The Slits: "Trapped Animal"
Na das ist doch mal ein Comeback! Die Slits hatte bis vor ein paar Jahren und der EP "Revenge of the Killer Slits" wohl niemand mehr auf dem Plan: Jene Frauencombo, die die Britpunkwelle von '77 um eine wüst groovende Note bereicherte. In der Ära nach Millenniumshoffnungen, BLIAR und geplatzter Wirtschaftsblase haben sie's nun sogar zu einem neuen Album gebracht, dem ersten seit 28 Jahren. Ein Drittel Punk, ein Drittel Reggae, ein Drittel Electroclash und ein Drittel Feminismus ... stopp. Gibt vier Drittel? Dann nehmen wir einfach eine größere Band: Zu Ari Up und Tessa Pollitt von der Originalbesetzung gesellen sich drei bis vier Frauen, die teilweise ihre Töchter sein könnten. Die bringen überdies deutsche und japanische Aspekte in die Mixtur ein - die an einigen Stellen erschallenden Winnetou-Schlachtrufe sind hingegen truly slitish. Klingt so frisch und zeitgemäß, dass Gedanken wie "retro" oder "Nostalgie" gar nicht erst aufkommen. Anspieltipps: "Pay Rent", "Reject" ... ach, überhaupt das ganze Album. (Sweet Nothing/Narnack Records)

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The Slits

Coverfoto: Sweet Nothing/Narnack Records

Jonquil: "Whistle Low EP"
Ein Schuss Apfelfrische für das Genre Gitarrenpop, das unter den Achseln ja schon länger ein wenig schimmlig riecht: Das gilt vor allem für die schnelleren Songs von Jonquil wie das mitreißende Titelstück "Whistle Low". In solchen Momenten erinnert das Quartett aus der Universitätsstadt Oxford - dem artifiziellen Touch sei's gedankt - an Vampire Weekend oder auch an ihre einstigen Labelkollegen, die Foals. In den ruhigeren Momenten schiebt sich das erweiterte Instrumentarium von Melodica bis Akkordeon diskret in den Vordergrund. Plus als besonderes Goodie Vokalarrangements, die das Potenzial der Mehrstimmigkeit ausloten und Kehlköpfe als Zusatzinstrumente einsetzen ("Putting Names to Faces", "The Weight of Lying on Your Back"). Sehr schön! (Acuarela/just50.at)

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Jonquil

Coverfoto: Acuarela

Omo: "The White Album"
Im Presse-Sheet steht ein wenig defensiv, dass die Musik von Omo mehrere Durchläufe benötige, bis sich ihre Schönheit herausschält. Aber zumindest wer Klangarchitekturen à la Lali Puna schätzt, wird sich sofortig daran weiden können: Analog-Keyboards, Drumcomputer und eine Gitarre, die eher rhythmus- als melodietragend eingesetzt wird, dazu Berit Immigs lakonischer Sprechgesang (abgesehen von einem gewagten Arien-Anflug in "König", wo sie wie die "Raumschiff Enterprise"-Signation klingt). In den Folgejahren des Millenniums wären die Berlinerin und der Österreicher David Muth sicher in den großen "Laptop-Folk"-Topf geworfen worden. Mit etwas mehr Abstand fallen eher die Ähnlichkeiten zu Avantgarde-KünstlerInnen der 80er auf (Erinnert sich noch jemand an Thick Pigeon? Aber doch sicher an Laurie Anderson.) - vor allem wenn sich zur minimalistischen Form noch ein nicht (pop-) alltäglicher Inhalt gesellt. In "ROV" etwa: Da gibt Berit die Verkäuferin in einem hypnotischen Fahrzeug-Werbespot. Weitab von allen Elektronik-Trends der vergangenen Jahre: Eine Stand-alone-Schönheit. (Loaf/Hoanzl)

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Omo

Coverfoto: Loaf

Cornershop: "Judy Sucks a Lemon for Breakfast"
Nach siebenjähriger Pause kehrt die Band aus Leicester, die Mitte der 90er Jahre die Gitarrenmusik mit einer indischen Frischzellenkur aufpeppte, mit einem neuen Album zurück. Die Hybridsound-Taktik wiederholt sie hier einige Stücke lang ("Who Fingered Rock'n'Roll", "Soul School") nur oberflächlich. Denn das Besondere an Cornershop war ja, nicht einfach herkömmlichen Indie-Sound um eine Sitar zu erweitern und so wie die Beatles (oder Primal Scream) zu klingen, sondern Rhythmen und Gesangsstile einzubauen, die man im britischen Gitarrengewerbe bis dahin nicht gekannt hatte. Ab der Mitte des neuen Albums (etwa dem Dance-Track "Shut Southall Down") geht's dann zurück zu den Bandwurzeln und "Free Love" hätte genauso gut auf den legendären ersten beiden Alben erscheinen können. Zum überwiegenden Teil ist "Judy Sucks a Lemon for Breakfast" aber eine Hommage an die 60er Jahre, in der man sich's recht gemütlich einrichten kann ... inklusive einer Coverversion von Bob Dylans/Manfred Manns "The Mighty Quinn". Konventioneller als einst im Mai, nichtsdestotrotz ein Klassealbum.  (Ample Play/Trost)

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Cornershop

Coverfoto: Ample Play

Frenk Lebel: "poems.contradictions"
Nicht dass in den 90ern in Österreich keine gute Musik gemacht worden wäre - nur der P!O!P! blieb irgendwie ein Stiefkind und das Duo Play The Tracks Of (Frenk Lebel & Werner Möbius) stand als einsamer Leuchtturm in der Gegend herum. Nach Jahren als Songwriter und Gastmusiker tritt Frenk "The Voice" nun wieder in die erste Reihe vor: Mit zehn Powerpop-Stücken in vollem Sound. Auch die langsameren Songs wie "Summer is Over" oder "Will of the Wind" sind dicht arrangiert - immerhin gilt es mit Frenks prägnanter Stimme mitzuhalten. An der Produktion beteiligt waren Hubert Mauracher, der sich damit für Frenks kooperative Vorlage (unter anderem als Sänger von "Hello" auf dem Mauracher-Album "Kissing My Grandma") revanchiert, und Naked Lunch-Keyboarder Stefan Deisenberger. - Weitere Anspieltipps: "Minefields" und "Big Time" in Sachen hohes Tempo und - eindringlichstes und bestes Stück - die dunkle Ballade "Heart Of My Work". (Halleluyeah/Hoanzl)

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Frenk Lebel

Coverfoto: Halleluyeah

Phantogram: "Eyelid Movies"
15 Jahre zurück, vor der großen globalen Vernetzung, wäre ein Album wie dieses schwerlich zustande gekommen. Losgelöst von lokalen Subkulturen, Inzuchten und Moden fischen sich Sarah Barthel und Josh Carter in einem Kaff irgendwo im Staat New York aus dem globalen Datenstrom die Anregungen für ihren Soundentwurf als Phantogram heraus. Als Genre-Bezüge führen sie ungefähr jeden Suchbegriff an, den ein Online-Musikhändler anbietet; soweit die Theorie. In der Praxis läuft dies auf folgende Grundformel hinaus: Ein Synthesizer, der brummt wie ein alter Sicherungskasten, verbindet sich mit goldenen Gitarrenakkorden und traumverlorenem Gesang. Im Verlauf von "Eyelid Movies" schäumt sich das zu klassischem Shoegazing auf; verstreute Charleston- und Filmmusik-Samples fügen sich ungeahnt stimmig in das blütenweiße Rauschen ein. Anspieltipp: der vergleichsweise handfeste Eröffnungstrack "Mouthful of Diamonds".
(BBE/Hoanzl)

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Phantogram

Coverfoto: BBE/K7
Air: "Love 2"
Ich bin vermutlich den Weg der meisten Air-Fans gegangen: Durch "Moon Safari" (1998) für die Band gewonnen und auch vom folgenden "Virgin Suicides"-Soundtrack (2000) schwer angetan, "10.000 Hz Legend" (2001) noch recht gut gefunden und selbst aus der Zuckerwatte von "Talkie Walkie" (2004) noch das eine oder andere Gute zum Rauspicken entdeckt. Dann die totale Lähmung angesichts des anämischen Kitsches von "Pocket Symphony" (2007). Wen interessiert schon, dass Herr Godin Monate darauf verwendet hat, japanische Saiteninstrumente spielen zu lernen, wenn er damit doch nur Fadgas bewegt? Auf "Love 2" haben sich Godin und Dunckel wieder eine Spur zusammengerissen. Ein Spürchen. So ein Schlagzeug wirkt doch durchaus belebend, dann hängen die Keyboard-Elegien nicht so verloren in der Luft. Und mit "Heaven's Light" und der sehr süß geratenen  Single "Sing Sang Sung" bringen Air auch die zuletzt schmerzlich vermissten Pop-Aspekte wieder ein. Fortschritt durch Rückschritt.  (EMI)

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Air
Coverfoto: EMI

The Clean: "Mister Pop"
Das Haus Morr hat uns heuer schon das Neuseelandpop-Tribute "Not Given Lightly" beschert; im Nachhinein wirkt das nur wie das Ausholen für den ganz großen Schlag: Auch das erste Album von The Clean seit acht Jahren erscheint auf den deutschen Label (zumindest in Europa). Und was soll man sagen? Es lässt komplett die Zeit vergessen. Ungewohnt sind höchstens die Background-Frauen, die sich an ein paar Stellen mit Aaa-haaaa und Bababa ins gewohnte Lineup schubiduen. Doch die Gitarren sind gestimmt wie weiland in den 80ern und 90ern, und das ist bei Neuseelands Band Nr. 1 schließlich das Wichtigste. Kilgour & Co schrammeln drauflos, und von Ohrwürmern wie "Factory Man" oder "Are You Really On Drugs?" bis zu psychedelisch kreiselnden Instrumentalstücken ist alles enthalten, was man sich von The Clean wünschen kann. Ein freudiges Wiederhören! (Morr/Hoanzl)

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The Clean

Coverfoto: Morr

Mika: "The Boy Who Knew Too Much"
Mikas Erstling ist mir noch ziemlich auf die Nerven gegangen - der Nachfolger macht mir das Mögen leichter. Vielleicht aber nur deshalb, weil einem "The Boy Who Knew Too Much" nicht mehr mit solcher Aufdringlichkeit reingedrückt wird wie "Life In Cartoon Motion" vor zwei Jahren. Musikalisch hat sich jedenfalls seit den Zeiten von "Grace Kelly" & Co nichts Entscheidendes verändert, wie schon die Single "We Are Golden" zeigte. Und hinter der stehen ähnliche Kaliber ("Rain", "Good Gone Girl", "Blame It On The Girls") Spalier bzw. hüpfen hysterisch auf und ab, bis sie endlich an die Reihe kommen. Der 70er-Jahre-Glampop strahlt dem Londoner aus allen Knopflöchern (extraklasse: "Toy Boy"). Teilweise tritt Mika dabei als schwuler Enkel der Bay City Rollers auf, teilweise tut er einfach nur das, was rund um die Jahrtausendwende Autodidakten des Spinnertums wie Spookey Ruben vorgemacht hatten. Mit bedeutend weniger kommerziellem Erfolg seinerzeit. Doch Mika versieht's mit gefälligen Arrangements, in denen sich auch Fans von George Michael und Take That heimelig fühlen, und setzt kitschige Sülze ins richtige Verhältnis zu Tempo und guten Melodien (die kann er schreiben, da beißt die Maus keinen Faden ab). Und voilà: Heraus kommt sowas wie der perfekte Pop im Knallbonbon-Format. (Universal)

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Mika

Coverfoto: Universal

Yoko Ono Plastic Ono Band: "Between My Head And The Sky"
Im Rückblick hat Yoko Ono viel mehr an leicht zugänglicher Musik geschaffen, als es das Klischee glauben machen will: Seien es Dancepunk-Stücke wie "Hell in Pradise" (1985; vor kurzem erfolgreich remixt), der spöttische Revolutionsaufruf "Yangyang" ('73), die punkige Nachgeburt "New York Woman ('95) oder die Phil Spector-Kooperation "She Gets Down On Her Knees" ('81); für Ono-Verhältnisse geradezu eine Rockoper. Dass sie trotzdem bis in die Sitcom-Welt hinein primär als kreischsingende Frau mit Sonnenbrillen in der Größe von Plasmabildschirmen imaginiert wird ... naja, als Kunsttheoretikerin ist ihr der Wert eines popkulturellen Images wohl durchaus bewusst. Auf dem nun erschienenen Album beliefert Yoko Ono beide Wahrnehmungen mit neuem Stoff - ohne dass weit und breit so etwas wie Kompromissbereitschaft erkennbar wäre. Keckernden Vokalperformances jeglicher Couleur steht unendliche Sanftmut wie im berührenden Spoken Word-Stück "Unun. To" gegenüber. Für die musikalische Umsetzung hat die New York Woman das familiäre Konzept der Plastic Ono Band reaktiviert: Sohn Sean ist ebenso mit dabei wie der japanische Klangbastler Cornelius und Yuka Honda von der ehemaligen Band Cibo Matto, Seans zeitweiliger Partnerin. Jazz und No Wave bilden den vorherrschenden Sound - und dass Yoko Ono als Großmutter des Elektropunk angesehen werden darf, unterstrich sie bereits in diversen Kooperationen (unter anderem mit Peaches); auch das spiegelt sich auf "Between My Head And The Sky" wider. Leben ist das große Generalthema des Albums - und damit verbunden auch das Abschiednehmen; das taucht hier beunruhigend oft als Motiv auf. Doch ganz bewusst setzt die 76-Jährige diese Worte an den Schluss des grandiosen Albums: "It's me. I'm alive." (Chimera/Hoanzl)

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Yoko Ono Plastic Ono Band

Coverfoto: Chimera