Foto: Viennale

Komische Realitätsabgleichung: Dex Shepard (li.) und Luke Wilson in "Idiocracy" (Bild oben)  und die Riesenameise aus Joe Dantes "Matinee" (Bild unten).

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Komödien, die mit Humor gegen soziale Konventionen antreten.

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Wien - Fluchtpläne sollte man gründlich schmieden. Das wohlhabende Ehepaar aus Lost in America (1985) schert aus seinem Leben aus, die beiden setzen sich in ihren Winnebago, also gerade in ein Wohnmobil, um noch einmal den alten Traum der Freiheit zu leben. Sie haben genug Geld, um den Rest ihres Daseins unterwegs zu sein - bis sie im Kasino ihr Vermögen verspielen. Die Konsequenz: Erstmals müssen sie sich mit einer Realität konfrontieren, die ihnen bisher völlig fremd war. Wie erklärt man dem Arbeitsamt, dass man seinen 100.000-Dollar-Job verließ, weil man sich selbst finden wollte?

Albert Brooks' Lost in America ist ein schönes Beispiel für die diesjährige Viennale-Retrospektive im Filmmuseum: Unterschiedliche Gesellschaftsschichten und die entsprechenden Denkmodelle treten hier auf hochkomische Weise miteinander in Konflikt. The Unquiet American, so der Titel der Schau, hat eine amerikanische Komödie im Sinn, die über transgressives Potenzial verfügt - über ein Maß an Ungezähmtheit, das sich gegen verbürgte soziale Konventionen richtet oder deren Doppelbödigkeiten entlarvt (und sich damit als gesellschaftskritischer erweist als so manches seriöse Drama).

Kuratiert wurde die Schau vom arrivierten US-Filmkritiker Jonathan Rosenbaum, der eine sehr persönliche Auswahl getroffen hat. In der Regel bevorzugt er das Marginalisierte gegenüber dem Kanonisierten: Der immer noch zu wenig bekannte Brooks, zwei Filme von Elaine May, Raritäten wie William Kleins Mr. Freedom (1969) ("the most anti-american movie ever made" ) oder Jim McBrides mit einem großen X versehene Sexkomödie Hot Times (1974).

Manch ein populärer Repräsentant wie Charles Chaplin, Woody Allen, John Belushi oder Jim Carrey fehlt zur Gänze. Von klassischen Hollywood-Regisseuren wie Billy Wilder finden sich dafür weniger bekannte Arbeiten wie Kiss Me, Stupid (1964), der ob seiner Freizügigkeit und scharfen Kritik verlogener Kleinstadtmoral seinerseits verrissen wurde.

Neues Bettgeflüster

Zeitgenössische Arbeiten gibt es nur wenige in der Retrospektive, umso markanter stechen zwei Entdeckungen hervor. Peyton Reeds Down With Love (2003) und Idiocracy (2006) von Mike Judge denken in konträren zeitlichen Ausrichtungen über kulturelle Ungleichgewichte im gegenwärtigen Amerika nach. Der Fluchtpunkt von Down With Love ist die Vergangenheit der 50er- und 60er-Jahre, konkret Komödien wie Bettgeflüster (1959) mit Rock Hudson und Doris Day, deren fragwürdige Geschlechterpolitik er radikalisiert und auf den Kopf stellt.

Ewan McGregor spielt den Journalisten und Frauenhelden Catcher Bock, Renée Zellweger Barbara Novak, eine Autorin aus der Provinz, die zum Synonym für ein neues, emanzipiertes Frauenbild wird. Block gerät durch Novaks Bestseller derart in die Defensive, dass er zum Gegenschlag ansetzt. Er möchte beweisen, dass selbst in der karrierebewusstesten Frau noch die Sehnsucht nach romantischer Erfüllung schlummert.

Nicht nur die Erzählung, die mit zahlreichen Überraschungscoups aufwartet, bürgt für eine aufgekratzte Stimmung. Die Settings sind betont künstlich gehalten, die Darsteller bewegen sich nahezu wie Marionetten - mit solchem inszenatorischen Überschwang bricht der Film die berechenbar biedere Enge des Originals auf.

Wo Down With Love eine unschuldige Utopie entdeckt, da beschwört Idiocracy eine Zukunft herauf, in der sich die Menschheit nachhaltig zum Schlechten gewendet hat. Mike Judge schickt Luke Wilson ins Jahr 2505, wo er sich in einem Amerika wiederfindet, in dem der durchschnittliche Intelligenzquotient auf Beavis-und-Butt -Head-Niveau (auch eine Judge-Erfindung!) gesunken ist. Sprache ist zu primitiven Slangs verkümmert, im Kino laufen Filme, die 90 Minuten lang nur einen Arsch zeigen, und die Felder sind unfruchtbar, weil sie mit Energydrinks bewässert wurden. Wilson, den alle "Not Sure" nennen, soll als gescheitester Mensch der Welt Hilfe leisten.

Eine Dystopie der Dummköpfe, die im Grunde nur eine Evolutionsgeschichte aktueller Fehlleistungen ist. An Idiocracy zeigt sich auch das ganze Potenzial der Ekelkomödie - ein Fach, dem Rosenbaum in seiner Schau eher wenig Platz einräumt. Sie stellt bevorzugt die triebhafte Natur des Menschen aus oder gewinnt aus der Überschreitung körperlicher Tabus ihre Kraft. Idiocracy treibt dieses Prinzip der Veräußerlichung auf die Spitze. Es gibt keine Wände mehr einzureißen. Der Amerikaner ist hemmungslos laut wie noch nie. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD/Printausgabe, 07.10.2009)