt Assoziationen an: Haircut 100. Culture Club. Und wenn man Hayden Thorpes Flirt mit Stimmhöhenlagen miteinrechnet, vielleicht auch an Bronski Beat (respektive für Kurzzeitgedächtnisse: Antony). Somit führen die Wild Beasts ihren Namen ad absurdum und lassen keinen Zweifel mehr daran, wo ihre musikalische Ahnentafel fußt: Nämlich in der letzten Epoche, in der der Pop noch die Dominanzstellung gegenüber der Föderation Dancefloor hielt. - Ganz retro ist der Sound freilich auch nicht und bringt daher Bass- und Drum-Präsenz in der heute erforderlichen Stärke ein. Die richtige Platte für alle, denen Empire of the Sun zu aufgedunsen sind. (Domino/Hoanzl)

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Wild Beasts

Coverfoto: Domino