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"Es mag banal klingen, aber wer nicht lobt wird auch nicht geliebt. Und wo keine Liebe ist, ist auch keine wirkliche Bindung."

Foto: AP/Frank Augstein

STANDARD: Frau Scheitler, wird über das Fordern das Loben und Anerkennen im Unternehmensalltag vergessen? 

Scheitler: Die Gallup-Studie 2008 zeigt: Nur jeder fünfte Arbeitneh-mer erklärt, dass für gute Arbeit Lob und Anerkennung ausgesprochen wird. Fast sieben von zehn beanstanden, dass bei der Arbeit das Interesse an ihnen als Mensch fehlt. Drei Viertel der Arbeitnehmer kritisieren, dass ihnen kein regelmäßiges Feedback über ihre Fortschritte bei der Arbeit gegeben wird. Das spricht doch für sich. 

STANDARD: Wo liegt das Problem?

Scheitler: In der brisanten, aber in ihrer Brisanz nicht erkannten Verquickung zweier Faktoren: 1. wird zu viel als selbstverständlich angesehen, und 2. wird in der Arbeitskraft zu wenig der Mensch gesehen. Was genau ist denn Lob? Die Anerkennung einer Leistung? Oder die Anerkennung bestimmter Eigenschaften und Verhaltensweisen einer Person? Lob und Anerkennung sollten sich auf beides beziehen. Doch im Arbeitsalltag geht es nahezu nur um die Anerkennung einer Leistung. Und fatalerweise wird diese gute Leistung meistens als Selbstverständlichkeit gesehen. Verhaltensdevise: „Wenn ich nichts sage, ist es in Ordnung." Nein, dann ist es eben nicht in Ordnung, liebe Chefs. Die Gallup-Studie legt das doch offen.

STANDARD: Weshalb ist das fatal?

Scheitler: Weil Lob und Anerkennung in ihrer doppelten Zielrichtung - a) im Blick auf die unmittelbare, erkennbare Leistung und b) im Blick auf die Dauerhaftigkeit dieser Leistung und damit auf konkrete Eigenschaften und Verhaltensweisen - hochwirksame (Leistungs-) Stimulantien sind. Jeder erfahrene Praktiker weiß: Das berühmte „gute Wort" zur rechten Zeit bewirkt meist erheblich mehr als all die hochgestochenen akademischen Führungs- und Leistungsanreizsysteme. Formalismen allein und ihre sture Einhaltung führen zu Bürokratie, aber nicht zu der heute mehr denn je ausschlaggebenden Aufgeschlossenheit und Flexibilität im Denken, Handeln und vor allem dem situativen Reagieren. Gerade in der aktuellen Situationsbewältigung, zum Beispiel im Umgang mit Kunden, wird enorm viel Porzellan zerschlagen, andererseits aber auch so manches Eisen in letzter Minute aus dem Feuer geholt. Wettbewerbsstärke, das wird immer wieder vergessen, ist in einem beträchtlichen Ausmaß die hohe Kunst der kreativ-überlegten Bewältigung sich aktuell stellender Situationen. 

STANDARD: Also weniger auf Führungstechniken und mehr auf Verhaltenswirkung setzen?

Scheitler: Das wäre mein Rat. Unternehmer wie Führungskräfte sollten mit ihrem unmittelbaren Verhalten punkten, anstatt sich hinter immer neuen Führungsmo-dellen und -tools zu verschanzen und in einer falschen Sicherheit zu wiegen. Nicht selten sind Managementtechniken und -tools eher Hindernisse auf dem Weg zum Erfolg als Erfolgsbeschleuniger. Führen nach Rezeptbuch ist kein Erfolgsrezept, sondern bewirkt eher das genaue Gegenteil, weil über all den Rezepten und dem entsprechend hölzernen Vorgehen der Mensch mit seinen elementaren Bedürfnissen zu kurz kommt. Wenn Sie so wollen: weil dadurch ganz viel unmittelbare Arbeitsfreude ausgebremst wird. Lust auf Leistung ist, auch das wird einfach zu wenig be-dacht, in einem ganz, ganz beträchtlichen Ausmaß ein atmosphärisches Phänomen, um das Wort „Problem" nicht zu benutzen. Das gute alte Betriebsklima ist nicht alles, aber ohne ein gutes Betriebsklima ist rasch alles nichts. 

STANDARD: Das ist ein deutlicher Verweis auf die Macht der Gefühle? 

Scheitler: Die Hirnforschung hat es doch in den letzten Jahren klar zutage gefördert, sodass selbst die Betriebswirtschaftslehre von ihrem rein rationalen Menschenbild abrückt: Menschen sind emotionale Wesen, sie haben Gefühle. Werden diese im Arbeitsprozess ignoriert, schlägt das auf die Leistungsbereitschaft durch. Lob, Anerkennung, Beachtung steigern die Freude an der Arbeit und sorgen für ein gutes und - was auch gern vergessen wird - auch aufgeschlossen-innovatives Klima. Fragen Sie gestandene Praktiker: Nichts wirkt sich auf die Leistung so anfeuernd aus wie ein überlegt ausgesprochenes Lob, eine Anerkennung, ein freundliches Wort, das signalisiert, dass der Chef eine Leistung und dahinter auch die Person, den Menschen zur Kenntnis nimmt. Im Übrigen macht das auch viel aufgeschlossener für notwendige Kritik! Doch nach wie vor unterschätzen wir den zwischenmenschlichen Faktor im Arbeitsleben, die Ebene der Gefühle, erheblich. Der Direktor des Instituts für Medizinische Soziologie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Professor Siegrist, hat das unlängst in seiner kleinen Schrift Der Homo oeconomicus bekommt Konkurrenz einleuchtend beschrieben. Sehr empfehlenswert. 

STANDARD: In Ihrer Dissertation haben Sie 2005 nachgewiesen: Sozialkompetentes Verhalten macht Führung effizienter. Ist Lob Teil sozialkompetenten Verhaltens? 

Scheitler: Keine Frage! Natürlich ist die Entlohnung nicht unwichtig. Aber gerade für die unmittelbare Führungseffizienz, die Wirkung eines Vorgesetzten, ist die Leistungsanerkennung auf der immateriell-emotionalen Seite die wesentliche Voraussetzung für die Mitarbeiterzufriedenheit und damit für die letztlich ausschlaggebende Motivation aus sich selbst heraus - und vor allem auch für die in ihrer Bedeutung beziehungsweise Auswirkung geradezu sträflich verkannte emotionale Bindung an das Unternehmen. Im Twitter-Zeitalter, wo im Netz immer mehr und ungebremster auch über alle möglichen Befindlichkeiten intensiv "gezwitschert" wird, sollte Bedeutung und Wirkung dessen, was und wie Belegschaftsmitglieder über ihre Firma berichten, unbedingt gesehen werden. Der virtuelle „Rufmord" aus den eigenen Reihen kann enormen Schaden anrichten. Die Amerikaner sind uns im Durchleiden dieser Erkenntnis und in den Konsequenzen daraus schon einen Schritt voraus. Ich kann nur unterstreichen, was Michael Kastner, Professor für Organisationspsychologie der Universität Dortmund, gesagt hat: Soziale Kompetenz ist die Formel für diejenigen, die auf Dauer Erfolg haben - und, möchte ich hinzusetzen, sich vor unnötiger Unbill schützen - wollen. 

STANDARD: Die Konsequenz daraus?

Scheitler: Nur zielsichere, gut organisierte, kommunikationsfähige, synergetisch arbeitende und an ihrer Firma interessierte Teams werden in Zukunft erfolgreich sein. Fehlen Anerkennung, Lob und dazu die Fähigkeit, dieses adäquat vermitteln zu können, gehen wichtige Ressourcen und „Antreiber" verloren. Andersherum: Wer etwas für die betriebliche Effizienz tun möchte, sollte auch auf emotionales Qualitätsmanagement setzen. Im Kerngefühl zufriedene und damit aus sich heraus motivierte Mitarbeiter sind für ein Unternehmen die einzige wirkliche Lebensversicherung, die es aufbauen kann. Die Bindung der Leistungsträger an das Unternehmen wird künftig eine zentrale Aufgabe der Personalarbeit sein. Die Aktivitäten weitsichtiger Unternehmen im Bereich Talent-Management zeigen dies überdeutlich. 

STANDARD: Das heißt?

Scheitler: Schluss mit der Unterschätzung dieser Seite des Qualitätsmanagements. Die leistungsfördernde Seite emotionalen Qualitätsmanagements gilt es noch oder wieder zu entdecken. Es mag banal klingen, aber wer nicht lobt, wird auch nicht geliebt. Und wo keine Liebe ist, ist auch keine wirkliche Bindung. Geld allein bindet nicht. Ein Gehalt ist rasch zu überbieten. Erheblich schwieriger wird es, die Qualität umsichtiger Füh-rung zu überbieten. Eine Erkenntnis aus der Frühzeit der Managementdiskussion in den Sechzigerjahren ist heute aktueller und sollte richtungsweisender sein als je zuvor: Jedes Unternehmen steht heute - darüber muss sich die Unternehmensführung klar sein - nicht lediglich in Konkurrenz mit der Güte seiner Produkte. Es konkurriert mit der Leistungskraft seiner Organisation, der erfolgreichen Führung seiner Mitarbeiter auf allen Stufen und der dadurch bewirkten Mobilisierung der Intelligenz im Unternehmen. 

Standard: Soll Letzteres heute nicht durch den forcierten innerbetrieblichen zwischenmenschlichen Wettbewerb bewirkt werden?

Scheitler: Das ist ein heikles Thema. Erlauben Sie mir einen Hinweis: In den Betrieben herrscht ein zum Teil erschreckend rücksichtslos ausgetragener zwischenmenschlicher Wettbewerb. Dass sich aufstrebende Kräfte profilieren wollen und müssen, ist selbstverständlich; dass sie es immer mehr auf Kosten und zulasten ihrer Kolleginnen und Kollegen tun, ist nicht nur kontraproduktiv und gesundheitsschädlich, unter dem Strich ist das auch in höchstem Maße leistungsfeindlich. Miteinander bringt mehr als gegeneinander, auch für den Einzelnen. Ich kann es auch professioneller ausdrücken: Wenn sie innerbetriebliche Synergieeffekte fördern wollen, und das ist heute unverzichtbar, dann brauchen sie mannschaftsdienliche Spieler. Haben Sie die nicht, blockieren sich alle unmittelbar oder unterschwellig selbst. Dann bekommen Sie hohe Reibungs- und Verzögerungskosten. Es ist sehr wohl auch möglich und langfristig erheblich klüger, sich auch als mannschaftsdien_licher Spieler mit überzeugenden Leistungen zu profilieren, statt sich mit aggressiv-konfrontativ-rüdem Verhalten ringsum Feinde zu machen, die darauf lauern, es einem heimzuzahlen. Erfolgreich zu sein ist viel öfter die Kunst, weiter als andere zu denken, als sich mit anderen anzulegen.

Standard: Gestandene Führungskräfte beklagen oft die Zimperlichkeit und Empfindlichkeit heutiger Mitarbeiter. Ist die häufige Klage über zu wenig Lob Ausdruck einer solchen Befindlichkeit?

Scheitler: Nicht jeder hat die Natur eines alten Haudegens oder dessen in oft harten Jahren gereifte Abgeklärtheit und Konfrontationsbereitschaft. Die Klage über zu wenig Anerkennung ist, soweit ich das beurteilen kann, kein Ausdruck besonderer Zimperlichkeit. Vielmehr weist sie für mich auf ein legitimes Bedürfnis hin, das einfach zu wenig zur Kenntnis genommen wird. Im Übrigen weiß ich aus _meinen Führungskräftecoachings: Auch gestandene Kräfte vermissen das gute Wort. Ganz deutlich gesagt: Hinter jeder überzeugenden Leistung steht immer auch das Bedürfnis nach Anerkennung. Wer nur durch Forderungen getrieben und nicht auch mal durch Lob gezogen wird, „erlischt" irgendwann. (Hartmut Volk, DER STANDARD, Prinausgabe, 10./11.10.2009)