Hall in Tirol - Die internationalen Literaturtage Sprachsalz machen es ihren Besuchern nicht leicht - und das im guten Sinn. Denn es kann schon vorkommen, dass in der brechend vollen ehemaligen Wäscherei des psychiatrischen Krankenhauses von Hall in Tirol der ukrainische Autor Andrej Kurkow und der Schweizer Alex Capus gemeinsam aus ihren Texten lesen, während zeitgleich im ebenfalls vollen großen Saal des Parkhotels Juri Andruchowytsch aus Lemberg, die deutsche Schriftstellerin Katja Lange-Müller und der große ungarische Autor Péter Nádas vortragen.

Es kann hier aber auch passieren, dass Helmuth Schönauer, der gerichtsbekannte (Beleidigung von Bundeseinrichtungen) Off-Roader der Tiroler Literatur auf der Terrasse aus seinem Tiroler Kamasutra liest, während am Patscherkofel ein Gewitter aufzieht. Oder die junge Wiener Autorin Anna Kim über das Vermissen, den Verlust und die Recherche für ihren beeindruckend präzisen Roman Die gefrorene Zeit spricht, in dem ein Kosovo-Albaner im Balkan-Krieg nach seiner verschollenen Frau sucht. Oder der unvergleichliche Gerhard Rühm am Samstagabend mit seiner kongenialen Partnerin Monika Lichtenfeld sprachlich Foxtrott, Tango und Wiener Walzer tanzt.

Es gehört nicht zu den geringsten Verdiensten dieses Festivals, den schmalen Grat zwischen Literatur und Event, zwischen Autorenschauen und Sprachvermittlung nicht nur relativ souverän zu bewältigen, sondern - bei durchgängig freiem Eintritt - auch ein Programm zu bieten, das immer wieder Namen enthält, die man nicht oder kaum kennt.

Jenen des bildenden Künstlers Pavel Schmidt etwa, der mit seinen sprachkritischen, manchmal auch aphoristischen Kurztexten ("Er scheitert am Denken, aber es scheitern auch solche, die nicht denken") überraschte.

Die Entdeckung dieser Literaturtage war zweifellos der Berner Autor Franz Dodel, der sich der streng gebauten lyrischen Miniatur Haiku (drei Zeilen, 5-7-5 Silben) verschrieben hat und seit sieben Jahren im Internet einen Endlos-Haiku verfasst.

Teile davon wurden vergangenes Jahr unter dem Titel Nicht bei Trost im Wiener Verlag Edition Korrespondenzen publiziert - und als eines der schönsten Bücher Österreichs ausgezeichnet. Schön und philosophisch sind freilich auch die Inhalte dieser Haikus über das Denken, das Fühlen, unser Sein und eine Zeit, über die sich zuweilen "das Löschblatt der Stille" zu breiten lohnt.

Kommendes Jahr findet Sprachsalz vom 9. bis 11. September statt. Ein Termin, den man sich im Kalender vormerken sollte. (Stefan Gmünder/DER STANDARD, Printausgabe, 14. 9. 2009)