Birgit Schwarz schaute sich "das Große und Ganze" an und fand heraus, welche Kunst Hitler interessierte - und warum.

 

 

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Am Samstag hält Schwarz einen Vortrag in Lech.


Intuitiv, fantasievoll und kühn: So sah die ihn bewundernde Entourage Adolf Hitler. Und so sah er sich auch selbst, als genialen Feldherren, Architekten und Künstler. Der Geniewahn des "Führers" ist für Birgit Schwarz der rote Faden durch seine Biografie, von der frühen Lektüre in Linz und den ersten Malversuchen in Wien bis zum Ende im Berliner Bunker.

Die in Deutschland geborene und in Wien lebende Kunsthistorikerin recherchierte zunächst nur über die Arbeit jenes Mannes, der die Kunst für das von Hitler in Linz geplante Museum zusammenstellte. Dabei fiel ihr auf, dass der Auftraggeber nach keinem erkennbaren Muster Bilder kaufte bzw. enteignen ließ. "Alle machten Provenienzforschung am Einzelobjekt, aber keiner guckte sich das Große und Ganze an." Schwarz guckte und fand den gemeinsamen Nenner. Ob Böcklin, Waldmüller oder Feuerbach, immer wieder waren es antiakademische, verkannte Künstler, die Hitler bevorzugte.

Es war, so Schwarz, die eigene Geschichte, die Hitler bestätigt sah. Es gebe weniger einen Bruch (statt erfolgloser Aquarellist erfolgreicher Politiker), vielmehr eine Kontinuität (im Grunde immer schon mehr gekonnt als alle anderen). Das ist die Hauptthese ihres soeben erschienenen Buches Geniewahn: eine kunstgeschichtliche Arbeit, die genaue Rekonstruktion der Gemäldeausstattungen von Hitlers Residenzen und seinem (geplanten) Museum, versehen mit fast eintausend Fußnoten. Die weiterführenden Erkundungen - zu Hitlers Gewichtung von Kunst und Politik, zu den Vergleichen mit Philosophen und Staatsmännern, zu seinen immer abgehobeneren Zukunftsstrategien - machen das Werk auch für Nichtfachleute spannend.

Geschichtsbestimmend ist für Birgit Schwarz, wie Hitlers Karriere aus der damaligen Zeit heraus zu verstehen ist. Sie beschreibt den Hypernationalismus und den Geniekult jener Jahre. "Es stellt sich die Frage, woher Hitler in Linz sein Wissen über die Kunst bezogen haben kann", die Spuren führen zu Zeitschriften in Bibliotheken, "die damals so was von geniebesessen waren, dass man das gar nicht glauben will". So entstand in Hitler eine Überzeugung, die durch widrige Erfahrungen nur bestätigt werden konnte; und er vergleich sich bald mit Wagner und noch mehr mit Schopenhauer, bei dem Erfolglosigkeit geradezu Programm geworden und der selber jahrzehntelang vergessen war.

Der Hitler-Mythos-Autor Ian Kershaw sah den genannten Bruch zwischen Künstler und Politiker, "wahrscheinlich, weil er als englischer Historiker mit dieser spezifisch deutschen, romantischen Genie-Vorstellung nicht viel anfangen konnte". Und Joachim Fest, dem diese Vorstellung durchaus nahe war, habe Hitlers Genie-Anmaßung lediglich abgewehrt, anstatt sie kritisch zu hinterfragen bzw. zu dekonstruieren. Schwarz hingegen kann mit ihrer Deutung des Führer-Selbstbildes ein stimmiges Narrativ auch ansonsten unverständlicher Entwicklungen geben.

So habe Hitler gegen Ende durchaus Realitätssinn gehabt; neue Forschungen bestätigen das. Um sich vorgaukeln zu können, dass doch nicht alles verloren sei, brauchte er die stundenlangen Betrachtungen seiner Museumsmodelle; sie bestätigten ihn in der Pose dessen, der schopenhauerisch "rein kontemplativ" in höheren Sphären schwebte. Aus solchen Beobachtungen folgt für Schwarz keine Umdeutung des Dritten Reiches - ohne den Geniewahn allerdings hätte der Krieg früher beendet werden können. (Michael Freund / DER STANDARD, Printausgabe, 17.9.2008)